Wichtige Partner Deutschlands erkennen Palästina als Staat an. Die Bundesregierung pocht jedoch weiter darauf, dies könne nur der abschließende Schritt sein. An der Haltung gibt es Kritik.

Christoph Heusgen war UN-Botschafter in New York und außenpolitischer Berater von Kanzlerin Angela Merkel. Im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio fordert er von der Bundesregierung ein Umdenken in der Nahost-Politik. Die Lage im Gazastreifen sei katastrophal, gleichzeitig kann Heusgen bei Israels Premier Benjamin Netanjahu kein Interesse an Verhandlungen erkennen. In so einer Lage "muss die Diplomatie auch mal zu ungewöhnlichen Schritten greifen", sagt Heusgen. 

Großbritannien ist diesen Schritt gegangen: Zusammen mit Kanada, Portugal und Australien hat das Vereinigte Königreich am Sonntag einen palästinensischen Staat anerkannt. Premierminister Keir Starmer begründete die Entscheidung in einem Videostatement. Man tue dies, so Starmer, "um die Hoffnung auf Frieden für Palästinenser und Israelis sowie auf eine Zweistaatenlösung wiederzubeleben".

Wadephul dringt auf Zweistaatenlösung

Die Bundesregierung lehnt eine solche Anerkennung bislang ab. Außenminister Johann Wadephul betonte bei seiner Abreise nach New York, dieser Schritt könne nicht am Anfang - sondern erst am Ende auf dem Weg zu einer Zweistaatenlösung stehen. Ein entsprechender Verhandlungsprozess zwischen Israel und den Palästinensern müsse allerdings "jetzt beginnen".

Ähnlich äußerte sich der außenpolitische Sprecher der Union im Bundestag, Jürgen Hardt. In seinen Augen belohnt die Anerkennung zum jetzigen Zeitpunkt zudem die Falschen. Die Terrororganisation Hamas könne sich so als diejenige Kraft profilieren, die durch die Massaker am 7. Oktober und den bewaffneten Kampf gegen Israel einen palästinensischen Staat überhaupt erst ermöglicht habe.

Verständnis für Anerkennung bei SPD

In Teilen der SPD sieht man das anders. Der außenpolitische Sprecher der Fraktion im Bundestag, Adis Ahmetović, äußerte Verständnis für den britischen Vorstoß. Und auch der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner denkt laut darüber nach, ob Deutschland nicht doch einen Staat Palästina anerkennen sollte: "Emotional würde ich durchaus dazu neigen, zu sagen: Warum machen wir das nicht mit?"

Aber am Ende kommt auch Stegner zu dem Schluss, dass dies wahrscheinlich nicht der erste Schritt auf dem langen Weg zu einem echten Frieden sein kann. Vielmehr müssten die Europäer jetzt mit einer Stimme sprechen und zusammen mit den USA den Druck auf Israels Regierung erhöhen.

Linke wirft Regierung Untätigkeit vor

In New York solle die internationale Gemeinschaft ihr Treffen nutzen, um konkrete Vorbereitungen für eine Zweistaatenlösung zu machen, meint Stegner. Denn nur die gewährleiste am Ende sowohl Israels Sicherheit als auch das Selbstbestimmungsrecht der palästinensischen Bevölkerung.

Der Linken geht das nicht weit genug. "Mut heißt in dieser Stunde, die richtige Seite zu wählen", sagte die Vorsitzende Ines Schwerdtner. Sie wirft der Bundesregierung Untätigkeit vor. Für Schwerdtner ist die Anerkennung Palästinas mehr als ein Symbol. Vielmehr sei sie das "klare Signal, dass eine friedliche Zukunft im Nahen Osten nur auf Grundlage einer Zweistaatenlösung möglich ist".

Experte sieht Zweistaatenllösung in "großer Gefahr"

Aber ist die Zweistaatenlösung überhaupt noch ein realistisches Szenario? "Sie ist in großer Gefahr", warnt Andreas Reinicke, Chef des Deutschen Orient Instituts. Die Stimmung in Israel sei eindeutig dagegen: "Das ist mittlerweile die Mehrheitsmeinung in der israelischen Politik." Nicht nur die Regierung Netanjahus lehne einen palästinensischen Staat ab - zuletzt habe auch eine Mehrheit in der Knesset klar dagegen gestimmt.

Unterdessen gehen in Gaza der Krieg und das Sterben weiter. Hunderttausende sind auf der Flucht. Vor diesem Hintergrund müsse die internationale Staatengemeinschaft jetzt endlich handeln, fordert der ehemalige UN-Botschafter Heusgen. Natürlich könne eine Anerkennung durch Deutschland allein die Lage in den palästinensischen Gebieten natürlich nicht verbessern. Aber auch für Heusgen wäre sie das Zeichen: "Da ist doch ein Licht am Ende des Tunnels".

Noch deutet aber nichts darauf hin, dass die Bundesregierung von ihrer Haltung abrücken wird. 

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.