In ostdeutschen Kommunen gelingt es Bündnissen aus Parteien, Kirche und Vereinen, sich gegen die AfD bei Wahlen durchzusetzen. Aber auch die hat Strategien, um sich weiter zu etablieren.
Im sächsischen Meißen und in Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt geschah vor mehreren Woche das, womit zunächst kaum noch einer mehr rechnete: Zwei parteilose Kandidaten setzen sich bei Wahlen gegen die AfD durch.
Der parteilose Markus Renner erhielt im Rennen ums Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Meißen Anfang September beim ersten Wahlgang mit 58,5 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit. René Jurisch, AfD-Kandidat mit NPD-Vergangenheit, kam auf 30,4 Prozent der Stimmen. In Wolmirstedt leitet künftig der parteilose Kandidat Mike Steffens als Bürgermeister die Geschicke der 12.000-Einwohner-Stadt. Er setzte sich mit 54,4 Prozent der Stimmen gegen den AfD-Kandidaten Mathias Knispel (36,2 Prozent) durch.
Woran lag es? In Meißen hatte Markus Renner ein breites Bündnis aus Parteien und Zivilgesellschaft hinter sich. Schon Anfang Juni warben Stadträte mehrerer Parteien für die Kandidatur des parteilosen Kandidaten, der kein Unbekannter ist. Schon seit 2016 besetzte er das Amt des Bürgermeisters für Finanzen.
Schulterschluss verhindert Sieg der AfD
Dass sich ein breiter Zusammenschluss aus Parteien, Vereinen, Kirche und Privatpersonen hinter einen Kandidaten stellt, um die AfD zu verhindern, passiert nicht zum ersten Mal. Nikolas Dietze forscht am Institut für demokratische Kultur der Hochschule Magdeburg-Stendal zum Ringen der AfD um kommunale Ämter. "Die Intervention über Bündnisse und Kooperationen im Vorfeld von Wahlen spielt im Kommunalen eine sehr entscheidende Rolle", sagt er und nennt Beispiele.
In Bitterfeld-Wolfen etwa konnte sich 2023 in einer Stichwahl um das Amt des Bürgermeisters der Amtsinhaber Armin Schenk (CDU) gegen den AfD-Kandidaten Henning Dornack durchsetzen. Im Vorfeld der Stichwahl habe ein Bündnis für "eine Stadt mit Courage und ohne Rassismus" mobilisiert, sagt Dietze. Zu den zahlreichen Unterzeichnenden eines offenen Briefs gehörte damals auch Ministerpräsident Reiner Haseloff.
Eine ähnliche zivilgesellschaftliche Mobilisierung habe es bereits in Nordhausen in Thüringen gegeben, sagt Dietze. Dort hatte 2023 der parteilose Amtsinhaber Kai Buchmann die Stichwahl zum Oberbürgermeister gewonnen. Mit rund 55 Prozent lag er damals deutlich vor seinem Kontrahenten von der AfD, Jörg Prophet. In Thüringen wie auch in Sachsen-Anhalt hat der Verfassungsschutz die Landesverbände der Alternative für Deutschland (AfD) als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft.
Die Beispiele zeigen: Es gibt Mittel, um die AfD von kommunalen Ämtern fernzuhalten. Bürgerschaftliche Aktivitäten und Mobilisierungen breit aufgestellter Zusammenschlüsse für Demokratie und gegen Rechtsextremismus können Machtgewinne der AfD kurzfristig verhindern, heißt es auch in einem Bericht, an dem Nikolas Dietze gemeinsam mit dem Magdeburger Politikwissenschaftler Matthias Quent gearbeitet hat.
"Wichtig ist die Frage: Ist es einer von uns?"
Auch der Chemnitzer Politikwissenschaftler Benjamin Höhne beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem damit, wie die AfD die Kommunalpolitik verändert. Er sagt: Bei Wahlen im Kommunalen gehe es weniger um Parteien als um Personen. "Auf kommunaler Ebene sind Persönlichkeiten gesucht, die eine Idee haben, wohin sich ihre Kommune entwickeln soll", sagt Höhne. "Persönliche Bekanntheit und Verlässlichkeit sind weitere positive Eigenschaften. Wichtig ist auch die Frage, gerade im Osten: Ist es einer von uns?"
Auf kommunaler Ebene kämen nicht-parteipolitische Akteure zu mehr Erfolg, erklärt Höhne. Das hänge unter anderem mit einer allgemeinen Abwendung der Wählerschaft von Parteien zusammen.
Bröckelige Brandmauer im Kommunalen
Mit diesem Prinzip punkte auch die AfD, sagt Dietze. Die Partei versuche, sich ihr Fundament von unten zu schaffen, indem sie nahbare und scheinbar moderate Kandidaten positioniere. Für die AfD sei es ein entscheidendes Mittel, sich auf der kommunalen Ebene zu verankern, sagt Dietze.
Indem die AfD sich auf kommunaler Ebene als Praxispartner für demokratische Parteien empfehle, versuche sie, die Brandmauer, die auf Landes- und Bundesebene noch existiere, von unten her ins Wanken zu bringen. "Die Partei will zeigen: Wir machen hier gute Sacharbeit, wir können politisch arbeiten, wir sind nicht nur die, die querschießen" - um sich in der Folge auch für Kooperationen auf höherer Ebene zu empfehlen.
Ähnlich äußert sich Dietzes Kollege Benjamin Höhne. "Der AfD ist es gelungen, aus der rechten Ecke, wo sich NPD, DVU und Republikaner befunden haben, herauszukommen", sagt er. Die AfD versuche, sich als eine normale Partei zu präsentieren. Dennoch sei zu beobachten, dass die AfD das mache, worauf sie spezialisiert sei: "Angst schüren bei zivilgesellschaftlichen Organisationen, Kultur und Einrichtungen, die sich für Demokratie, für Menschen mit Migrationshintergrund, für Vielfalt einsetzen", sagt Höhne.
Die AfD und die Normalisierung von unten
Ein Beispiel für einen bürgernahen AfD-Kandidaten hat Politikwissenschaftler Dietze genauer untersucht: den AfD-Bürgermeister der sachsen-anhaltischen Kommune Raguhn-Jeßnitz, Hannes Loth.
Loth habe vor Ort das Ansehen, das für größere Wahlen entscheidend sei: "Er ist bekannt, er hat sich lange für die Region engagiert, er genießt einen guten Ruf", sagt Dietze. Dabei werde eine Tatsache in den Hintergrund gerückt: "Dass Loth seit 2013, seit dem Gründungsjahr der AfD, Parteimitglied ist, und dementsprechend jeden Schritt der Radikalisierung mitgegangen ist."
Der Plan geht demnach auf: Die AfD versucht, im Kommunalen nicht so aggressiv aufzutreten wie etwa auf Bundesebene. Die Partei konzentriere sich vielmehr auf Sachthemen wie Infrastruktur oder lokale Belange, sagt Dietze. Und da versuche die Partei auch, Möglichkeiten für Kooperationen zu finden. Dass das funktionieren kann, zeigte sich schon 2023, als der thüringische Landtag mit Stimmen von CDU, AfD und FDP eine Steuersenkung beschlossen hatte.
Wird die AfD "entzaubert"?
In Anbetracht all dessen warnt Nikolas Dietze jedoch vor pauschalen Aussagen, egal, ob die AfD Ämter besetze oder nicht. Oft geistere eine "Entzauberungsthese" herum, die besage: "Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn AfD-Politiker Ämter besetzen, dann werden sie demaskiert." Von dieser Entzauberung, sagt Dietze, sei wenig zu sehen. Im Gegenteil: Wenn die AfD ein Amt besetze, dann bewähre sie sich in der Regel auch.
Bei den Kommunalwahlen 2024 ist die AfD in Sachsen-Anhalt mit rund 28 Prozent der Stimmen als stärkste Kraft hervorgegangen. Bei der Bundestagswahl im Februar schnitt die Partei als stärkste Kraft ab. Auch auf sächsischer Landesebene liegt die AfD derzeit in Umfragen vor der CDU.
All das sei auch mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen nicht zu unterschätzen, sagt Dietze. Beispiele wie Nordhausen, Meißen oder Bitterfeld-Wolfen zeigten jedoch auch, dass die Zusammenarbeit der demokratischen Parteien fruchten könne, sofern sich die Parteien nicht vor möglichen Koalitionen verschließen.
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