Verteidigungsminister Pistorius will die Bundeswehr mit einem freiwilligen Wehrdienst personell stärken. Doch was passiert, wenn das nicht ausreicht? Die Union drängt auf einen Automatismus zur Wehrpflicht - auch Außenminister Wadephul.

In der Union wächst der Widerstand gegen die Wehrdienst-Pläne von Verteidigungsminister Boris Pistorius. Dabei wollten Bundeskanzler Friedrich Merz und der SPD-Minister die Pläne am kommenden Mittwoch im Kabinett vorstellen. Pistorius' Gesetzentwurf sieht zunächst vor, dass die Lücke im Personalbestand der Bundeswehr mit Freiwilligen aufgefüllt werden soll.

Wadephul legt "Ministervorbehalt" ein

Das CDU-geführte Auswärtige Amt legt nun einen "Ministervorbehalt" gegen Pistorius' Pläne vor, wie das ARD-Hauptstadtstudio aus dem Ministerium von Johann Wadephul erfuhr. Es solle echte Zielvorgaben zur Personalverstärkung geben.

Schon zuvor hatte es Stimmen in der Union gegeben, die einen Automatismus forderten. Das heißt: Sollten die nötigen Zahlen nicht erreicht werden, müsse die Wehrpflicht wiedereingesetzt werden.

Die Bundeswehr soll angesichts der Bedrohung durch Russland und der neuen NATO-Verpflichtungen stark anwachsen: Statt mit den bisher gut 180.000 aktiven Soldaten sind bis Anfang der 2030er-Jahre 260.000 vorgesehen. Auch die Zahl der verfügbaren Reservisten soll von 100.000 auf 200.000 verdoppelt werden.

Der CDU-Verteidigungspolitiker Thomas Röwekamp sagte der Rheinischen Post, es fehlten mehr als 80.000 Berufs- und Zeitsoldaten und 140.000 Reservisten, damit Deutschland sich verteidigen und seine Zusagen an die NATO erfüllen könne. "Ich habe erhebliche Zweifel, dass dies nur mit Freiwilligkeit gelingt."

CDU drängt auf Wehrpflicht-Automatismus

Röwenkamp sagte weiter: "Sobald wir erkennen, dass die Freiwilligkeit nicht reicht, müssen wir schnell die Wehrpflicht zur Erhaltung unseres Friedens wieder aktivieren können." Deshalb müsse man jetzt schon schrittweise verbindliche Aufwuchsziele pro Jahr festlegen. Zudem brauche man in dem Gesetz einen Automatismus hin zu einer verpflichtenden Heranziehung, wenn diese Schritte nicht erreicht würden.

Pistorius selbst machte mehrfach deutlich, dass die vereinbarte Freiwilligkeit nur gilt, wenn der Bedarf an Soldaten auf diesem Weg gedeckt werden kann. Auch ein Mechanismus für eine Rückkehr zur Wehrpflicht werde vorbereitet.

Ein Umschwenken ist im Gesetzentwurf entsprechend vorgesehen - wenn Rekrutierungsziele nicht erreicht werden oder die Sicherheitslage höhere Zahlen nötig macht. Für diesen Fall werde im Gesetz "eine verpflichtende Heranziehung ermöglicht", hieß es aus dem Verteidigungsministerium im Juli. Es gebe aber "keinen Automatismus, keine festgelegte Zahl und keinen festgelegten Zeitpunkt für eine Aktivierung der Wehrpflicht".

Söder spricht sich für Wehrpflicht aus

Die Forderung nach einem verpflichtenden Dienst kommt auch von CSU-Chef Markus Söder. "So ein Pflichtelement ist wichtig, um Landes- und NATO-Grenze auf Dauer wirksam zu verteidigen, als größtes, wirtschaftlich stärkstes Land, das auf Dauer auch die stärkste Armee haben soll", sagte Bayerns Ministerpräsident im ARD-Sommerinterview. "Deswegen glaube ich, wird an der Wehrpflicht kein Weg vorbeiführen."

Er mahnte, dass einige Experten warnten, Russland könne NATO-Länder schon 2027 oder 2029 angreifen. "Warum warten, wenn wir schon jetzt heute wissen, dass zumindest die Gefahr besteht? Und deswegen ist es aus meiner Sicht notwendig, je schneller und es wäre umso besser, die Wehrpflicht komplett einzuführen", sagte Söder.

Pflichtanteile bereits vorgesehen

Der jetzige Entwurf enthält bereits verpflichtende Elemente. Konkret sollen ab dem kommenden Jahr an alle jungen Männer und Frauen ein Fragebogen versandt werden. Männer müssen ihn ausfüllen, für Frauen ist das freiwillig. Dabei soll das Interesse am Dienst in der Bundeswehr abgefragt werden. Geeignete Kandidaten und Kandidatinnen werden dann zur Musterung eingeladen.

Ab 2028 sollen dann alle 18-jährigen Männer zu einer verpflichtenden Musterung - auch wenn sie sich nicht für den freiwilligen Wehrdienst entscheiden. Ziel ist es nach Angaben aus dem Verteidigungsministerium, ein "Lagebild" über die gesundheitliche Eignung deutscher Männer im wehrfähigen Alter zu erstellen.

Im Spannungs- oder Verteidigungsfall würde die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht nach aktueller Rechtslage ohnehin automatisch wieder in Kraft treten. Damit könnten alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren eingezogen werden, sofern sie den Kriegsdienst nicht verweigert haben.

Wehrbeauftragter übt scharfe Kritik

Grundsätzliche Kritik an dem geplanten Gesetz äußerte der Wehrbeauftragte des Bundestags, Henning Otte (CDU). Boris Pistorius bleibe mit seinem Gesetzentwurf bei Ankündigungen, anstatt "die dringend erforderlichen Strukturreformen anzustoßen und die materielle sowie vor allem personelle Stärkung der Truppe prioritär voranzutreiben", schrieb Otte gemeinsam mit dem Militärhistoriker Sönke Neitzel in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Es werde "verpasst, ein zielorientiertes Wehrdienstgesetz vorzulegen - Unbequemes, aber Erforderliches wird 'zunächst' vertagt", kritisieren Otte und Neitzel. Mehr als 50 Prozent der Soldaten arbeiteten nicht im Kernauftrag, sondern in Stäben, Ämtern oder Behörden, schreiben sie weiter. "Wenn unsere Streitkräfte nicht von einer Verwaltungsbehörde in eine kriegstüchtige Armee umgebaut werden, könnte im Ernstfall das Schlimmste drohen, weil die Politik im Frieden zauderte und zögerte."

Mit Informationen von Stephan Stuchlik

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.