Vor knapp anderthalb Jahren stach ein Mann in Mannheim auf Menschen ein - ein Polizist starb an seinen Verletzungen. Die Tat löste deutschlandweit Entsetzen aus. Nun soll in dem Verfahren ein Urteil fallen.

In einem roten Pullover kommt Sulaiman A. in den Gerichtssaal. Seine Hände sind in Handschellen. Er hält sich eine rote Mappe vor das Gesicht, als Schutz vor den Kameras. Die Öffentlichkeit bekommt den mutmaßlichen Messerangreifer von Mannheim an diesem Tag Mitte Februar erstmals zu sehen.

Vor dem Hochsicherheitssaal in Stuttgart-Stammheim erklärte Oberstaatsanwältin Verena Bauer, was die Bundesanwaltschaft dem Angeklagten vorwirft: "Die Ermittlungen haben ergeben, dass der Angeklagte sich anhand von Propagandamaterialien im Internet und durch den Kontakt mit verschiedenen Chatpartnern islamistisch radikalisiert hatte."

Der Angeklagte hatte die Weltanschauung der Terrororganisation Islamischer Staat verinnerlicht und sich aufgrund dieser Ideologie zu einem tödlichen Angriff auf vermeintliche Ungläubige entschlossen.

Tat fokussiert auf Hauptredner der Bürgerbewegung

Diesen Angriff beging Sulaiman A. am 31. Mai 2024. Mitten in der Mannheimer Innenstadt attackierte er einen Infostand der islamkritischen Bürgerbewegung Pax Europa. Dabei hatte er es auf den Hauptredner abgesehen, den Islamkritiker Michael Stürzenberger. Ihn habe Sulaiman A. mit einem Messer töten wollen, hat A. im Prozess ausgesagt. Der Plan schlug fehl, weil andere dazwischengingen. Er verletzte Stürzenberger lediglich schwer.

Sulaiman A. stach unter anderem noch auf weitere Aktivisten ein - und auf den Mannheimer Polizisten Rouven Laur. Dieser war mit Kollegen zur Hilfe geeilt und fixierte gerade - versehentlich - einen Zeugen, der helfen wollte. Der Angeklagte stach Laur seitlich in den Schädel. Der starb später an den Verletzungen.

Die Gewalttat ist gut belegt: Die Bürgerbewegung hatte ihre Infoveranstaltung live ins Internet übertragen. In dem Stream war auch die Tat zu sehen.

Der Tatort in Mannheim: Der Polizist Rouven Laur wollte helfen und wurde dann tödlich verletzt.

Angehörige des getöteten Polizisten sprechen im Prozess

"Insbesondere das unmittelbare Tatgeschehen wird akribisch aufgearbeitet", sagt Rechtsanwältin Julia Mende vor einigen Wochen. Sie vertritt in dem Strafprozess die Familie des getöteten Polizisten, die als Nebenkläger beteiligt ist.

Die Mutter und zwei Schwestern haben mehrere Prozesstage verfolgt und sich selbst ausführlich zu Wort gemeldet. Ihr Ziel sei es gewesen, dem getöteten Bruder und Sohn Rouven Laur eine Stimme im Prozess zu geben. Das Verfahren ist für die Familie emotional sehr belastend, die Teilnahme habe unheimlich viel Kraft gekostet, so etwa die Mutter in ihrem Plädoyer.

Telegram spielte bei Radikalisierung zentrale Rolle

Auch der Angeklagte Sulaiman A. hat sich im Verfahren geäußert. Einer seiner Verteidiger, Axel Küster, beschreibt ihn vor dem Prozess im Februar als einen jungen netten Mann, der der deutschen Sprache nahezu perfekt mächtig sei. "Insofern ist unser Ziel, ihn mal als Menschen darzustellen", so Küster. "Denn die andere Seite, die Vorverurteilung, ist sicherlich gegeben."

Ende März hat der Mann mit Brille und längerem Vollbart Fragen zu seiner Radikalisierung beantwortet. Dabei spielte der Messenger-Dienst Telegram eine zentrale Rolle. Darüber habe er Unterricht bei einem Lehrer des Islamischen Staates bekommen. Wer dieser Mann genau ist, ließ sich im Prozess nicht klären. Für Sulaiman A. soll er zentral gewesen sein, ihn zu der Tat motiviert haben.

Angeklagter entschuldigte sich

Das Leid der Menschen im Gazastreifen soll ihn mitangetrieben haben, so A. im Prozess. Die Tat hat er im Verfahren als "Tragödie" bezeichnet.

"Der Mandant hat sich leider sehr schnell radikalisiert", sagte Strafverteidiger Mehmet Okur. "Andererseits - nach der Tat - hat er auch gemerkt, es war ein Fehler."

Bei seiner Aussage im Hochsicherheitssaal in Stuttgart-Stammheim atmete Sulaiman A. schwer. Er kämpfte teils mit den Tränen. Bei den Opfern entschuldigte er sich an diesem Montag - in seinen letzten Worten. Es tue ihm "sehr, sehr leid".

A. kam als 14-Jähriger nach Deutschland

Sulaiman A. ist heute 26 Jahre alt. Er kam 2013 als 14-Jähriger zusammen mit seinem Bruder nach Deutschland und hatte zum Tatzeitpunkt einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Mit seiner türkischstämmigen Frau, die in Deutschland geboren wurde, und den gemeinsamen zwei Kindern lebte er bis dahin im südhessischen Heppenheim.

Wenn der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart am Dienstag sein Urteil über Sulaiman A. fällt, dürfte er eine lebenslange Freiheitsstrafe bekommen. Dazu dürfte der Senat die besondere Schwere der Schuld feststellen. Offen ist aber, ob die Richter eine Sicherungsverwahrung anordnen. Die Bundesanwaltschaft hatte das in ihrem Plädoyer nicht gefordert.

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