Die Empörung war riesig, als der junge Ernst Jandl 1957 in einer österreichischen Kulturzeitschrift seine ersten Sprechgedichte veröffentlichte. Ein Aufschrei ging durchs Land, ein wahrer «Entrüstungssturm», wie Klaus Siblewski es einst beschrieb, Jandls langjähriger Lektor und Herausgeber aller seiner bisherigen Gesamtausgaben.

Legende: Ernst Jandl wurde am 1. August 1925 in Wien geboren. Am 9. Juni 2000 starb er ebenda. KEYSTONE/SUEDDEUTSCHE ZEITUNG PHOTO/Brigitte Friedrich

Zehn Jahre lang fand sich kein Verlag mehr, der Jandl veröffentlichen wollte. Er galt als Persona non grata. Es brauchte den Umweg über die Schweiz und die Zusammenarbeit mit dem Verleger Otto F. Walter, bis Jandl 1966 seinen Gedichtband «Laut und Luise» publizieren konnte, den man sicher als ersten Schritt zu Jandls späterem Erfolg bezeichnen kann.

Lehrer und Dichter

Ernst Jandl stammt aus einer künstlerisch interessierten Familie aus Wien: Der Vater ein Bankangestellter, der sich ein Leben lang mit Malerei beschäftigt. Die Mutter eine Lehrerin, die zu unterrichten aufhört und zu schreiben anfängt, als sie erfährt, dass sie unheilbar krank ist.

Ab dann schreibt auch Ernst Jandl und bald schon ist klar, dass er Schriftsteller werden will. Dass er einmal davon leben könnte, glaubt er eher nicht. Also wird auch er Lehrer und unterrichtet viele Jahre lang Deutsch an einem Wiener Gymnasium.

Ein Englandaufenthalt 1956 und die Begegnung mit dem Werk Gertrude Steins inspirieren Jandl dazu, sich mit experimenteller Lyrik auseinanderzusetzen. Vor allem die konkrete Poesie Kurt Schwitters und anderer faszinieren ihn.

Lautes Lesen

So beschliesst er, die durch Nationalsozialismus und Krieg abgerissene Tradition wieder aufzunehmen. Das führt zum erwähnten Eklat von 1957 und als Folge davon zu Jandls akribischer und minutiöser Auseinandersetzung mit der Sprache.

Dazu gehört auch der Vortrag. Denn viele seiner Gedichte funktionieren nur durch lautes Lesen oder Vorlesen. Sicher ist es ein besonderes Glück, dass Jandl in dieser Hinsicht höchst begabt gewesen ist.

Eine erste Lesung 1964 in Graz läutet die Wende in Jandls Wahrnehmung in Österreich ein, und ein Auftritt in der Royal Albert Hall in London vor 4000 Zuschauerinnen und Zuschauern führen zu Veröffentlichungen auf Englisch. Später geben Klaus Wagenbach und Jandls mittlerweile doch noch gefundener Verlag Luchterhand Schallplatten mit Lesungen heraus, die ebenfalls zu Jandls Erfolg beitragen.

ottos mops am Flughafen?

Mittlerweile ist Jandl arriviert. Unzählige Gedichtbände erscheinen bis zu Jandls Tod im Jahr 2000. Neben den Gedichten sind auch seine Essays, Hörspiele und Theaterstücke veröffentlicht. Ja sogar das riesige Werk hinter dem Werk, die ganzen Schriften, Notizen und Skizzen aus dem Nachlass.

Und er ist dekoriert. Er hat den Georg-Büchner-Preis und andere Auszeichnungen, und er ist mitunter Träger des Goldenen Ehrenzeichens der Republik Österreich. Strassen und Plätze sind nach ihm benannt. Und es soll sogar Flughäfen geben, in denen Gänge mit «O» angeschrieben werden. Mit «O» wie ottos mops.

Trotzdem hat man beim Lesen von Jandls Texten bis heute das Gefühl, dass da jemand schreibt, der sich ein Leben lang für seine Kunst rechtfertigen musste. Vielleicht ist gerade das der Reiz daran: die hohe Qualität, die immer neu unter Beweis gestellt werden muss. Und auch wird. Reizvoll sicher fürs Publikum. Für den Schriftsteller vermutlich eher nicht.

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