Im Alltag finde ich sie aushaltbar – Alphatiere, die den Takt angeben. Oft tummeln sie sich in den Teppichetagen oder erklimmen gerade die Karriereleiter. Arbeitsalltag ganz ohne Alphatierchen? Keine Frage, ohne sie würde das Business tierisch leiden.

Ferien mit Alphatieren stelle ich mir hingegen anstrengend vor. Denn Alphatiere fahren nicht einfach weg. Sie haben ein klares Ziel. Nur ausruhen ist keine Option, denn das Alphatier will auch vom Urlaub profitieren.
Zum Beispiel Sightseeing: Das Alphatier will alles Sehenswürdige gesehen haben und zählt dabei auf zig Reiseführer. Schon vor der Abreise hat es sich eine Liste gemacht, die es abarbeiten muss. Schlendern durch die Stadt? Läuft nicht. Lieber lässt es sich vom Smartphone führen oder steht stundenlang Schlange vor dem Petersdom. Denn wenn ein Alphatier in die Ferne reist, will es natürlich seinen Horizont erweitern.
Naturgemäss weiss das Alphatier meist besser, wo der Weg hingehen soll.
Auch beim Kulinarischen überlässt das Alphatier nichts dem Zufall: Das Alphatier weiss, was und wo es essen will – und reserviert Restaurants im Voraus. Kläglich wäre es doch, es könnte den saftigsten Hummer im ganzen Mittelmeerraum nicht knacken.
Reist das Alphatier im Rudel, nimmt es natürlich dessen Wünsche entgegen. Schwarmintelligenz – das hat es im Job gelernt – ist ja heutzutage eine wichtige Ressource. Doch naturgemäss weiss das Alphatier meist besser, wo der Weg hingehen soll. Schliesslich ist es der geborene Leader. Alternative Reisevorschläge versanden. Und die Reisegruppe landet sicherlich nicht am Strand mit fancy Schirmchendrink.
Das Allerbeste rausholen? Da bin ich raus. Bei mir zählt in den Ferien der Zufall, der Moment.
Klingt so, als wäre ich ein Faultier, das am liebsten am Strand brutzelt und sich um Kultur foutiert? Natürlich nicht. Schliesslich darf ich mich ja Kulturredaktorin nennen. Aber im Urlaub rumstressen, um das Allerbeste rauszuholen? Da bin ich raus.
Bei mir zählt in den Ferien der Zufall, der Moment. Auch wenn ich dann das angeblich Beste verpasse. «Fomo» ist für mich, auch jenseits der Ferienzeit, ein Fremdwort. Mein Ferien-Modus: eigentlich relaxt. Wäre da nicht mein kleines Rudel, das aus zwei bossy Nachwuchs-Alphatierchen besteht.
Und eine Befürchtung habe ich noch: Hat das Alphatier alle Sehenswürdigkeiten abgehakt, entpuppt es sich als Partylöwe. So richtig die Sau rauslassen und literweise Piña Colada aus dem Eimer schlürfen? (Ein)geschenkt! Denn ein bisschen Spass muss bei Menschen, die sonst wirklich keine Zeit für haben, doch noch sein. (Hölle, Hölle, Hölle, Hölle!)
Im Alltag ist das Alphatier dann wieder ganz der Alte. Wie waren die Ferien, fragen dann die Kollegen höflich. Fantastisch – und diese Fenster in der Notre-Dame. Wunderbar. Kulturerbe – zum Glück gerettet. Den Kater hat das Alphatier natürlich vergessen. Er war ja auch nicht geplant.
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