Der Bundestag hat beschlossen, dass die viel diskutierte Wahl von drei Bundesverfassungsrichtern vorerst nicht stattfindet. Was bedeutet das für das Gericht und wie geht es jetzt weiter?

Ist das Bundesverfassungsgericht weiter arbeitsfähig?

Eigentlich sollten heute im Bundestag drei neue Richter für das Bundesverfassungsgericht gewählt werden - doch nach dem Eklat um die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf wurden alle drei Wahlen von der Tagesordnung genommen. Bis es zur Neuwahl kommt, könnte nun einige Zeit vergehen, denn die heutige Bundestagssitzung war die letzte Sitzung vor der Sommerpause 2025.

Für Josef Christ, Richter am Bundesverfassungsgericht bedeutet dies, dass er zunächst weiterhin kommissarisch im Amt bleiben wird. Eigentlich endete seine Amtszeit aus Altersgründen schon im November 2024 zu seinem 68. Geburtstag. Doch im Bundesverfassungsgerichtsgesetz ist geregelt, dass die Richterinnen und Richter die Amtsgeschäfte bis zur Ernennung des Nachfolgers fortführen.

Christ bleibt also weiterhin Richter. Gleiches gilt für die Bundesverfassungsrichterin und Vizepräsidentin Doris König, deren Amtszeit ebenfalls aus Altersgründen Ende Juni endete.

Das Karlsruher Gericht bleibt also arbeitsfähig. Die Ungewissheit, wann Nachfolger oder Nachfolgerinnen gewählt werden, ist aber auch für das Bundesverfassungsgericht nicht einfach. Nachbesetzt werden muss auch die Stelle von Richter Ulrich Maidowski. Der hat aus gesundheitlichen Gründen darum gebeten, Ende September vorzeitig aus dem Amt ausscheiden zu dürfen. Hier ist der Zeitdruck also zumindest nicht ganz so akut.

Gibt es Fristen für die Wahl?

Das Bundesverfassungsgericht kennt keine ganz starren Fristen für die Wahl. Allerdings: Wenn innerhalb von zwei Monaten nach dem Ende der Amtszeit eines Richters oder einer Richterin die Wahl eines Nachfolgers nicht zustande kommt, dann soll der Wahlausschuss des Bundestages das Bundesverfassungsgericht auffordern, selbst Vorschläge zu machen.

Das ist im Fall von Josef Christ auch geschehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte aufgrund der vorgezogenen Bundestagswahl dem neuen Bundestag zunächst noch etwas Zeit gelassen. Am 22. Mai beschloss das Plenum des Gerichts dann aber Vorschläge für eine Nachfolge von Christ. Auf der Liste stand unter anderem Günter Spinner, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht. Die Union machte sich diesen Vorschlag zu eigen und schlug ihn für die Wahl vor.

Claudia Kornmeier, ARD Berlin, zur Absetzung der Verfassungsrichterwahl nach Plagiatsvorwürfen

tagesschau, 11.07.2025 12:00 Uhr

Wie geht es nun weiter?

Erst seit dem vergangenen Jahr kennt das Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine weitere Frist, die für die Nachfolge von Christ nun entscheidend werden könnte: Schafft es der Bundestag nicht innerhalb von drei Monaten nach der Vorschlagsliste des Gerichts, einen Nachfolger zu wählen, kann der Bundesrat die Wahl übernehmen. Die drei Monate laufen Ende August ab, also mitten in der parlamentarischen Sommerpause.

Die Vorschrift war eigentlich geschaffen worden, um zu verhindern, dass eine Wahl durch extreme Fraktionen blockiert wird. Allerdings konnten sich Union und SPD wegen des Streits um Frauke Brosius-Gersdorf nicht auf die Wahl einigen.

Dafür ist die Regel sicher nicht geschaffen worden, greifen würde sie aber dennoch. Allerdings steht im Bundesverfassungsgerichtsgesetz, das andere Wahlorgan "kann" übernehmen. Der Bundesrat ist also nicht verpflichtet und würde vielleicht auch darauf verzichten, wenn der Bundestag eine Einigung signalisiert.

Brosius-Gersdorf - worum geht es bei den Vorwürfen? Die Unionsfraktion hat von der SPD den Verzicht auf die Wahl der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf für das Bundesverfassungsgericht gefordert. Als Grund dafür wurden Zweifel an ihrer Doktorarbeit genannt, aufgrund einer Veröffentlichung des als "Plagiatsjäger" bekannten Stefan Weber auf dessen Website.

Dieser hatte bemängelt, dass es in der Dissertation von Brosius-Gersdorf "23 Verdachtsstellen auf Kollusion und Quellenplagiate" gebe. Konkret geht es um sogenannte Textidentitäten in der Doktorarbeit der SPD-Kandidatin und der Habilitation ihres Ehemannes, Hubertus Gersdorf.

Allerdings erschien die Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf bereits im Jahr 1997, die Habilitation ihres Mannes erst im Jahr 2000. Rein zeitlich ist es also höchst unwahrscheinlich, dass Brosius-Gersdorf die Passagen übernommen hat. Auch Weber selbst teilte auf der Plattform X mit, dass die Sichtweise der CDU, dass von ihm Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf erhoben wurden, falsch sei.

Der Plagiatsexperte Jochen Zenthöfer sieht das ähnlich. In der Plagiatsforschung gelte der Grundsatz, dass bei Textidentitäten die Arbeit als sauber gelte, die zuerst da war - also in dem Fall die von Brosius-Gersdorf.

Der Plagiatsprüfer Weber nahm bereits zahlreiche Politikerinnen und Politiker ins Visier. So erhob er schon Vorwürfe gegen Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck und Annalena Baerbock (beide Grüne).

Welche Szenarien sind denkbar?

Möglich ist, dass SPD und Union sich jetzt in der Sommerpause doch noch auf die Kandidaten einigen, die im Wahlausschuss ja auch schon eine Mehrheit bekommen haben. Also Spinner, Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold.

Möglich wäre aber auch, dass sie sich zum Teil oder komplett auf andere Kandidaten einigen. Für eine Wahl käme dann eine der ersten Sitzungen nach der Sommerpause infrage. Eine Sondersitzung in der Sommerpause wäre auch möglich, scheint aber nicht wahrscheinlich. Bis dahin müsste der Bundesrat dann noch die Füße stillhalten, die Wahl also nicht übernehmen.

Variante zwei wäre, dass der Bundesrat nach dem 22. August die Wahl für die Nachfolge von Christ übernimmt. Auch hier könnte es um denselben Kandidaten gehen, man könnte sich unter den Ländern aber auch auf einen anderen Vorschlag verständigen.

Zeigt der aktuelle Streit nicht, dass eine politische Wahl der Richter falsch ist?

Das ist auf den ersten Blick eine sehr berechtigte Frage. Denn die Richterinnen und Richter sollen unabhängig sein. Sie sind es, die der Politik auf die Finger schauen sollen. Sie haben also gerade die Funktion, die Politik zu kontrollieren, von der sie gewählt werden.

Aber: Die Richter haben sehr viel Macht, sie können Gesetze kippen. Und Macht im Staat muss immer demokratisch legitimiert sein. Das heißt: Sie muss zurückzuführen sein auf die Wählerinnen und Wähler. Der Bundestag wird von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt. Deshalb ist es in der Demokratie wichtig, dass auch die Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht gewählt werden. Die Zweidrittelmehrheit gewährleistet seit vielen Jahren, dass die Richterinnen und Richter, die nach Karlsruhe kommen, auf einem politischen Konsens beruhen.

Wie sehr sind die gewählten Richter der Partei verpflichtet, die sie vorgeschlagen hat?

Die Erfahrung aus fast 75 Jahren Bundesverfassungsgericht zeigt, dass Richterinnen und Richter in Karlsruhe keine Parteilinien durchsetzen. Und man hört auch immer wieder aus dem Gericht: Wer hier im Beratungsraum parteipolitisch und nicht verfassungsrechtlich argumentiert, der wird von den anderen nicht ernst genommen. Jede Richterin und jeder Richter hat auch nur eine Stimme im Gericht.

Entscheidend dürfte aber auch sein, dass Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht nicht wiedergewählt werden können. Die Amtszeit beträgt zwölf Jahre - danach ist es vorbei. Das heißt: Man muss der Partei, von der man vorgeschlagen wurde, auch nicht gefallen, um eventuell ein zweites Mal vorgeschlagen zu werden. Parteien sind oft mit den Entscheidungen aus Karlsruhe nicht einverstanden. Auch das zeigt: Es klappt sehr gut mit der politischen Unabhängigkeit.

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