Gewalt gegen die Polizei war vor allem rund um Silvester ein Thema. Dabei gibt es regelmäßig Übergriffe gegen Einsatzkräfte. Doch auch Polizisten müssen sich Vorwürfen stellen.
Vor wenigen Wochen veröffentlichte ein Berliner Polizist einen eindringlichen Appell. "Wir brauchen Konsequenzen! Klare Urteile, schnellere Verfahren, schärfere Gesetze, mehr Rückhalt von Politik, von Justiz - und von der Gesellschaft, für die wir jeden Tag den Kopf hinhalten", schrieb der anonyme Autor. Mit seinem offenen Brief wollte er auf Gewalt gegen sich und seine Kollegen aufmerksam machen.
Für Polizisten können gewalttätige Übergriffe langfristige Folgen haben, wie etwa in dem Fall einer jungen Beamtin, die in der Silvesternacht 2023 angegriffen wurde und bis heute darunter leidet. Ihren Job aufgeben will sie aber nicht.
Erst vor wenigen Tagen erfolgte dazu das Urteil in Berlin: Zehn Monate Jugendhaft auf Bewährung, Freizeitarbeit und 4.000 Euro Schmerzensgeld soll ein junger Mann dafür zahlen, dass er die Polizistin mit der Faust mehrfach ins Gesicht schlug. Immerhin sei der Fall überhaupt vor Gericht gelandet, sagt Benjamin Jendro, der Berliner Sprecher der Gewerkschaft der Polizei. Oft passiere lange Zeit nichts, dann werde der Fall eingestellt. "Doch auch ein Urteil ist häufig noch ein Schlag ins Gesicht von Kollegen."
Gewerkschafter beklagen Verrohung
Mehr als 100.000 Polizisten wurden laut Kriminalstatistik bundesweit im vergangenen Jahr als Opfer von Angriffen registriert. So kommt es unter anderem zu Übergriffen auf Polizisten, die einen mutmaßlichen Straftäter festnehmen wollen. Familienclans wollen die Verwandten befreien und sind erst durch ein massives Polizeiaufgebot zurückzudrängen. Bei Demonstrationen werden Steine geworfen, Feuerwerkskörper auf Polizisten abgefeuert und Schlaginstrumente eingesetzt. Anspucken, Beleidigungen und verbale Angriffe sind schon fast Alltag.
Es müssen nicht unbedingt schwerste Verletzungen sein, doch es bleiben Spuren bei den Polizisten, die es als ihren Auftrag verstehen, die Bürger vor Kriminalität zu schützen. "Jeder Angriff gegen einen Polizisten ist ein Angriff gegen den Rechtsstaat", steht in dem offenen Brief des Berliner Polizisten. Gewerkschafter beklagen seit Jahren eine zunehmende Verrohung, fehlenden Respekt und fehlenden Rückhalt für die Polizei in der Gesellschaft, auch von Politikern.
Bürgerbeschwerden über die Polizei
Aber es gibt auch Gewalt, die von Polizisten und anderen Einsatzkräften ausgeht. In Berlin können sich Betroffene, die keine Anzeige erstatten, an den unabhängigen Ombudsmann Alexander Oerke wenden. Er ist zuständig für Bürgerbeschwerden gegen die Polizei und interne Hinweise von Polizisten gegen Kollegen. Es geht um alles zwischen unhöflichem Verhalten bis zu möglicherweise rechtswidriger Polizeigewalt.
Oerke befasst sich dann mit den Vorwürfen und veröffentlicht seine Bewertung in einem jährlichen Tätigkeitsbericht. Im vergangenen Jahr gab es demnach 190 Beschwerden. Es sind noch nicht alle endgültig beschieden - klar ist nur: 56 Beschwerden waren sicher unbegründet, 14 begründet, in anderen Fällen wird weiter ermittelt oder es wurde durch Beratung und Schlichtung Abhilfe geschaffen.
In sozialen Netzwerken finden sich Tausende von Videos, die ein hartes Vorgehen durch Beamte belegen sollen. Auch Oerke bekommt solche Videos zugeschickt. Oft zeigen die Aufnahmen laut seinem Jahresbericht allerdings nur verfälschte, aus dem Kontext gerissene Ausschnitte und haben keine Aussagekraft.
Hinzu kommt, dass ein hartes Vorgehen der Polizei staatlich durchaus legitimiert ist. Der Einsatz von Zwangsmitteln, also von Pfefferspray, Festhalte- und Transportgriffen und auch der Schusswaffe ist grundsätzlich zulässig, solange diese Mittel "verhältnismäßig" sind. Diese Verhältnismäßigkeit wird regelmäßig im Nachhinein von Gerichten und auch von der Polizei intern überprüft, wenn es Anlass dazu gibt oder gar eine Anzeige von Betroffenen vorliegt.
Wenn Polizisten vor Gericht stehen
Und das hat im Zweifel auch Konsequenzen. Immer wieder werden Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet. Über ihre genaue Anzahl gibt es allerdings keine belastbare Statistik. Auch zur Verurteilung von Polizisten kommt es höchst selten, meist wegen Mangels an Beweisen oder weil der Nachweis, dass Gewaltanwendung nicht angemessen war, schwer zu führen ist, wenn Aussage gegen Aussage steht.
Denn Polizisten können sich in den meisten Fällen darauf verlassen, dass ihre Kollegen nicht gegen sie aussagen würden, sagt Lorenz Blumenthaler von der Amadeu-Antonio-Stiftung, die unter anderem Betroffene von Polizeigewalt unterstützt. Es herrsche immer noch ein Korpsgeist in der Institution Polizei, den nur wenige brechen.
Um ein solches Beispiel geht es in einem Prozess in Berlin. Seit Anfang Juli stehen vier Polizisten vor dem Landgericht. Einer von ihnen soll in der Berliner Alexanderplatz-Wache einen Mann mehrfach ins Gesicht geschlagen haben. Der Polizist verließ inzwischen die Behörde, bevor ein entsprechendes Verfahren eingeleitet werden konnte. Bei seinen Kollegen geht es auch darum, ob sie ihn gedeckt haben, beziehungsweise wer eine Anzeige gegen den mutmaßlichen Schläger verhindert hat. Das Opfer bekam eine Anzeige wegen Widerstandes. In diesem Fall vergingen vier Jahre zwischen Tat und Prozess. Immerhin soll noch in diesem Monat ein Urteil fallen.
Stiftung geht von großem Dunkelfeld aus
Für Blumenthaler ist solch ein Fall typisch. Betroffene von Polizeigewalt würden oft gar nicht gegen die Täter vorgehen, weil sie nicht an einen Erfolg ihrer Anzeige glaubten. Immer wieder komme es vor, dass eine Anzeige gegen Polizisten sofort mit einer Gegenanzeige beantwortet wird, etwa wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte wie in Berlin. Zudem müssten meist die eigenen Kollegen gegen den Täter ermitteln.
Ein institutionelles Problem für Blumenthal, das verändert werden muss. Eine unabhängige Instanz sei in solchen Fällen notwendig. Und letztlich: Wenn es wirklich mal zum Prozess komme, dauere der sehr lang. Es gebe deshalb ein großes Dunkelfeld zum Thema Polizeigewalt. Öffentlich bekannt und statistisch relevant würden dann tatsächlich nur Einzelfälle.
Aber gerade die Gewerkschaft der Polizei sieht einen Kulturwandel bei den Kolleginnen und Kollegen. Inzwischen gingen auch Anzeigen wegen unverhältnismäßiger Polizeigewalt auf Kollegen des Gewalttäters in Uniform zurück. "Ich glaube schon, dass gerade in den letzten Jahren auch die Berliner Polizei sehr deutlich gemacht hat, wenn ihre Kollegen Grenzen übertreten", sagt Gewerkschafter Benjamin Jendro. Nur, wenn Polizisten sich bedroht und pauschal als Gewalttäter vorverurteilt fühlten, sei die Stimmung dafür schwierig.
Blumenthal dagegen fordert eine Null-Toleranz-Politik in der Polizei für Fehltritte der eigenen Kollegen. Schließlich besitze die Polizei das Privileg auf Ausübung von Gewalt von Staats wegen. Diese Verantwortung müsse in jede Richtung und mit größtmöglicher Transparenz wahrgenommen werden.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.