Das Lieferkettengesetz soll abgeschwächt werden. Das Kabinett will heute einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg bringen. Wirtschaftsverbände kritisieren, die Änderungen gingen nicht weit genug.
Da hatte er sich mehr erhofft: "Ein großer Wurf ist das nicht", sagt Oliver Betz. "Für mich als kleiner Mittelständler, da hilft dieser Entwurf nichts." Neun DinA4-Seiten, die heute auf dem Kabinettstisch liegen, haben die Enttäuschung ausgelöst. Viele in der Wirtschaft hatten lange darauf gewartet, seit Jahren laufen Verbände Sturm gegen das sogenannte Lieferkettengesetz.
Umständlich, aufwändig, bürokratisch, teuer - die Liste der Kritikpunkte ist in etwa so lang wie der vollständige Name des Gesetzes: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.
Schon Robert Habeck hatte als Wirtschaftsminister Mitte 2024 versprochen, das Gesetz auszusetzen. Dieses legt fest, dass jedes Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern darauf schauen muss, dass seine Zulieferer - egal wo in der Welt sie sitzen - auf Grundsätze achten wie faire Löhne, den Schutz der Umwelt und das Verbot von Kinderarbeit. Für das Bundesarbeitsministerium ein Erfolgsmodell: "Damit endet die Verantwortung der Unternehmen nicht länger am eigenen Werkstor, sondern besteht entlang der gesamten Lieferkette."
"Nachhaltigere und verantwortungsvolle Wirtschaft"
Mit dem Entwurf, den das Kabinett heute auf den Weg bringen will, wird die Berichtspflicht des Lieferkettengesetzes abgeschafft. Darüber hinaus sollen nur noch schwere Verstöße sanktioniert werden. Die Sorgfaltspflichten sollen aber weiter gelten. Der Entwurf liegt dem ARD-Hauptstadtstudio vor.
Damit werde eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt, sagt die arbeitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Annika Klose. Vom Lieferkettengesetz als solches ist sie überzeugt: Es sei "ein wichtiger Meilenstein hin zu einer nachhaltigeren und verantwortungsvollen Wirtschaft".
Gesetz erfordert umfangreiche Dokumentation
Oliver Betz glaubt nicht, dass er durch die Erleichterungen profitieren wird. Das Lieferkettengesetz beschäftige in seiner Firma eine Person mindestens zwei bis drei Wochen im Jahr - und das werde wohl so bleiben. Dabei ist Systec mit etwa 100 Mitarbeitern in Deutschland und 200 in China eigentlich kleiner als in den Regeln des Gesetzes vorgesehen.
Allerdings: weil Großunternehmen verpflichtet sind, ihre Zulieferer zu kontrollieren, pochen die Großkunden von Systec auf umfangreiche Dokumentation. Und dabei werde es wohl bleiben, so Betz resigniert.
Wirtschaftsverbände sehen Änderungen kritisch
Auch viele Wirtschaftsverbände sehen die geplanten Änderungen kritisch. "Damit wird eine große Chance zum Bürokratieabbau und für betriebliche Entlastung verpasst", schreibt beispielsweise die Arbeitgeber-Vereinigung BDA.
Zwar soll die Wirtschaft durch die jetzt geplanten Vereinfachungen laut Arbeitsministerium um 4,1 Millionen Euro im Jahr entlastet werden. Dabei dürfte es sich aber nur um einen kleinen Teil der eigentlichen Kosten des Lieferkettengesetzes handeln: Schon als dieses vor einigen Jahren eingeführt wurde, schätzte das Arbeitsministerium die Mehrbelastung für die Wirtschaft auf rund 43,47 Millionen Euro jährlich.
Grüne warnen vor Aufweichung
Die Grünen werfen der schwarz-roten Koalition hingegen eine Verwässerung bisheriger Lieferketten-Regeln vor, mit denen unter anderem die Beachtung von Menschenrechten bei Unternehmen gesichert werden soll.
Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Sandra Detzer, warf der Regierung vor, die Notwendigkeit von Lieferkettentransparenz zu verkennen. Der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch sprach von einem Armutszeugnis. Er sagte dem ARD-Hauptstadtstudio: "Niemand will Schokolade essen im Wissen, dass Kinder ausgebeutet wurden. Niemand will ein T-Shirt tragen im Wissen, dass Frauen dafür entrechtet werden." Die Änderung sei ein Signal, dass Menschenrechte für Friedrich Merz "offensichtlich keine größere Rolle mehr" spielen würden.
EU-Vorgaben müssen 2027 umgesetzt werden
Oliver Betz hat nicht nur an den jetzt geplanten Änderungen Zweifel, sondern auch ganz grundsätzlich: "Das Lieferketten-Gesetz war gut gemeint, wird aber an einigen Stellen zum Papiertiger", sagt er. Wenn er sich von einem Lieferanten in China die Produktion zeigen lasse, sähen die Anlagen dort womöglich toll aus, aber: "Ich kann nicht überprüfen, ob am Ende tatsächlich in den mir gezeigten Anlagen produziert wird oder ich ein Potemkinsches Dorf vorgeführt bekommen habe."
So oder so: Die Tage des deutschen Lieferkettengesetzes sind gezählt, denn das Thema bewegt auch die EU. Sie hat inzwischen eigene Vorgaben gemacht in Sachen Lieferketten, die Deutschland bis Mitte 2027 umsetzen muss.
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