Bevor Patienten zum Facharzt gehen, sollen sie erst zum Hausarzt: Union und SPD planen das Primärarztsystem für gesetzlich Versicherte. Welche Hoffnungen und Sorgen es gibt, zeigt sich in den Praxen.

Das Konzept des Primärarztsystems ist simpel: Der Hausarzt soll immer die erste Anlaufstelle für die Patienten sein. Bei Bedarf wird der Patient dann von hier an einen Facharzt weitervermittelt, ausgenommen davon sind Augenärzte und die Gynäkologen.

Durch das Primärarztsystem sollen die Ressourcen von Ärzten effizienter genutzt und Kosten gespart werden. Außerdem wünscht sich die schwarz-rote Koalition, dass Patientinnen und Patienten dadurch schneller einen Termin bei einem Facharzt bekommen. Überflüssige Untersuchungen sollen reduziert und Fachärzte dadurch entlastet werden. Aber kann das klappen?

Freiwilliges Primärarztsystem existiert bereits

Schon jetzt gibt es in Deutschland ein Primärarztsystem, das Hausarztmodell - auf freiwilliger Basis. Die gesetzlichen Krankenkassen sind dazu verpflichtet, eine hausarztzentrierte Versorgung (HzV) anzubieten. Dazu schließen die Krankenkassen entsprechende Verträge mit Hausarztverbänden ab.

Patientinnen und Patienten, die an dieser hausarztzentrierten Versorgung teilnehmen, verpflichten sich gegenüber ihrer Krankenkasse dazu, immer zunächst die Hausärztin oder den Hausarzt aufzusuchen. Fachärzte dürfen dann nur mit einer Überweisung in Anspruch genommen werden. Bundesweit nehmen mehr als zehn Millionen Versicherte daran teil.

Zwei bis fünf Patienten mehr pro Hausarzt

In der Praxis von Hausärztin Jana Husemann in Hamburg gibt es das System schon seit zwölf Jahren. Sie empfindet es als große Entlastung. "Es gibt Studien, dass wir 80 bis 90 Prozent aller Anliegen in der Praxis lösen können. Die Patienten müssen dann nicht die Tortur der Terminsuche bei Fachärzten durchmachen", so die Allgemeinmedizinerin.

Sie rechnet mit zwei bis fünf Patienten mehr pro Hausarztpraxis. "Dadurch, dass aber Bürokratie wegfällt, weniger Doppeluntersuchungen anstehen und wir nicht die Befunde von drei verschiedenen Orthopäden erklären müssen, ist die berechtige Hoffnung, dass mehr Zeit frei wird." Gleichwohl, sagt auch sie, brauche es mehr Abschlüsse in der Allgemeinmedizin.

Zusätzliche Belastung der Hausärzte

Kassenärzte-Chef Andreas Gassen ist skeptischer. Er befürchtet überlaufene Praxen - vor allem bei beliebten Hausärzten oder an Orten, wo die Dichte von Hausärzten generell niedriger ist.

Das ist auch eine Sorge, die manch ein Patient in der Infekt-Sprechstunde von Allgemeinmedizinerin Husemann teilt. "Natürlich werden die anderen Ärzte entlastet, aber die Hausärzte überlastet. Das wäre eine Sorge, die ich dabei hätte", sagt ein Patient. Gleichzeitig findet er es gut, dass er eine klare Anlaufstelle hat, bei der er weiß, wie es weitergeht.

Fachärzte fordern intelligente Steuerung

HNO-Arzt Dirk Heinrich fordert eine intelligente Arbeitsteilung zwischen Haus- und Fachärzten. "Man sollte die chronisch Kranken in der Facharzt-Betreuung lassen, ohne dass man sie jedes Quartal zum Hausarzt schickt", sagt er. Er rechnet mit 20 bis 30 Prozent weniger Patienten. Diese Umsatzverluste müssten aufgefangen werden.

Fachärzte müssten in einem Primärarztmodell voll honoriert werden. In der hausarztzentrierten Versorgung sei das nicht der Fall, dort würden nur 75 Prozent der Leistungen von Fachärzten aus Hamburg bezahlt.

Andere Bundesländer würden deutlich besser zahlen, so Heinrich. In Bayern etwa würden 94 Prozent der Leistungen bezahlt, da die süddeutschen Krankenkassen durch das höhere Lohnniveau finanziell besser ausgestattet seien. Die Hausärzte bekommen in der hausarztzentrierten Versorgung pro Patient hingegen mehr Geld. In Hamburg sei es ungefähr ein Drittel mehr, so Jana Husemann.

Bei einem sind sich Hausärztin und Facharzt aber einig: Wenn die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Regierung ein Primärarztsystem einführen wollen, sei das eine Mammutreform. Wie die Vergütung genau aussehe, stehe noch in den Sternen. Beide rechnen frühestens 2027 mit dem neuen System.

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