Man kann den Lauf der Zivilisation ganz gut an den Dingen ablesen, die wir uns freiwillig ins Ohr stecken. Früher waren es Wattestäbchen, dann kamen die Walkman-Stöpsel, später Bluetooth-Knöpfe, die so aussahen, als hätte man vergessen, sein Hörgerät zu tarnen. Seit einer Weile sind es AirPods – kleine weiße Zahnbürstenaufsätze, die man sich in die Ohrmuschel klemmt. Trotzdem gehen sie als Statussymbol durch.
Mit der dritten Generation hat Apple die minimalinvasiven Kopfhörer aufgehübscht: kürzere Stängel, besserer Sitz, längere Akkulaufzeit. Solide, aber nichts, worüber man sich am Frühstückstisch aufregen müsste, geschweige denn eine Zeitungsglosse schreiben. Doch die Stöpsel können etwas, wovon Science-Fiction-Fans seit Jahrzehnten träumen: simultan übersetzen.
Und da taucht unweigerlich ein alter Bekannter auf – in der Geschichte der Popkultur etwa so prominent wie Darth Vader oder der Ring von Gollum: der Babelfisch. Douglas Adams beschrieb ihn einst als kleines gelbes Würmchen, das sich von mentalem Abraum ernährt und dafür alle Sprachen der Galaxis ohne Umschweife ins Gehirn des Trägers überträgt. Adams erfand das parodistische Getier, um eine Abkürzung zwischen Aliens und Leser zu schlagen. Sonst hätte man womöglich hundert Seiten über Linguistik diskutieren müssen.
Nun, was soll man sagen: Apple hat endlich geliefert. Nur ohne Schleim. Weder gibt es gelbe Fische noch telepathische Exkremente. Stattdessen Software, die in Echtzeit übersetzt. Jemand spricht Spanisch, Sie hören Deutsch. Jemand spricht Deutsch, der andere hört Englisch. Man steckt sich die Dinger ins Ohr, und bye-bye, babylonische Sprachverwirrung.
Die Pointe dabei – und Adams hat uns schon damals gewarnt: Verständigung ist nicht gleich Verständnis. Der Babelfisch im Roman führte, indem er sämtliche Barrieren abriss, zu „mehr und blutigeren Kriegen“ als jedes andere Wesen der Schöpfung. Kommunikation allein macht den Menschen nicht friedlicher, sie sorgt nur dafür, dass der andere glasklar kapiert, was man ihm gerade an den Kopf wirft.
Lost in „Live Translation“
Das könnte auch mit Apples „Live Translation“ passieren. Schon jetzt beschränkt man die Funktion auf ausgewählte Märkte – im gesamten EU-Raum ist sie offiziell gesperrt. Apple schweigt, warum. Wahrscheinlich wieder irgendetwas mit Datenschutz und Brüssel. Ironischerweise bleibt also genau dort, wo die Mehrsprachigkeit institutionell gepflegt wird wie nirgends sonst, der Babelfisch stumm.
Technisch funktioniert das Ganze zwar nicht mit allen AirPods – aber immerhin auch mit älteren Modellen, solange das iPhone aktuell genug ist. Noch ist die Liste der Sprachen überschaubar: Englisch, Spanisch, Französisch, Portugiesisch, Deutsch. Italienisch, Japanisch, Koreanisch und Chinesisch sollen folgen. Es handelt sich also um ein Babelfischchen im zarten Larvenzustand und noch um kein ausgewachsenes Exemplar.
Der Effekt ist trotzdem verblüffend. Wer erfährt, wie der Satz des Gegenübers fast synchron ins eigene Ohr geflüstert wird, der mag kurz diesen Science-Fiction-Schauer spüren, als lebe er urplötzlich in seinem Lieblingsroman. Nur dass, bevor Gott sich wie bei Adams in einem Logikwölkchen auflöst, eher die EU-Kommission eine Vorschrift nachreicht.
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