Ein Mindestalter für Soziale Netzwerke - diese Forderung wird immer wieder laut, um Kinder und Jugendliche zu schützen. Doch die rechtlichen Hürden sind hoch. Ließe sich die Beschränkung überhaupt umsetzen?
Viele Kinder und Jugendliche sind jeden Tag auf TikTok, Instagram und Co unterwegs. Laut einer Studie der Hochschule für Medien sind 12- und 13-Jährige im Schnitt 83 Minuten am Tag online. Der Konsum und die dort verbreiteten Inhalte gelten teils als gesundheitsschädlich, sollen etwa Depressionen auslösen können.
Australien wird deshalb in wenigen Wochen ein Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige einführen. Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) zeigte sich im Sommer offen für eine Altersbeschränkung auch hierzulande. Jetzt soll eine neue Expertenkommission Vorschläge erarbeiten. Unabhängig von deren Beratungen: Es gibt rechtliche Hürden für so ein Verbot. Dazu wichtige Fragen und Antworten:
Könnte Deutschland ein Verbot verhängen?
Da gibt es zumindest rechtliche Zweifel. Eine zentrale Frage ist, ob Deutschland für so ein Verbot überhaupt zuständig wäre. Rechtswissenschaftler verneinen das und verweisen auf die EU. Denn die Europäische Union hat bereits eine europaweite Regelung für Social Media erlassen, den Digital Service Act (DSA). Unter den fallen die üblichen Sozialen Netzwerke. "Der DSA ist nach wohl herrschender Auffassung eine vollharmonisierende Regelung", sagt Tobias Gostomzyk, Jura-Professor an der TU Dortmund.
Das heißt: EU-Mitgliedsstaaten können keine eigenen Regeln erlassen. Deutsche Vorgaben wären schon deshalb für große Plattformen - wie Facebook oder Instagram - wohl nicht zulässig. "Die Diskussion in Deutschland ist momentan vergebene Liebesmühe", meint Stephan Dreyer, Medienrechtler beim Leibniz-Institut in Hamburg.
Eine weitere Hürde ist das sogenannte Herkunftslandprinzip. Juristen diskutieren, ob Deutschland für bestimmte Videoplattformen - trotz des europäischen DSA - Regeln erlassen kann. Das ist umstritten.
Aber mal angenommen, Deutschland dürfte Regeln aufstellen, dann würden diese Regeln trotzdem nur für bestimmte Plattformen gelten, nicht aber für die großen Anbieter wie etwa TikTok. Das liegt an besagtem Herkunftslandprinzip. Danach ist innerhalb der EU für eine Plattform immer das Land zuständig, in dem die Plattform ihren EU-Sitz hat. Die dortigen nationalen Behörden wenden dann auch nur die national geltenden Regeln an.
"Die großen Plattformen, die bei der Diskussion über ein Social-Media-Bann immer wieder genannt werden, haben ihre EU-Hauptsitze in Irland", sagt Stephan Dreyer. Heißt: Deutsche Regeln für Videoplattformen wären für die Netzwerk-Platzhirsche quasi egal, für sie würde irisches Recht gelten. Anders ist das nur in konkreten Einzelfällen, wenn zum Beispiel ein Video auf TikTok zu Gewalt aufruft. Da könnten dann in Deutschland schon bestehende, deutsche Regeln greifen.
Welcher Jugendschutz gilt schon jetzt für Soziale Medien?
Zentrale Norm für den Schutz von Minderjährigen ist Art. 28 des Digital Service Acts. Da heißt es etwa, dass Plattformen für Minderjährige "geeignete und verhältnismäßige Maßnahmen“ ergreifen müssen. Ziel sei es, die Minderjährigen zu schützen und für ihre Sicherheit zu sorgen. Welche Vorgaben da rechtlich in Ordnung sind, muss sich erst noch zeigen - auch durch Gerichtsverfahren, vor allem am Europäischen Gerichtshof.
Die EU-Kommission ist bei besonders großen Netzwerken, wie Facebook, selbst dafür zuständig, dass die Netzwerke die Vorgaben einhalten. Diese Zuständigkeit ist eine Besonderheit. Bislang sei da aber noch nicht sehr viel passiert, so Stephan Dreyer. "Die Kommission musste erstmal Stellen besetzen", sagt der Wissenschaftler aus Hamburg. Dazu komme: "Es dauert, bis so große EU-Regelwerke bei den Gerichten landen. Das ist nicht optimal, aber gehört ein bisschen dazu."
Könnte die EU ein Social-Media-Mindestalter für junge Menschen einführen?
Die EU wäre dafür wohl zumindest zuständig. Sie könnte den DSA verschärfen oder eine neue EU-Verordnung erlassen. Dafür bräuchte es aber politische Mehrheiten innerhalb der EU und damit Unterstützung aus den Mitgliedsstaaten. Es gibt zwar Forderungen, dass die EU tätig wird, etwa aus Frankreich, Belgien und Dänemark. Ein EU-weites Verbot oder -Mindestalter ist momentan aber nicht absehbar.
"Gerade in der aktuellen Zeit würde ein Social Media-Verbot die Konflikte mit den USA voraussichtlich verschärfen. Das spricht dagegen, dass es da momentan politische Mehrheiten gibt", analysiert Tobias Gostomzyk von der TU Dortmund.
Wäre ein Social-Media-Verbot für Kinder und Jugendliche ansonsten rechtlich okay?
Zuständig wäre also die EU. Die Regeln müssten aber dann auch inhaltlich in Ordnung sein. Sie müssten insbesondere verhältnismäßig sein. Ob sie das wären, ist umstritten und hinge davon ab, wie umfassend und streng sie am Ende wirklich ausgestaltet würden.
Hinter dem Begriff "verhältnismäßig" steckt eine dreistufige Prüfung. Das Verbot müsste einem legitimen Zweck dienen, es müsste geeignet und angemessen sein. Der Zweck des Verbots wäre der Schutz der Kinder. Denn intensive Nutzung kann laut Wissenschaftlern zu Depressionen oder Angststörungen führen. Aber wäre das Verbot geeignet? "Es gibt bislang keine technisch ausgereifte Lösung, um eine Altersgrenze durchzusetzen", gibt Dreyer zu Bedenken. Jugendliche könnten Altersschranken momentan wohl ohne großen Aufwand mit sogenannten VPN-Tunneln umgehen.
Dreyer und der Professor für Medienrecht, Tobias Gostomzyk, halten ein mögliches Verbot für nicht angemessen und damit letztlich rechtswidrig. Neben den Gefahren und Risiken für Kinder verweisen sie dabei auf viele positive Aspekte der Apps. Dazu zählen der soziale Austausch der Nutzer untereinander und die (politischen) Informationsmöglichkeiten, die Kinder dort erhalten können. Zusätzlich würde ein Verbot stark in die Rechte der Plattformbetreiber und in die Erziehung der Eltern eingreifen.
Diese Bedenken teilen die Autoren eines Diskussionspapiers der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina im Ergebnis nicht. Sie empfehlen ein Social-Media-Verbot für unter 13-Jährige. Für 13- bis 17-Jährige schlagen sie vor, dass unter anderem personalisierte Werbung verboten wird. Außerdem setzen sie für die Alterskontrolle auf eine EU-Lösung, eine Art digitalen Pass. Diese so genannte EUDI-Wallet muss von 2026 an in allen EU-Mitgliedsländern eingeführt sein. Die Autoren des Leopoldina-Papiers fordern, dass die Wallet eine Altersverifikation ermöglichen soll.
Können Schulen in Deutschland schon jetzt für Verbote sorgen?
Eine andere Baustelle bei diesem Thema ist der Umgang mit Social Media oder allgemein mit Handys an Schulen. Die Stadt Solingen in Nordrhein-Westfalen wagt derzeit ein bundesweit wohl einmaliges Projekt: Seit diesem Schuljahr sollen alle Fünftklässler keinen Zugang mehr zu Sozialen Netzwerken bekommen. Die Stadt hat Kinder, Eltern und Schulen Selbstverpflichtungen unterschreiben lassen. Parallel bekommen die Eltern Informationsmaterialien und die Kinder werden von älteren Schülern über die Risiken von Sozialen Medien aufgeklärt. Das Projekt beinhaltet aber eher einen freiwilligen Verzicht. Stadt und Schulen können ein Verbot nämlich nicht durchsetzen.
Möglich ist auch, dass Schulen die Nutzung von Handys verbieten, etwa auf dem Pausenhof. "Wenn in der Schule kein Handy erlaubt ist, hätte sich zumindest da die Nutzung von Social Media faktisch erledigt“, meint der Jura-Professor für Medienrecht, Tobias Gostomzyk.
Welche Rechtsgrundlagen für Handynutzung in Schulen gibt es bereits?
"Wir haben da momentan einen Flickenteppich in Deutschland", so Stephan Dreyer. In Schleswig-Holstein müssen alle Schulen zeitnah Regeln einführen, wie das Bildungsministerium kürzlich verfügte. Das Ministerium empfiehlt die Handynutzung grundsätzlich bis zur neunten Klasse zu verbieten. In Bremen gilt seit Sommerferienende an allen Schulen im Stadtstaat ein Handyverbot bis zum Ende der Sekundarstufe 1. Und laut thüringischem Schulgesetz dürfen Schüler Handys dort grundsätzlich nicht verwenden. Andere Länder, wie Sachsen und Sachsen-Anhalt, haben solche Regelungen noch nicht, planen sie aber teils. Überall können die Schulen aber Ausnahmen vom Verbot gewähren - etwa bei Notfällen oder wenn die Schüler das Handy im Unterricht benötigen.
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