Erst ab 14 oder 16 Jahren? Die Bildungsministerin will den Zugang zu sozialen Netzwerken beschränken. Was sagen Netzexperten dazu - und die Jugendlichen selbst?
Wildes Gewusel bei den Jugendpolitiktagen in Berlin: Junge Menschen zwischen 16 und 27 Jahren tauschen sich hier aus, wollen mit Politikern ins Gespräch kommen, sich beteiligen. Doch vor allem treibt sie die aktuelle politische Debatte um: eine Altersgrenze bei Social Media.
Angestoßen hat sie Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU): Die Altersbeschränkung "kann bei 14 oder 16 liegen, darüber werden wir sprechen müssen".
Im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio zeigen sich viele Jugendliche skeptisch. Eine Grenze bei 16 Jahren halten sie für überzogen, ein Mindestalter von 14 hingegen erscheint einigen sinnvoll. Andere lehnen feste Grenzen komplett ab - mit dem Hinweis: Wer keine Zeitung mehr liest, informiert sich über Politik und Weltgeschehen auf TikTok & Co.
Australien hat die Beschränkung bereits eingeführt
So unterschiedlich die Meinungen der Jugendlichen sind, so gespalten zeigt sich derzeit auch die Bundespolitik. Es ist ein Spannungsfeld zwischen Schutz und Selbstbestimmung, zwischen Vertrauen und Verbot.
Während soziale Plattformen täglich neue Trends setzen, hat die Politik lange kaum reagiert - zu lange? "Wir haben eine Situation, dass Kinder aber, auch Jugendliche in einem Ausmaß Bildschirmzeiten haben, die gesundheitsschädlich sind, die Suchtverhalten hervorrufen", warnt Bildungsministerin Prien.
Aus diesem Grund hat die Regierung in Australien vergangenes Jahr beschlossen: Kein Social Media mehr unter 16 Jahren. Die Betreiber wurden verpflichtet, bis nächstes Jahr Altersverifikationssysteme einzuführen - andernfalls drohen Bußgelder in Millionenhöhe, bis zu 31 Millionen Euro.
Kommission soll Empfehlungen ausarbeiten
Deutschland ist davon noch weit entfernt. Doch vor der Sommerpause will die Bundesregierung eine interdisziplinäre Kommission einsetzen, die wissenschaftlich fundierte Empfehlungen für einen modernen Jugendmedienschutz erarbeiten soll.
Kinder und Jugendliche seien auf den Plattformen oft schutzlos konfrontiert mit Pornografie, Gewaltvideos oder Extremismus, warnt Prien. "Wir brauchen eine wirksame Altersverifikation - die gibt es in Deutschland bisher nicht."
Mit der Kommission erfüllt die Bundesregierung ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Unterstützung kommt etwa von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), der sich für ein Mindestalter von 16 Jahren ausspricht.
Söder will keine Altersgrenzen
Doch es gibt auch kritische Stimmen - prominentester Widersacher: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio nennt er ein mögliches Verbot für unter 16-Jährige "totalen Quatsch" und "realitätsfremd". Der Vorschlag sei "ein bisschen altbacken, altmodisch und aus der Zeit", so Söder. Statt Altersgrenzen brauche es mehr Medienkompetenz und Eigenverantwortung. Der CSU-Chef, selbst aktiver Social-Media-Nutzer mit 740.000 Followern auf Instagram, ist vor allem für seine Essens-Videos unter dem Hashtag #söderisst bekannt.
Auch Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, stellt sich gegen feste Altersgrenzen. Er betont die positiven Seiten digitaler Kommunikation - etwa für Kinder mit Verwandten im Ausland oder Geflüchtete. YouTube sei nicht nur Unterhaltung, sondern auch Lernort. Zudem bezweifelt Düll, dass Alterskontrollen technisch zuverlässig umsetzbar seien.
Probleme mit der Technik
Wie realistisch also ist eine echte, funktionierende Altersgrenze für TikTok und Co? Markus Beckedahl ist Deutschlands bekanntester Aktivist für Datenschutz, Netzpolitik und digitale Rechte. Zu einem Verbot von Social Media-Plattformen für Kinder und Jugendliche hat er ein "ambivalentes Verhältnis", wie er sagt.
"Wir lassen Kinder auf Plattformen, die wir nicht verstehen", so Beckedahl. "Die Forschung sagt, viele Mechanismen dieser Plattformen machen süchtig und können schädliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche haben." Insofern ist für Beckedahl mindestens eine stärkere Regulierung von Social-Media notwendig - und vielleicht auch ein Verbot für junge Altersgruppen.
Das Problem dabei ist die Technik. Regeln gibt es bereits. Gewisse Plattformen wie TikTok dürfen erst ab 13 Jahren genutzt werden. Bei der Altersabfrage können die Kids aber oft einfach ein anderes Geburtsdatum angeben. "Wir haben keine gut funktionierenden Alters-Verifikationssysteme", klagt Beckedahl.
Tik Tok sieht kein Problem
Auf der anderen Seite, bei den Social Media-Betreibern, sieht man dieses Problem nicht. TikTok teilt auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios mit, dass man mehr Kinder- und Jugendschutz betreibe, als viele Mitbewerber. Angestellte - also echte Menschen, keine Algorithmen - überprüfen demnach, ob die jungen Menschen in den Videos auf TikTok wirklich schon mehr als 13 Jahre alt sind. Etwa 20 Millionen Konten von mutmaßlich unter 13-Jährigen würden pro Quartal entfernt. Der Feed, also die Seite, auf der den Nutzern Video nach Video angezeigt wird, zeigt unterschiedlichen Altersgruppen ein unterschiedliches Angebot - altersgerecht, wie TikTok versichert.
Doch Social Media-Verbot für Kinder und Jugendliche hin oder her: Ein Grundproblem würde auch damit nicht gelöst, gibt Netzaktivist Beckedahl zu: "Das Leben der Jugendlichen findet auf diesen Plattformen statt. Damit müssen wir erstmal umgehen."
Man habe sich von wenigen Plattformen abhängig gemacht, die teilweise in der Hand von einzelnen Personen liegen, klagt der Netzaktivist. "Wir würden es auch nicht akzeptieren, wenn unsere Straßen auf einmal Mark Zuckerberg gehören würden. Aber in der digitalen Welt haben wir es verlernt, uns demokratische Infrastrukturen vorzustellen, die gemeinwohlorientiert funktionieren." Wer die betreiben könnte? Beckedahl schwebt da der öffentlich-rechtliche Rundfunk vor.
Nicht nur Tanz Challenges, sondern auch News
Ähnlich sieht das auch der jüngste Bundestagsabgeordnete: der 23-jährige Luke Hoß aus Bayern von der Linken. Die Tech-Konzerne müssten in die Pflicht genommen werden. Ein Verbot hält er allerdings nicht für zielführend - soziale Medien seien derzeit eben die "wichtigsten Medien", dort tauschten sich junge Menschen aus, kommunizierten und informierten sich.
Und die jungen Menschen auf den Jugendpolitiktagen? Die bleiben erstmal auf TikTok und Co. Wegen der Beauty-Tipps, #söderisst und Tanz-Challenges - aber nicht nur. Denn auch auf Social Media gibt es News, politische Bildung und Debatten.
Einen Vorschlag hätte einer der Jugendlichen allerdings: "Dass die Jugend mehr eingebunden wird in der Politik. Also dass man sich als Bundesregierung von jungen Leuten Rat holt. Dass man nicht immer nur auf Experten älterer Altersklassen hört, sondern wirklich auch die jungen Leute mal einbezieht, was sie für Vorschläge haben."
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