Wenn sich die Ich-Erzählerin im Titel des Romans mit den Worten „Mein Name ist Emilia del Valle“ vorstellt, dann gibt sie sich nicht zuletzt als Mitglied jener Familiendynastie zu erkennen, mit der die heute 83-jährige Isabel Allende vor über vier Jahrzehnten ihren Ruhm begründete. Ihren ersten Auftritt haben die del Valles bereits in „Das Geisterhaus“ – Allendes Debüt, mit dem sie 1982 die noch ganz und gar von männlichen Schriftstellernamen dominierte Literaturszene Lateinamerikas eroberte und schließlich die Bestsellerlisten weltweit. Von da an bevölkerten die del Valles immer wieder Allendes Romane. 

Anfangs spielt der traditionsreiche Familienname für Emilia noch eine untergeordnete Rolle. Sie verdankt ihn ihrem biologischen Vater Gonzalo Andrès del Valle, einem nichtsnutzigen Spross der chilenischen Oberschicht, der sich Mitte der 1860er-Jahre in San Francisco aufhielt, wo er die junge, irischstämmige angehende Ordensfrau Molly Walsh schwängerte und sich anschließend aus dem Staub machte. Emilias Mutter hatte Glück im Unglück und heiratete noch vor der Niederkunft den Lehrer und großherzigen Freidenker Don Pancho, der seine Adoptivtochter regelrecht vergöttert und sie nach Kräften dabei unterstützt, auch dem Charakter nach eine typische Allende-Heldin zu werden: charmant, empathisch, klug, selbstbewusst, auf etwas erwartbare Weise rebellisch und mit einer ausgeprägten Leidenschaft fürs Schreiben.

„Mein Name ist Emilia del Valle“

So macht sich Emilia bereits im Teenageralter daran, Groschenromane zu verfassen, bald schreibt sie Artikel für eine Tageszeitung, zunächst noch unter männlichem Pseudonym. Erst als die Redaktion sie im Jahr 1891 nach Chile schickt, von wo aus sie über den Bürgerkrieg berichten soll, schlägt ihre wahre Geburtsstunde als Autorin und Abenteurerin. Emilia verliebt sich, entkommt mehrfach um Haaresbreite dem Tod und versöhnt sich schließlich mit ihrem Vater, der vorzeitig gealtert, gottergeben und reuevoll auf dem Sterbebett liegt. Vieles davon hat Allende so oder so ähnlich in vorangegangenen Werken erzählt, nur geschah dies in der Regel deutlich unterhaltsamer und raffinierter.

Dabei muss man sich gar nicht auf allzu strenge literarische Kriterien berufen, um „Mein Name ist Emilia del Valle“ wenig gelungen zu finden. Es genügt, wenn man das Buch an seinen eigenen Ansprüchen misst, daran, was es offenkundig sein will: ein Schmöker über Herkunft und weibliche Selbstermächtigung, garniert mit nicht allzu komplizierten feministisch-universalistischen Weisheiten und plastisch aufbereiteten Lektionen zur Geschichte der chilenischen Heimat der Autorin. Dass der Roman daran scheitert, liegt an der lieblosen Routine, mit der Allende hier ihre bewährten Erfolgsingredienzen zusammenrührt.

Wenn ihre alte Könnerschaft stellenweise dennoch aufblitzt, passiert dies interessanterweise nicht etwa in romantischen, erotischen oder zwischenmenschlichen Szenen, die angeblich zur besonderen Expertise Allendes gehören und ihr den häufig belächelten Ruf als Verfasserin von Frauenliteratur eingebracht haben. Die gelungensten Abschnitte spielen ausgerechnet auf dem Schlachtfeld, erzählen vom Kriegsalltag, von Gewalt und Folter. Besonders eindrücklich wird eine Amputation geschildert, der Emilia als Aushilfsschwester und Dolmetscherin im Lazarett beiwohnt. Hier zeigt Allende, dass sie auch unprätentiös, anatomisch präzise und ohne überzogene Drastik schreiben kann.

Verglichen damit strotzen insbesondere die Dialoge zwischen Emilia und ihrem Reporterkollegen-Liebhaber Eric vor Klischees und behäbiger Koketterie. Mitunter fragt man sich, ob Eric womöglich ein ernsteres Problem mit seinen Augen hat, so häufig wie er Emilia „zuzwinkert“. Ob beim allerersten Aufeinandertreffen in den Räumen der Zeitungsredaktion oder wenn die beiden sich als frisch Verliebte über Familienplanung unterhalten – dauernd muss Eric neckisch in Richtung Emilia zwinkern. Auch während der pompösen Verlobungsfeier, als der Priester das junge Paar auffordert, bis zur Hochzeitsnacht gefälligst keusch zu bleiben, kommt, was kommen muss: „An diesem Punkt der Ermahnung zwinkerte Eric mir zu.“

Die frühere Klasse muss man suchen

Doch bevor Eric seinen frivol-romantischen Mimik-Tick als Ehemann ausleben kann, muss Emilia schnell noch „die Wurzeln ihrer Vorfahren“ finden und begibt sich ohne den Verlobten in den Süden Chiles, wo sich mitten in der Wildnis ein Grundstück befindet, ihr väterliches Erbe. Die Reise gerät zu einem esoterisch vernebelten, krampfhaft in die Länge gezogenen Selbstfindungstrip, der homöopathische Dosen des magischen Realismus enthält, für den Allendes frühe Romane bekannt sind.

Irgendwann taucht Eric ebenfalls in der verwunschenen Landschaft auf. Und fast möchte man ihm dazu gratulieren, dass er offenkundig davon abgekommen ist, penetrant draufloszuzwinkern. Leider sagt er dafür jetzt Sätze wie: „Emilia ist ein wilder und wacher Geist. Ich werde sie nie festhalten können, aber ich hoffe, ich kann sie begleiten.“ Als Leserin lässt man Emilia, ob mit oder ohne Eric, nur allzu gerne weiterziehen.

Isabel Allende: Mein Name ist Emilia del Valle. Aus dem Spanischen von Svenja Becker. Suhrkamp, 359 Seiten, 28 Euro

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