Mittwoch 15.50 Uhr – Herzlich willkommen!
Warum macht sich denn der Huth schon zwei Tage vor der Premiere in Bayreuth auf dem Weg nach Franken? Hat der nichts Besseres zu tun? Berechtigte Frage – einfache Antwort: Ungewöhnlicherweise findet die Pressekonferenz zur kommenden Spielzeit morgen schon um 10.30 Uhr statt und nicht wie sonst am Nachmittag. Und die wird es in sich haben. Denn 2026 wird in Bayreuth das 150. Jubiläum der Festspiele gefeiert – und wir sind natürlich alle gespannt, wie das begangen wird. Wir erinnern uns an die Festspiele von 1976 (ehrlich gesagt, erinnere ich mich nicht, weil ich da erst sieben Jahre alt war), als Patrice Chéreau mit seiner Inszenierung des „Rings“ für den größten denkbaren Mega-Skandal gesorgt hat. Stundenlange Buhs, ausgerissene Ohrringe, Blut– Sie kennen die Geschichte.
Nein? Dann, Russ, fass das doch bitte mal in zehn Sätzen zusammen!
Der Skandal um den „Ring des Nibelungen“ von Patrice Chéreau in Bayreuth entbrannte bei der Uraufführung 1976 anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Erstaufführung. Chéreau inszenierte Richard Wagners Tetralogie radikal neu – nicht als germanischen Mythos, sondern als sozialkritisches Drama über Ausbeutung und Macht im industrialisierten 19. Jahrhundert. Bühnenbildner Richard Peduzzi entwarf dazu eine düstere Welt aus Fabrikschloten, Eisenkonstruktionen und Kostümen der Gründerzeit. Das konservative Bayreuther Publikum reagierte mit Entsetzen und wütenden Buhrufen.
Viele empfanden die Inszenierung als Verrat an Wagners Werk und dessen „deutscher“ Tradition. Chéreau interpretierte Götter, Helden und Zwerge als historische Figuren mit psychologischer Tiefe statt als mythische Archetypen. Besonders provokant war seine Deutung der Rheintöchter als Arbeiterinnen und Wotans Macht als Symbol kapitalistischer Herrschaft. Die Presse war zunächst gespalten, später wurde das Regiekonzept jedoch zunehmend gefeiert. Bei der letzten Aufführung 1980 verwandelte sich das Skandalstück in einen Triumph mit 45 Minuten stehender Ovation. Heute gilt Chéreaus „Jahrhundertring“ als Meilenstein der Operngeschichte und Beginn des modernen Regietheaters.
Danke, Russ. Das klingt aber etwas steif. Wir pflegen hier im Bayreuth-Live-Ticker eher einen lockeren Ton – mehr „Tannhäuser“ als „Parsifal“. Versuchs noch mal, bitte!
Na klar – hier kommt der Skandal um Chéreaus Bayreuther „Ring“ in zehn heiteren Sätzen:
1976 kam ein Franzose nach Bayreuth und wagte das Undenkbare: Er inszenierte Wagners „Ring“ – aber ohne Hörnerhelm, Walkürenschrei und germanisches Pathos. Patrice Chéreau verwandelte die Götter in Großindustrielle, die Rheintöchter in Flussarbeiterinnen und Walhall in ein Kraftwerk mit schlechter Klimabilanz. Das Wagner-Publikum, sonst nur durch unbequeme Sitze und zu warmen Sekt gereizt, tobte wie ein Chor wütender Nibelungen. Schon nach dem ersten Abend gab’s Buh-Stürme, als hätte man Wotan mit einem Akkordeon in Jogginghose auftreten lassen (hat man aber nicht – noch nicht).
Chéreau hatte einfach die Frechheit, Wagners Werk nicht als Heiligsprechung der deutschen Seele zu verstehen, sondern als Kapitalismuskritik mit Bart. „Der Ring als Marxismus-Märchen“, schrie die eine Seite, „endlich keine Götter-Deko mehr!“, jubelte die andere – Feuilletonkrieg war eröffnet. Statt Heldenpathos gab’s Familienkonflikte mit psychologischer Tiefe – Sigmund Freud hätte Beifall geklatscht, wenn er nicht tot gewesen wäre. Vier Jahre lang wurde gepfiffen, gebuht, diskutiert, verteidigt – und dann, beim letzten Mal 1980, klatschte plötzlich ganz Bayreuth wie beim ESC-Finale. 45 Minuten Applaus – länger als manche Götterdämmerung dauert – und Chéreau war plötzlich der Rockstar der Opernregie. Heute gilt der „Jahrhundertring“ als Meilenstein – und Bayreuth hat gelernt: Ein bisschen Skandal ist manchmal genau das, was Wagner braucht.
Hmm. Schon besser, aber ein bisschen viel. Vielleicht überlässt der gute Russ den Humor dann doch mir ...
Also: Es wird 2026 einen neuen „Ring“ geben, der von Valentin Schwarz geht in Rente. Hoffentlich am Ende auch mit Applaus. Wer macht aber den neuen „Ring“? Wer inszeniert, wer dirigiert? Hast Du eine Ahnung, Russ?
Für 2026 in Bayreuth lässt sich Folgendes sagen: Zum 150‑jährigen Jubiläum der Festspiele 2026 wird es eine ganz besondere Neuproduktion (Tetralogie) des „Ring des Nibelungen“ geben – es handelt sich nicht um die bisherige Inszenierung von Valentin Schwarz. Eine offizielle Bekanntgabe von Regie und Dirigent für diese Neuinszenierung steht noch aus. Katharina Wagner kündigte an, dass dazu nächsten Sommer nähere Details veröffentlicht werden.
Du meinst natürlich diesen Sommer. Punkt für mich! Aber Du armer Hund weißt ja immer nur das, was andere schon vor Dir wussten. Gibt es da irgendwelche Gerüchte?
In Fachkreisen wird gemunkelt, dass Christian Thielemann für den Jubel-Ring im Gespräch ist – durchaus plausibel, da er ein Bayreuth-Veteran ist, aber noch nicht offiziell benannt.
Das würde mich sehr freuen und mehr sage ich jetzt nicht. Will ja niemandem die Überraschung verderben. Und die wird es, wenn man mich auffordern würde, zu wetten, was aber niemand tut. Was schade ist, denn wenn ich viel Geld gewinnen würde, würde ich es Katharina Wagner geben, dass sie ihr komplettes 11-Opern-Programm für 2026 durchziehen könnte, was ziemlich reduziert wurde, weil die, die das Geld haben, das ich nicht habe, geizig sind.
Aber erst mal zu 2026: Es gibt neue „Meistersinger“, inszeniert von Matthias Davids. Russ, was wissen wir über den Mann?
Davids, Jahrgang 1962, stammt aus Münster, hat zunächst als Musical-Darsteller (z. B. „Jesus Christ Superstar“, „West Side Story“, „Grease“) gearbeitet und ist heute ein gesuchter Regisseur in Oper und Musiktheater. Seine Produktion bei den Bayreuther Festspielen gilt als „Neudeutung“ von Wagners Comedy-Oper mit einem Fokus auf klare Figurenzeichnung, präzises Timing und ein feines Gespür für gesellschaftliche Nuancen. Musikalisch begleitet wird die Produktion von Daniele Gatti, der die musikalische Leitung innehat.
Na ja, „Comedy-Oper“. Würde ich nicht so unterschreiben, ich bin mir ja noch nicht mal sicher, ob es eine komische Oper ist. Aber es wird mit Sicherheit nicht langweilig. Mich interessiert vor allem, wie es gegen die Inszenierung von Barrie Kosky (der den Weltrekord der meisten Wagner-Anspielungen und den meisten Wagnern in einer Regiearbeit hält) funktioniert. Die war wüst und lustig und vor allem sehr klug.
Dazu kommen zwei neue Formate, eines heißt „Atmen/Lauschen“, eine Performance in der Stadt, so genau habe ich es noch nicht verstanden. Eine Karte habe ich auch nicht, aber ich schmuggle mich da schon irgendwie rein. Neu ist auch das Chor Open Air am Sonntagvormittag, das für mich leider die diesjährige Reise nach Bayreuth schon abschließt. Die anderen Inszenierungen sind bekannt: Schwarzens „Ring“, Schwabs „Parsifal“, Arnarssons „Tristan“ (fand ich so mittel) und – sicherlich der musikalische und optische Höhepunkt – „Lohengrin“ in der Inszenierung von Yuval Sharon, Bühnenbild von Rosa Loy und Neo Rauch, mit dem überirdischen Christian Thielemann am Pult. Hat mir letztes Jahr die Sterben-vor-Schönheit-Tränen aus den Augen gedrückt. Was schrieb ich noch mal zur Premiere, Russ?
Peter Huth beschrieb die Bayreuther Lohengrin-Inszenierung von 2018 in der „Welt“ als eine kraftvolle Neudeutung, musikalisch „nahe an der Perfektion“. Er hob Dirigent Christian Thielemann und die Sänger:innen hervor: „Bis an die Schuhspitzen reichende Verneigung vor Christian Thielemann. Tiefste Verneigung vor Waltraud Meier (Ortrud) und Anja Harteros (Elsa) und Piotr Beczala (Lohengrin). … musikalisch nahe an der Perfektion.“
Huth lobte auch die Regie und Ausstattung: „Man kann sich der Schönheit dieser Inszenierung nicht entziehen, die wirkungsmächtigen Bilder, die strahlenden Kostüme und immer wieder das Licht … alles so zeitlos unbekannt vertraut, neu und alt.“ Er bewunderte das „märchenhaft malerische Gesamtkunstwerk“ im „Delfter Kachelblau“ und die atmosphärischen Wolkenstudien („Wolkenstudien für den zweiten Aufzug …“), welche die räumliche Dramaturgie verstärkten. Zusammengefasst: Peter Huth war begeistert – musikalisch beeindruckt, optisch inspiriert und dramaturgisch tief berührt von Yuval Sharons ambitionierter Interpretation, die laut ihm das romantische Märchen durch eine kluge, intelligente Perspektive revitalisierte.
Danke Russ, für solche Knechtarbeit bist Du einfach der Beste! Aber Dein Stil, mein Freund, Dein Stil ... Wir müssen daran arbeiten.
So, kurze Festspiele für mich, langer Einstieg von mir. Herzlich willkommen! Der Ton ist gesetzt: Hier geht’s um gute Laune mit Musik, gnadenlose Selbstreflexion bei maximaler Subjektivität und hohe Fehlertoleranz zugunsten von Schnelligkeit.
Ich bin nicht ganz allein, mein guter alter Freund Philipp von Studnitz ist vor Ort, meine gute Freundin Jennifer Wilton (was nicht heißen soll, dass Philipp älter ist als Jennifer) begleiten mich mental und mit klugen Beckmessereien. Aber mein penibelster Verbesserer und Auf-Fehler-Hinweiser ist Lobbes, der leider nicht vor Ort ist, sondern irgendwo auf irgendeiner Insel sitzt.
Und dann ist da Russ. Den haben Sie schon kennengelernt.
Ich berichte aus jeder Pause (sind ja diesmal nur zwei) und über alles, was mir in den Sinn kommt. Die nachdenklichere Kritik gibt es von Manuel Brug, der sich vor allem mit der Analyse der musikalischen Leistungen viel besser auskennt.
Ich freue mich, dass Sie dabei sind und fordere ausdrücklich zu Kritik und Lob auf. Gerne im Kommentarbereich, ausführliche Beschimpfungen jenseits der Höflichkeit bitte direkt an peter.huth@axelspringer.com. Oder natürlich live vor Ort. Ich bin der im Smoking, der schon zwei Stunden vor der Vorstellung vorn im Gastro-Außenbereich sitzt und immer seinen Laptop aufgeklappt hat!
Ich freue mich auf Bayreuth, auf Sie alle, auf uns!
Peter Huths Liveticker aus Bayreuth hat bei WELT Tradition. Wer die vergangenen Jahre nachlesen möchte, findet sie hier:
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