Wenn man wissen will, wie das mal war und wie es sein könnte mit der Bergeinsamkeit, muss man nach Hamburg fahren. Da hängt in der Kunsthalle an der Binnenalster Caspar David Friedrichs Bild vom Wanderer über dem Nebelmeer. Einen Stock hat der Mann dabei, keine Funktionskleidung, keinen Helm, kein Seil, keinen Rucksack, unter ihm und in der Ferne schroffe Felsen. Der Anzug ist schwarz, das Haar ist wild, der Blick ist weit.
Er ist die Ruhe selbst. Nichts treibt ihn an, aufzusaugen, was er sieht. Hinter ihm steht aber auch keine Schlange von verschwitzten Leuten in ungefähr gleich berguntauglicher Kleidung mit Mobiltelefonen in der Hand, die nur darauf warten, ihre Liebsten in genau dieser Pose vor genau dieser Kulisse ins nächstgelegene Internetportal posten zu können:.Vor dem Großen Möseler. Oder vor dem Watzmann. Oder dem Matterhorn. Oder den Drei Zinnen.
Man steht vor Friedrichs Bild und möchte nach all dem, was man in diesem Sommer gelesen, was man gesehen hat unterwegs allein in Tirol, am Wilden Kaiser und im Rofan und an der Nordkette, gelbe Hubschrauber in dieses Bild malen. Und Menschen, die an Seilen hängen und Wanderer mitten in der Nacht aus vernebelten Felsen holen. Mit gebrochenen Beinen, halberfroren, manchmal tot. Untrainiert, ungefähr so ausgestattet wie Friedrichs Wanderer. Menschen aus Bad Oeynhausen, Wuppertal, von der Binnenalster, aus Greifswald.
Menschen, die meinten, ihr schickes Insta-Bild von der sagenhaften Brücke über dem Schlegeisspeicher hinter der Olpererhütte am Ende vom Zillertal auf zweieinhalbtausend Metern Höhe sei genauso billig zu haben und zu posten wie das von der Akropolis oder dem Canal Grande. Menschen, die blind ihrem Wanderplaner im Handy glaubten, die meinten, eine Woche Stuhlgymnastik würde reichen als Vorbereitung einer hochalpinen Klettertour. Menschen, die kein Vertrauen in ihre Angst hatten.
Übers Nebelmeer
Reinhold Messner hat nach dem Tod von Laura Dahlmeier am Laila Peak in Pakistan und angesichts der Flut von Meldungen über abgestürzte Wanderer in weniger hohen Alpengegenden vorgeschlagen, einfach sämtliche Haken aus den Felswänden zu schlagen. Damit die Gipfel eine Ruhe bekommen und es ein Ende hat mit dem fahrlässigen Geklettere und mit dem hochver- und gesicherten Gipfeltourismus, der mehr Sicherheit vorgaukelt, als es geben kann.
Und für den es kein besseres Bild gibt als den Stau am Hillary Step des Mount Everest, gut fünfzig Meter unterhalb des Gipfels – wo sich vermummte Extremtouristen an den gefrorenen Leichen ihrer gescheiterten Vorkletterer vorbei zum Dach der Welt drängeln, als gäbe es da oben einen Grabbeltisch für reduzierte Funktionsklamotten. Damit nur noch jene versuchen, übers Nebelmeer zu kommen, die es wirklich können.
Vielleicht sollte man überhaupt in alle Kanäle posten, dass die Bergretter ein Jahr Pause machen und für Taxiflüge leicht ermüdeter Höhenkletterer nicht mehr zur Verfügung stehen. Oder man sollte gleich alle Berge schließen.
Die Murmeltiere hätten eine Ruhe, die Gemsen, die Gipfel. Von unten – dafür muss man dann allerdings in die Alte Nationalgalerie von Berlin fahren zu Caspar David Friedrichs Watzmann, vor dem Friedrich nie gestanden hat – sehen die Berge sowieso viel besser aus.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.