Die Unterwasserwelt fasziniert mich schon lange. Als Kind hatte ich erst Angst vor dem Tauchen, aber als ich mich einmal unter die Wasseroberfläche getraut habe, wurde die Welt angenehm ruhig. Alles entschleunigte sich.
Erst vor ein paar Jahren war ich das erste Mal in einem Korallenriff schnorcheln und habe eine ganz besondere Seekreatur erspäht: den Oktopus. Majestätisch glitt er mit seinen acht Armen durch das Wasser, erkundete die Korallen und zog sich blitzschnell zurück, wenn Fressfeinde lauerten. Es war beeindruckend zu sehen, wie gut er sich im Riff auskannte.

Warum ich mit dem Oktopus nun in die Ferien fahren will? Klingt vielleicht seltsam, weil das Tier auf den ersten Blick eher unheimlich scheint. Oder wie wäre es, den Kraken im Zugabteil neben sich sitzen zu sehen, mit seinen acht Armen in verschiedene Zeitungen vertieft? Für viele wohl ein unbehaglicher Anblick. Aber ich bin der Überzeugung, dass der Oktopus mein optimaler Urlaubsbegleiter wäre.
Der Krake kann sich so gut tarnen, dass er gar nicht mehr auffällt.
Der Krake hat nämlich eine wichtige Superkraft: Er kann sich so gut tarnen, dass er in seiner Umgebung gar nicht mehr auffällt. Für mich als eher introvertierter Mensch klingt das super. Da ich in die Ferien fahre, um Abstand von allem (und vor allem von jedem) zu gewinnen, kann ich mir nichts Schlimmeres vorstellen, als von wildfremden Menschen am Strand in Small Talk verwickelt zu werden.
In diesen Momenten kann ich Zuflucht bei meinem Krakenfreund suchen, der seine Tentakel um mich legt und mich einfach mittarnt. Zack! Schon kann ich mich dem ungewünschten Kontakt entziehen und meine soziale Batterie aufladen.
Mit seinen acht Armen ist der Oktopus ausserdem perfekt dafür gerüstet, die besten «Food Spots» und Geheimtipps jeder Stadt herauszufinden. So hängen an jedem seiner Arme Millionen Nervenzellen, mit denen er ein besonders gutes Gespür für seine Umgebung erhält. Anstatt mich durch Rezensionen zu wühlen, gehe ich also einen Cocktail an der Strandbar schlürfen und schicke den Oktopus auf Entdeckungstour. Binnen weniger Stunden kennt er die Stadt in- und auswendig und kann sein Insiderwissen mit mir teilen.
Die Reise mit dem Oktopus wird zum Bildungsurlaub.
Die Philosophin Donna Haraway kennt für diese Art, mit der Welt in Beziehung zu treten, sogar einen Begriff: das «tentakuläre Denken». Wir Menschen sollen dabei wie mit den Tentakeln eines Oktopusses die Welt um uns herum ergründen. Die Idee dahinter ist, ihre Lebensräume, Tiere und Pflanzen genau kennenzulernen und uns mit ihnen «verwandt» zu machen, wie es die Philosophin ausdrückt.
Die Reise mit dem Oktopus wird damit zum Bildungsurlaub. Vielleicht verrät er mir ja beim gemeinsamen Strandbesuch, was sein Zuhause – das Meer – für ihn bedeutet und ich gewinne einen Blick dafür, wie sich das Ökosystem auch auf mein Leben auswirkt. Ich mache mich im Urlaub mit dem Kraken «verwandt».
Dass diese Freundschaft nicht nur ein fiktives Gedankenspiel ist, zeigt die Netflix-Dokumentation «Mein Lehrer, der Krake». Hier freundet sich der Filmemacher Craig Foster mit einem Oktopus-Weibchen an der Küste Südafrikas an. In der Begegnung mit ihr lernt Foster vor allem eins: Mitgefühl. Für die Unterwasserwelt und die scheinbar fremden Seekreaturen.
Diesen Weitblick will ich im Urlaub auch. Ich will, dass der Oktopus mein Lehrer wird. Ihm begegne ich gerne am Strand – wenn auch sonst lieber keinem.
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