Man sollte auf das Adverb „mindestens“ achten: Auf „mindestens“ vier Säulen stehe Gesundheit, steht auf der Website von „Mister Raw“: „Ernährung, Bewegung, Entspannung und Licht“. Mister Raw, steht im Impressum, heißt bürgerlich David Ekwe-Ebobisse. Eine Adresse in Frankfurt am Main ist angegeben. Ekwe-Ebobisse zeigt sich mit nacktem Oberkörper, schlank ist er, die Muskeln außerordentlich gut definiert, das schwarze Haar trägt er in Cornrows, eng am Kopf geflochtenen Zöpfchen, wie beim Rapper Snoop Dogg. Buchautor („Erstklassiges gebündeltes Wissen, zusammengepackt in 3 Büchern“) und Lifecoach ist er noch dazu („Wachse mit meinem Coaching-Konzept über Dich hinaus und entfalte Dein Potential“), er bietet Beratung an („Ich helfte (sic!) Dir mit der richtigen Ernährung beim Abnehmen und Entgiften“) und einen „Bioscan“ (Finde raus, wie Du noch mehr aus Dir rausholen und Deine Gesundheit verbessern kannst).

Will man aber herausfinden, was es damit genau auf sich hat und klickt auf das entsprechende Symbol (erinnert ein bisschen an ein Browserfenster, wenn es nicht lädt), ist sie da wieder, die Relativierung: „Die futuristische Technologie aus der russischen Raumfahrt“ sei ein Bioresonanzgerät, das zwar „umstritten“ sei, „sich in der Praxis jedoch mehr als bewährt hat“. Die Praxis: „zahlreiche Erfahrungsberichte“. Auch „wenn der Bioscan kein medizinisch anerkanntes Diagnosegerät“ sei, wirbt Mister Raw: „Mach dir dein eigenes Bild.“

Ekwe-Ebobisse ist eine von zwei Hauptfiguren in einem neuen Dokumentarfilm von Julian Vogel und Johannes Büttner. „Soldaten des Lichts“ feierte im Mai auf dem Internationalen Dokumentarfilmfestival München Premiere, jetzt kommt er in die Kinos. Dass David, wie er im Film nur heißt, zu einer tragenden Figur eines Films im Stil des Direct Cinemas wurde, eines Stils also, der zugunsten ungefilterter Beobachtung mit Intervention jenseits von Schnitt und Szenenauswahl spärlich verfährt, verdankt sich dem Zufall. Mit Büttner ist Ekwe-Ebobisse zur Schule gegangen. Als der mit Vogel eine filmische Studie über die Szene der Ernährungsinfluencer und die Verbindungen, die manche von ihnen mit den sogenannten Reichsbürgern und Souveränisten unterhalten, plante, war der Kontakt ein Leichtes.

Ekwe-Ebobisse verkauft in seinem Online-Shop nämlich nicht nur Spirulinagranulat und Olivenöl, gibt nicht nur Ernährungstipps, coacht Abnehmwillige und schließt sie an Kosmonautenzeugs an, er gilt auch als einer der Köpfe der Frankfurter Reichsbürgerszene. Er ist einer jener Leute, die Deutschland nicht als souveränen Staat anerkennen und sagen, sein Territorium sei seit 1945 besetzt. Nach Schätzungen des Verfassungsschutzes, informiert der Film, sind es etwa 23.000 in Deutschland, die das glauben. Der größte Reichsbürgerverein, das „Königreich Deutschland“ (KDR) ist seit Mai dieses Jahres verboten: „Er lief nach seinem Zweck und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwider und richtete sich sowohl gegen die verfassungsmäßige Ordnung als auch gegen den Gedanken der Völkerverständigung“, sagt das Innenministerium.

Dass sich Ekwe-Ebobisse in solchen Kreisen bewegt, wird im Film schnell deutlich, ebenfalls wird klar, dass er und sein Unternehmen mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, die von der Sperrung von Social-Media-Kanälen bis zu einer Räumungsklage reichen. Bei letzterer bewegt sich der Streitwert in einem Bereich, der es dem Reichsbürger nahelegt, vielleicht doch einen Anwalt einzuschalten, der in jenem Rechtssystem agiert, dessen Legitimität ein Bürger des KRD eigentlich nicht anerkennt.

Fast nur Männer

Mehr noch: Mister Raw steht nicht nur denen mit Rat, Tat, allerlei Töpfchen, Tiegelchen und veganer Rohkost zur Seite – selbstverständlich gegen Bezahlung, die Marktwirtschaft der zu errichtenden neuen deutschen Monarchie ist gut verzahnt mit der „Deutschland GmbH“ –, denen an sich wenig fehlt. Auch an richtig harte Fälle traut er sich heran. So wird der Zuschauer Ohrenzeuge eines Telefonats zwischen Mister Raw und einem besorgten Sohn: Die Wildkräuteraufgüsse, die er der krebskranken Mutter des Anrufers empfohlen zu haben scheint, verursachen Übelkeit. Mister Raws Rat: Abwarten. Und Tee trinken!

Die zweite Hauptfigur des Films, der auch einen Wunderheiler zu Wort kommen lässt, der sich fragt, was er mit all dem Geld, das er als ehemaliger Sozialhilfeempfänger nun verdient, anstellen soll, und einen Krypto-Influencer – ein Zahlungsmittel ohne staatliche Regulierung passt zum Gedanken, dass wir in einem illegitimen Staat leben, wie die Faust aufs Auge –, ist ebenfalls ein Mann, wie fast alle Protagonisten des Films.

Timo, ausgemergelt und blond, Ende 30, wohnt bei Mister Raw, der ihm versprochen hat, sein Leiden, nur „Dunkelheit“ genannt, zu heilen. Zwar rutscht es dem Influencer einmal heraus, dass man bei Timo von Psychose sprechen könnte, ihn als Gegenleistung für Wohnstatt, Rohkost und Resonanzscan bei sich arbeiten zu lassen, davon hält es Ekwe-Ebobisse nicht ab. Bis Timo ausbricht. Eine dritte Fastenkur habe er nicht gewollt, erklärt er den besorgten Eltern, denen gegenüber er auch in seinem Alter noch immer betonen muss, er sei ein freier Mensch. Was mit exzessiven nächtlichen Besuchen im Fitnessstudio und Kontakten zur Maßnahmengegner-Szene während der Covid-Pandemie begann, endet fatal. Zwar ist er David entkommen, Gebete gemäß den Lehren des schon erwähnten Wunderheilers („Nur 13 Prozent der Menschen sind echte Menschen“) spricht Timo aber noch immer vor jedem frugalen Mal.

„Soldat des Lichts“ nennt David Timo einmal. Das lässt an einen Heiligen Krieg denken. Woran genau die veganen Dschihadisten glauben, bleibt aber weitgehend unklar. Dass es bei Mr. Raw vom relativierenden Adverb „mindestens“ bis zum Vertrauen in Wildkräuter und Rohkost als Heilmittel auch gegen tödliche Krankheiten eher um Glauben als um Wissen geht, ist hingegen überdeutlich. Und auch, dass es sich bei solcher religiös verbrämten Werbung für alternative Realitäten, archaische Regierungs- und vermeintlich natürlichere Lebensformen um unverantwortliche Bauernfängerei handelt, die über Leichen geht und letztlich nur der Profitmaximierung dient, macht der so sehenswerte wie verstörende Film überaus greifbar.

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