Der Mann, der mal Luke Skywalker war, sitzt in einem beigefarbenen T-Shirt vor einem braunen Vorhang in seinem Haus in Kalifornien, als er sich zum Video-Interview mit WELT meldet. Mark Hamill gibt sich lässig, ist im Gespräch aber hoch konzentriert und immer für Überraschungen gut. An einer Stelle imitiert er die knarzige Stimme und Syntax des Yedi-Lehrmeisters Yoda aus den „Star Wars“-Filmen, später wird er ernst, fast wütend, als es um die politische Lage in den USA geht.
Anlass des Gesprächs ist sein neuer Film „The Life of Chuck“, eine ungewöhnliche Stephen-King-Verfilmung von Regisseur Mike Flanagan. Darin spielt Hamill den Buchhalter Albie Krantz, der in einem meist abgeschlossenen, geheimnisvollen Zimmer seines Hauses den Tod voraussehen kann und seinen Enkel Charles „Chuck“ Krantz nach dem Unfalltod von dessen Eltern aufzieht. Es ist kein Horrorfilm, sondern eine bewegende Geschichte darüber, wie das Leben lebenswert bleiben kann – selbst angesichts der präzisen Gewissheit des eigenen Todes und einer allumfassenden Apokalypse mit Erdbeben, Hungersnöten und – für viele ist das am schlimmsten – dem Kollabieren des Internets.
Unser letztes Gespräch mit dem 73-jährigen Filmstar fand 2017 in Berlin statt. Damals wich er Fragen zu Donald Trump, den er auf Twitter regelmäßig kritisiert hatte, mit einem Satz aus, der hängen blieb: „Ich verspreche, nicht über Hitler zu reden, wenn Sie mir versprechen, nicht über Trump zu reden.“ Diesmal ist das anders.
WELT: Wann haben Sie zuletzt bei einem Film geweint?
Mark Hamill: Bei diesem, „The Life Of Chuck“ (lacht). Ich hatte mit Mike Flanagan zuletzt ja bereits an der Miniserie „Der Untergang des Hauses Usher“ gearbeitet, basierend auf der Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe. Was mich an Mike beeindruckt hat, war, dass er völlig unkonventionell dachte, als er mich darin für die Rolle eines bösen, soziopathischen, seelenlosen Anwalts besetzte. Bei all meinen Arbeiten als Synchronsprecher für Animationsfilme wäre eine Rolle wie diese in den letzten Jahren zwar fast schon Routine gewesen. Denn beim Auswählen von Synchronstimmen wird mit den Ohren und nicht mit den Augen gecastet. Und so konnte ich in diesem Bereich eine große Bandbreite an solchen Charakteren sprechen, für die ich in Filmen nicht besetzt worden wäre, wenn mich die Zuschauer also hätten sehen können.
WELT: Flanagan erkannte, dass Sie auch Abgründiges spielen konnten?
Hamill: Ja, von daher war ich Mike sehr dankbar, dass er mich bei der Poe-Verfilmung in einer anderen Rolle besetzt hatte. Und als er mich dann für ein weiteres Projekt ansprach – diesmal basierend auf einem Werk von Stephen King –, dachte ich: Mike Flanagan und Stephen King kommen für ein gemeinsames Projekt zusammen? Das wird bestimmt der ultimative Horrorfilm! Ich habe mir dann sofort die Novellensammlung „Blutige Nachrichten“ geholt, in der „The Life Of Chuck“ enthalten war. Und als ich diese Geschichte las, war ich sehr überrascht – weil sie so ganz anders war, als ich es erwartet hatte. Die Geschichte wie auch unser Film sind so lebensbejahend, optimistisch, man fühlt sich einfach besser, nachdem man den Film gesehen hat. Das Problem ist: Sobald man im Detail darüber redet, nimmt man dem Ganzen etwas von seiner überraschenden Wirkung.
WELT: Das Leben des von Tom Hiddleston gespielten Protagonisten wird in drei Kapiteln rückwärts chronologisch erzählt. Es beginnt mit seinem Tod und dem Ende der Welt, wird unterbrochen von einem Kapitel in seinen mittleren Jahren, das ihn als Buchhalter zeigt, der plötzlich zum Beat einer Straßenmusikerin in der Fußgängerzone tanzt, und langt schließlich bei seiner Kindheit an, als er als Waise bei seinen Großeltern aufwächst und in deren Haus durch Vorahnungen auf den Tod, eine sehr selbstbestimmte Art von Lebenslust entwickelt.
Hamill: Es geht vor allem darum, zu zeigen, wie kostbar jeder Moment im Leben ist, auch wenn er einem selbst völlig banal und unwichtig erscheinen mag. Aber man kann das Eigentümliche dieses Films wie auch der Kurzgeschichte schwer in Worte fassen. Ich habe den Produzenten schon gesagt: Ich werde einfach rausgehen, Interviews geben und die Leute anflehen, mir zu vertrauen – und sich den Film anzusehen.
WELT: Stephen King hat mir den Reiz seiner Horrorstories in einem Interview mal wie folgt erklärt: „Irgendwann sterben wir alle. Das ist unvermeidlich. Und weil das so ist, wollen Menschen das Ende proben. Meine Horrorgeschichten helfen ihnen dabei, ohne dass sie sich deshalb in Gefahr begeben müssen. Damit das funktioniert, muss die Angst glaubwürdig sein, damit sie ihre Emotionen testen können, nur, ohne dass es ihnen weh tut.“ Können Sie das nachvollziehen?
Hamill: Absolut! Ich lese gerade sein Buch „On Writing“ – und ich kann es wirklich nur jedem empfehlen. All die Fragen, die ich Stephen King schon immer stellen wollte, werden darin beantwortet. Ich habe ihn zuletzt beim Toronto Film Festival getroffen, als wir diesen Film dort vorstellten. Aber das war nicht der richtige Ort oder Moment, um ein vertiefendes Gespräch mit ihm zu führen. Dabei hätte ich ihm so gern Fragen zu vielen seiner Werke gestellt, die ich gelesen habe. Er gehört zu meinen absoluten Lieblingsautoren. Sein Buch über das Schreiben vermittelt einem den Eindruck, als würde man mit ihm im Raum sitzen. Er spricht ausführlich über seinen Schreibprozess, über Figurenentwicklung, über die Ursprünge seiner Ideen. Es ist faszinierend. Und „The Life of Chuck“ ist für mich eines seiner Meisterwerke, weil es völlig anders ist als alles, was er zuvor geschrieben hat.
WELT: Stephen King, sagte mir auch, Schreiben sei für ihn wie das Pfeifen im dunklen Wald – Angstüberwindung und genau deshalb erkunde er in seinen Geschichten immer wieder die Grenze zwischen Leben und Tod. Geht Ihnen das beim Filmemachen manchmal ähnlich, wenn Sie sich mal Ihren Abschied von Luke Skywalker in „Die letzten Jedi“ oder jetzt Ihre Rolle in „The Life Of Chuck“ vergegenwärtigen“?
Hamill: Ja, absolut. „Die letzten Jedi“ – das ist natürlich Fantasy, in einer weit, weit entfernten Galaxis. „The Life of Chuck“ spielt im Hier und Jetzt. Für mich ist Letzterer viel eindringlicher, weil man sich damit identifizieren kann. In eine Fantasiewelt einzutauchen, ist unterhaltsam, aber nicht so nah an unserem Leben wie es die Figuren in „Chuck“ es sind. Der Film ist tiefgründig. Meine Frau hat ihn inzwischen öfter gesehen als ich – fünfmal, ich habe ihn erst dreimal gesehen. Und jedes Mal entdeckt man etwas Neues, das einem beim vorherigen Sehen entgangen ist.
WELT: Der von Ihnen gespielte Albie, soviel darf man verraten, überlebt diese Geschichte nicht. Nun sind Sie in Ihrer Karriere schon öfter Filmtode gestorben – in „Die letzten Jedi“, „Midnight Ride“, „Body Bags“, auch in Sprechrollen wie in „Batman Beyond: Return of the Joker“ …
Hamill: Wow, Sie haben gründlich recherchiert (lacht).
WELT: Sind diese Filmtode einfach Teil des Schauspielhandwerks? Oder beansprucht Sie eine solche Szene mehr als eine Liebes- oder Kampfszene?
Hamill: In „Die letzten Jedi“ löse ich mich ja einfach auf – das fand ich witzig. Die Vorstellung, dass Luke Skywalker an einer Art Überdosis der Macht stirbt, war auf fast schon perverse Weise komisch.
WELT: Er stirbt friedlich, nachdem er sich mithilfe der Macht auf ein jüngeres, kämpferisches Abbild seiner selbst auf einem weit entfernten Planeten projiziert hatte. Auf diese Art ermöglicht er den Rebellen die Flucht vor den Angreifern des Regimes der Ersten Ordnung.
Hamill: Ja. Man hätte fast erwartet, dass Lukes alter Lehrmeister Obi-Wan in dem Moment zu ihm sagt: „Benutze die Macht in Maßen, Luke.“ Oder dass Yoda ihm einbläut (er ahmt die kauzige Yoda-Stimme nach): „Zu viel Machtprojektion, du vermeiden musst.“ Aber meine Sterbeszene in diesem Film ist unheimlich, weil sie so real ist. Es könnte jedem von uns passieren. Ich meine, ich könnte jetzt dieses Interview beenden, und dann könnte mir das passieren. Diese Szene gab mir ein wirklich ungutes Gefühl. Diese Sterbeszene von Albie ist fast schon zu nah an der Realität, dass man sie als Schauspieler kaum genießen kann.
Aber als Schauspieler ist es eben auch deine Aufgabe, dem Drehbuch Leben einzuhauchen, es so lebendig und glaubwürdig wie möglich darzustellen. In meiner Zunft heißt es ja immer: „If it ain’t on the page, it ain’t on the stage.“ Wenn es nicht im Drehbuch ausformuliert ist, kann man es auch nicht auf der Bühne gut darstellen. Und wir hatten ein großartiges Drehbuch. Es war eine Freude, an diesem Film mitzuwirken.
WELT: In unserem letzten Interview 2017 sagten Sie: „Im neuen ,Star Wars‘ bin ich eher so ein Opa-Typ.“ Jetzt spielen Sie wieder eine gealterte Figur, nicht so grimmig wie der greise Skywalker, aber traurig, alkoholkrank. Albie ist dennoch nicht gebrochen und übernimmt Verantwortung für seinen Enkel. Hat sich Ihr Verständnis von Altersrollen im Kino in den letzten Jahren verändert?
Hamill: Wenn Sie mich das gefragt hätten, als ich anfing, hätte ich Ihnen gesagt, dass meine Karriere mit spätestens 50 vorbei ist.
WELT: Sie sind jetzt 73.
Hamill: Dass ich so lange im Geschäft bleiben würde – das hatte ich nicht erwartet. Nach den letzten „Star Wars“-Filmen dachte ich vor ein paar Jahren: Vielleicht mache ich nur noch Synchronstimmen für Animationsfilme. Ich spürte einfach nicht mehr den Drang, große Rollen zu spielen. In meinen jungen Jahren war ich anders, sehr ehrgeizig. Das hat sich gelegt. Heute bin ich glücklich mit meiner Frau, mit unseren Hunden, meine drei Kinder wohnen in der Nähe. Ich habe ein gutes Verhältnis zu ihnen. Ich war bereit zu sagen: Es war eine schöne Karriere, jetzt ist sie vorbei.
Na ja, und dann kam dieses Projekt – ganz unerwartet. „The Life Of Chuck“ war wie ein Geschenk. Ich konnte mich sofort mit der Figur identifizieren. Mit diesem scheinbar langweiligen, aber liebenswerten Buchhalter, der erst richtig lebendig wird, als sein Enkel sagt: „Mathe ist langweilig.“ Da trifft er bei seinem Großvater einen Nerv.
WELT: „Mathematik ist Wahrheit, sie lügt dich nicht an“, versucht er seinem Enkel zu vermitteln.
Hamill: Ich selbst liebe Mathe ja auch nicht – aber ich kann es durchaus bewundern, wenn andere Menschen das tun.
WELT: Sie haben über den Film kürzlich auch in der „Late Show“ des US-Satirikers Stephen Colbert gesprochen …
Hamill: Ja.
WELT: Colbert hat, wie auch Sie, regelmäßig die Politik von US-Präsident Trump kritisiert. Vor Kurzem verkündete der US-Sender CBS überraschend die Absetzung der Erfolgsshow im Frühjahr 2026 und nannte offiziell finanzielle Gründe. Politische Beobachter vermuten dagegen ein vorauseilendes Einknicken vor Trump, der den Sender verklagt hatte. Kurz nach der Absetzung schrieb Trump jedenfalls auf Truth Social: „Ich liebe es total, dass Colbert gefeuert worden ist. Sein Talent war noch kleiner als seine Einschaltquoten.“ Wie steht es derzeit um die Medien- und Meinungsfreiheit in Ihrer Heimat?
Hamill: Es überrascht mich nicht. Diktatoren greifen immer zuerst die Presse an. Das hat man bei Orbán in Ungarn gesehen. Das gehört zum Drehbuch aller Autokraten: Jegliche Opposition und die Presse ausschalten. Bei Trump geht es darüber hinaus auch gegen Universitäten, gegen Persönlichkeiten. Es ist einfach beschämend. Ich schäme mich dafür, dass so ein Mann Präsident ist. Er hat Rosie O’Donell gedroht, ihr die US-Staatsangehörigkeit zu entziehen. Ich meine: Wer macht denn sowas?!
WELT: Ihre US-Schauspiel-Kollegin war Anfang des Jahres nach Irland gezogen und nannte den zweiten Wahlsieg Trumps dafür als ausschlaggebend.
Hamill: Und erst neulich hat er ein KI-generiertes Video gepostet, das zeigt, wie Obama verhaftet und ins Gefängnis gesteckt wird. Trump ist ein sehr kranker Mann. Ich halte ihn für psychisch krank. Und ich schäme mich, dass er … Ich meine, er hat ja schon während und nach seiner ersten Amtszeit gezeigt, wer er war. Dass es ihm trotzdem möglich war, wieder in dieses Amt zu gelangen, ist die ewige Schande Amerikas. Tut mir leid, dass ich das so sagen muss.
Wissen Sie, ich spreche eigentlich nicht gern über Politik. Ich sitze hier, um über „The Life Of Chuck“ zu reden. Und ich würde es hassen, wenn dieses Thema jetzt die Überschrift zu unserem Interview würde. Aber ich habe meine Abscheu vor diesem Mann nie versteckt. Ich habe erstmals 2011 angefangen, mich gegen ihn zu positionieren – als er seine rassistische Behauptung verbreitet hatte, wonach Obama nicht in den USA geboren sei. Es ist einfach ekelhaft. Ich bedaure, dass Sie Donald Trump erwähnt haben.
WELT: Es schien mir eine drängende Frage angesichts der aktuellen Entwicklungen. Dann reden wir darüber, wie Sie die Strahlkraft Ihrer größten Filmrolle Luke Skywalker auch eingesetzt haben, um der Ukraine zu helfen. 2022 sammelten Sie über die Spendenplattform UNITED24 Geld für Aufklärungsdrohnen, 2024 taten Sie sich mit US-Historiker Timothy Snyder zusammen, um Geld für Minenräum-Roboter einzutreiben. Dann haben Sie noch Ihre Stimme einer App geliehen, die ukrainische Bürger bei Luftalarm warnt: „Möge die Macht mit Ihnen sein.“ Wie kam dieses Engagement zustande?
Hamill: Ich wurde von Präsident Selenskyj kontaktiert. Zuerst dachte ich, das sei ein Scherz. Denn ich bin nicht daran gewöhnt, dass sich Staatsoberhäupter bei mir melden. Ich bin ja nur ein Schauspieler. Als sich herausstellte, dass die Anfrage echt war, hatten Selenskyj und ich dann eine Videokonferenz. Es ist einfach schrecklich: Ein souveränes Land wird von einer feindlichen Nation überfallen. Ich tue alles, was ich kann, um zu helfen. Ich kann nicht verstehen, warum wir als Nation nicht aktiver Unterstützung geleistet haben, denn das ist doch ein klarer Fall: Die Ukrainer sind unschuldige Opfer einer feindlichen Invasion.
Von daher: „Slava Ukraini, Baby!“ Ich stehe voll und ganz hinter ihnen. Ich habe das getan, um was mich Selenskyj gebeten hatte: Ich wurde „Drohnen-Botschafter“ – es handelt sich dabei um nicht tödliche Aufklärungsdrohnen. Es sind die Augen am Himmel. Wir haben in den letzten Jahren etwa 2,5 Millionen Dollar dafür gesammelt. Und immer, wenn sie mich brauchen, bin ich bereit. Ich wünschte nur, ich könnte mehr tun.
WELT: In einem Ihrer eindrucksvollsten Filme außerhalb von „Star Wars“ ging es auch um einen realen Krieg: In Samuel Fullers Antikriegsfilm „The Big Red One“ von 1980 spielen Sie Private Griff, einen Scharfschützen im Zweiten Weltkrieg. Der Film ist ein bisschen in Vergessenheit geraten, weil er im Streaming nicht angeboten wird.
Hamill: Ich weiß. Es ist eine Schande.
WELT: Ich habe hier noch eine alte DVD des Films.
Hamill: Zeigen Sie mal, ich hoffe, dass es die Special Edition mit der ungekürzten Fassung ist.
WELT: Das ist sie, es ist die 2004 veröffentlichte Version, die etwa 47 Minuten länger ist als der Originalfilm, der 1980 in die Kinos kam.
Hamill: Gut! Denn die ursprüngliche Kinofassung war auf so furchtbare Weise gekürzt worden, dass sie später eine Erzählerstimme hinzufügen mussten – Bobby Carradine hat sie eingesprochen – nur damit die Handlung überhaupt noch irgendwie Sinn ergibt. Als ich diese verhunzte Version damals im Kino sah, war ich am Boden zerstört. Und als viel später die restaurierte Version auf DVD erschien, dachte ich: „Oh, ich wünschte nur, dass Sam noch lebte, um sehen zu können, wie seine Vision endlich so gezeigt wurde, wie er es sich vorgestellt hatte.“
WELT: Der Film ist benannt nach der legendären 1. US-Infanterie, die im Zweiten Weltkrieg in Nordafrika, Sizilien und Deutschland im Einsatz war – dort unter anderem bei der Befreiung von Konzentrationslagern. Fuller war selbst Soldat in dieser Einheit gewesen. Wie hat die Zusammenarbeit mit ihm Ihren Blick auf Krieg geprägt?
Hamill: Ich habe während der Dreharbeiten zu „The Big Red One“ mehr über den Zweiten Weltkrieg gelernt als jemals zuvor in der Schule. Denn nicht nur Sam Fuller hatte als Soldat in diesem Krieg gekämpft, sondern auch Lee Marvin.
WELT: Er spielt die Hauptrolle, einen Sergeant und Anführer eines kleinen Infanterietrupps, wortkarg, pragmatisch, aber nicht ohne Menschlichkeit.
Hamill: Wir jungen Schauspieler merkten: In den Schilderungen der beiden steckte unmittelbar Erlebtes. Ich meine, ich liebe auch Filme wie „Saving Private Ryan“ …
WELT: Steven Spielbergs 1998 erschienenes Epos über die Landung der Alliierten in der Normandie am D-Day 1944.
Hamill: Ja, aber bei diesem Film war ja keiner der Beteiligten mehr selbst in diesem Krieg dabei gewesen. Sam und Lee dagegen konnte ich noch nach ihren eigenen Erfahrungen befragen.
WELT: Welche Fragen stellten Sie?
Hamill: Fragen wie diese: „Würde ich in so einer bedrohlichen Situation tatsächlich einen Körper eines toten Soldaten als Schutzschild benutzen?“ Und Sam sagte: „Nun, in meinem Fall war das Kollowitz. Ich erzähle dir das jetzt nur, weil du so ein gut aussehender Bursche bist.“ (lacht) Samuel Fuller war einer der bemerkenswertesten Regisseure, mit denen ich je gearbeitet habe. Wobei ich gestehen muss, dass ich die Rolle anfangs gar nicht annehmen wollte.
WELT: Warum nicht?
Hamill: Ich dachte: Ich will nicht mit lauter jungen Schauspielern in meinem Alter irgendwo in Israel den Zweiten Weltkrieg nachstellen. (Die Dreharbeiten fanden in Irland und Israel statt – Israel diente als Kulisse für die Szenen in Nordafrika und im Nahen Osten, Anm. d. Red.) Zudem hatte ich zu dem Zeitpunkt gerade ein Angebot bekommen, in „Equus“ von Peter Shaffer auf der Theaterbühne zu stehen. Das wollte ich eigentlich machen. Aber dann dachte ich: Aus Respekt sollte ich Sam Fuller zumindest persönlich absagen – und das nicht über meinen Agenten ausrichten lassen. Ich ging also zu ihm ins Büro, wollte ihm sagen, wie sehr ich seine bisherigen großartigen Filme schätzte. Aber dann fing er plötzlich an, mir seinen Film vorzuspielen – und zwar so lebendig, so packend, dass er plötzlich im Raum auf und ab ging und Szenen darstellte.
Ich war davon völlig gebannt. Und je länger dieses Meeting dauerte, desto klarer wurde mir: „Oh Gott, ich bin gerade eingezogen worden. Es gibt jetzt keine Ausrede mehr, diesen Film nicht zu machen. Ich muss das machen – wegen Samuel Fuller.“ Hätte ich die Rolle, ohne in diesem Meeting gewesen zu sein, abgelehnt, hätte ich es für immer bereut. Die Dreharbeiten waren eine Erfahrung, die ich nie vergessen werde. Denn in seinem Film hat er die Geschichte dieser jungen Menschen, die in den frühen 40er-Jahren diese Verpflichtung eingegangen sind, menschlich begreifbar gemacht.
WELT: Welche Relevanz hat ein Film wie dieser heute?
Hamill: Seit dem Zweiten Weltkrieg hatten wir nie wieder einen Krieg, in dem die Grenze zwischen Gut und Böse so eindeutig war: wir gegen sie, Gut gegen Böse. In den Kriegen, die später folgten, ob nun in Vietnam, im Irak oder andere Konflikte – war diese Abgrenzung zwischen Gut und Böse nicht so klar. Jedenfalls werde ich die Erfahrung, mit Veteranen wie Sam und Lee gearbeitet zu haben, nie vergessen. Lee Marvin war ein außergewöhnlicher Mann. Er war auch unglaublich witzig. Ich konnte ihn tatsächlich zum Lachen bringen. Und er liebte es, wenn man ihn auf die Schippe nahm. Er mochte beleidigenden Humor.
WELT: Womit haben Sie ihn denn zum Lachen gebracht?
Hamill: Ich sagte ihm Sachen wie: „Ach, halt doch die Klappe, Marvin. Warum sollten wir dir überhaupt zuhören? Du bist doch der Typ, der eine Hauptrolle in ,Der weiße Hai‘ abgelehnt hat!“ (lacht) Wussten Sie das?
WELT: Ja, Marvin sollte ursprünglich den Haijäger Quint spielen. Für die Rolle des Polizeichefs Brody war anfangs Charlton Heston im Gespräch.
Hamill: Lee hat dazu nur gesagt: „Woher sollte ich denn wissen, dass dieser Film einen solchen Erfolg haben wird? Ich dachte, das sei nur ein Film über ’nen verdammten Fisch.“ (lacht) Er war unglaublich. Und er hat, wie auch Sam, viel von seinen Kriegserfahrungen erzählt. Einmal drehten wir in der israelischen Stadt Bet Sche’an – es war über 45 Grad heiß, kaum auszuhalten. Und da stand Marvin plötzlich auf und spielte uns vor, wie er im Krieg im Südpazifik angeschossen worden war. Er stellte das für uns nach – wie er erst Signale gab, das Gewehr hielt – und dann auch, wie er getroffen wurde.
Sie müssen sich das so vorstellen: Ein fast zwei Meter großer Mann, der zuerst geradewegs nach oben aufsprang, um dann wie ein Sack in den Sand zu fallen. Wir alle saßen einfach nur um ihn herum. Ich habe mich oft an diesen Moment erinnert und gefragt, warum er das für uns gemacht hat. Und ich glaube: Für ihn hatte das eine therapeutische Wirkung. Er wollte uns zeigen, was er in diesem Krieg erlebt hatte. Mit Sam Fuller und Lee Marvin arbeiten zu können, das war eine der eindrucksvollsten Erfahrungen meiner Karriere.
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