Das Geräusch des herannahenden Autos riss sie aus ihrem Mittagsschlaf. „Kommt, kommt! Woher kommt ihr?“, ruft Fozia Khalid, während sie ihren Schleier zurechtrückt — überrascht und zugleich erfreut über den unerwarteten Besuch. Ganz in Weiß gekleidet, im Stil der „Kandaka“, der nubischen Königinnen, empfängt diese kleine, um die 60 Jahre alte Frau mit hinkendem Gang, blauen Plastik-Sandalen und Socken an den Füßen, die Besucher.
Khalid ist die Wächterin der Pyramiden von Meroe — der Hauptstadt des antiken Königreichs von Kusch, die halb im Wüstensand an einem Ufer des Nils versunken ist. Einer der größten Kulturschätze des Sudan, seit Jahren Unesco-Weltkulturerbe „Es kommt niemand mehr hierher“, sagt sie und lässt sich auf einen Stuhl im kleinen Besucherzentrum nieder, das 2018 mit Geld aus Katar gebaut wurde — in einer Zeit, als die Hoffnung wuchs, den Tourismus in der Region zu fördern. Heute sind der Parkplatz und die kleinen Verkaufsstände der Souvenirhändler verlassen.
„USA, Ungarn, Spanien, Norwegen …“, zählt Fozia Khalid stolz auf, während sie in dem Gästebuch blättert, das voll ist mit begeisterten Kommentaren: „Ein magischer Ort, der einen in die Vergangenheit versetzt“ oder „Ein außergewöhnlicher Ort“. Die letzten Einträge stammen aus dem März 2023 — nur zwei Wochen vor Ausbruch des Kriegs, der den Sudan seit zwei Jahren zerreißt.
Archäologische Missionen bleiben aus
Ein Konflikt zwischen den nationalen Streitkräften von General Abdel Fattah Burhan und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) von General Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti. Ein Krieg, dem nach Schätzungen über 150.000 Zivilisten zum Opfer gefallen sein könnten — durch Kämpfe, Massaker und die daraus resultierende humanitäre Katastrophe.
Abseits der Frontlinien droht auch ein großer Teil des sudanesischen Kulturerbes – jahrzehntelang stand es im Schatten der Ägyptologie – für immer verloren zu gehen. „Die Auswirkungen des Kriegs auf die Stätte sind offensichtlich“, erklärt Mahmour Suliman Bashir, der als Archäologe die Aufsicht über Meroe führt. „Früher kamen jedes Jahr archäologische Missionen hierher. Von ihnen hing viel ab, um die Pyramiden zu erhalten. In den vergangenen zwei Jahren gab es starke Regenfälle und Überschwemmungen — aber niemand hat mehr die Wasserabflüsse gepflegt. Das hat Schäden verursacht, welche die Stätte langfristig gefährden könnten.“
In Friedenszeiten war Meroe, 200 Kilometer nördlich von Khartum, ein Ziel für abenteuerlustige Touristen, die die fast 2500 Jahre alten Pyramiden bestaunen wollten. Heute vertreibt Fozia Khalid sich die Zeit damit, den sandbedeckten Boden zu kehren. Sie stammt aus einem Dorf ganz in der Nähe.
Seit über zehn Jahren kommt sie jeden Wochentag bei Sonnenaufgang hierher — zuverlässig auf ihrem Posten. „Vor drei Jahren habe ich meine Kinder mitgebracht. Ich bin neben diesen Pyramiden aufgewachsen und hatte sie nie besucht. Man hatte mir gesagt, es seien Gräber — mehr wusste ich nicht.“
Erbe der Geschichte wurde zum politischen Schlachtruf
Das Königreich von Kusch — auch als Nubien bekannt — blühte ab dem 8. Jahrhundert vor Christus auf, an der Schnittstelle zwischen Afrika und dem Nahen Osten. Es schuf ein Reich, das sich von der heutigen Region Khartum bis an die Mittelmeerküste erstreckte. Die „schwarzen Pharaonen“ regierten sogar über hundert Jahre lang Ägypten, nachdem sie es erobert hatten.
Als 2019 der Volksaufstand gegen die Diktatur von Omar al-Baschir begann, fand die junge Revolution ihre Inspiration in dieser Geschichte — in der Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln, auf nationale Einheit und Stolz. Al-Baschir hatte jahrzehntelang ethnische und religiöse Unterschiede ausgespielt, um die Sudanesen daran zu hindern, sich gegen die Elite in Khartum zu erheben.
Als die Demonstranten auf den Straßen der Hauptstadt skandierten: „Mein Großvater ist König Taharqa, meine Großmutter eine Kandaka“, war das ein Bekenntnis zu ihren Wurzeln — und zur langen Ahnenreihe der Könige und Königinnen dieser alten Zivilisation. Ein Erbe, das oft nur als Fußnote in Geschichtsbüchern über Ägypten erwähnt wurde, wurde zum politischen Schlachtruf.
Das Archäologie-Institut der Universität Khartum erlebte einen Zulauf junger Menschen, vor allem junger Frauen — lange unter dem islamistischen Regime unterdrückt —, die in der Protestbewegung eine zentrale Rolle spielten. „Es war ein unglaublicher Wandel in einer neuen Generation von Sudanesen, die ihre Wurzeln verstehen wollte“, sagt der Archäologe Bashir. „Während und nach der Revolution besuchten Tausende zum ersten Mal das Nationalmuseum. Auch hier in Meroe stieg die Zahl der sudanesischen Besucher stark an.“
Doch was bleibt von diesem Jahrtausende alten Erbe? Die Pyramiden stehen noch. Das Nationalmuseum in Khartum dagegen — von den Streitkräften nach schweren Kämpfen mit der RSF Ende März zurückerobert — wurde geplündert und zerstört. Das Museum war vor über fünfzig Jahren gegründet worden, um Artefakte aus den Gebieten zu bewahren, die später durch den Bau des Assuan-Staudamms überflutet wurden. Über 100.000 Objekte aus der Altsteinzeit bis zur islamischen Ära und der Zeit der Kuschitenkönige gehörten zur Sammlung.
Videos, aufgenommen nach der Rückeroberung durch die Armee, zeigen das ganze Ausmaß der Verwüstung: verwüstete Gärten, eingeschlagene Vitrinen, umgestürzte Regale, zertrümmerte Kunstwerke und Antiquitäten, verstreut auf dem Boden. Eine Granitstatue des Königs Taharqa — um die sieben Tonnen schwer — ist eines der wenigen Objekte, die unversehrt blieben.
Die Zerstörung wirkt systematisch — nicht nur Raub, sondern „ein Versuch, die Identität und Geschichte des Landes auszulöschen“, sagt Ghalia Garelnabi, Direktorin des Nationalmuseums. „Wir waren gerade dabei, nach der Renovierung das Inventar zu erfassen. Alles war verpackt und bereit für den Transport …“ Einige Stücke tauchten später auf eBay auf — für ein paar Hundert Euro — bevor sie von der Plattform entfernt wurden.
Korruption und der Mangel an Ressourcen
Im September 2024 zeigte sich die Unesco „äußerst besorgt“ und warnte, die Bedrohung der sudanesischen Kultur habe ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Viele gestohlene Objekte wurden über Schmuggelrouten nach Libyen und Südsudan gebracht und auf informellen Märkten weiterverkauft. Die Organisation rief Kunsthändler und Sammler weltweit auf, sich nicht am Handel mit Kulturgütern aus dem Sudan zu beteiligen.
Es gibt Versuche, die geraubten Kunstwerke zurückzuholen. Zoll- und Polizeikräfte der Nachbarländer werden ausgebildet, um Schmuggelware aufzuspüren. Die sudanesische Behörde für Altertümer arbeitet mit der Unesco, lokalen Polizeikräften und Interpol zusammen. Funde sollen den sudanesischen Botschaften gemeldet werden. Doch die riesigen, schwer kontrollierbaren Grenzen, die allgegenwärtige Korruption und der Mangel an Ressourcen machen diese Arbeit fast unmöglich. Archäologen befürchten zudem, dass sudanesische Artefakte auf dem internationalen Kunstmarkt als „ägyptisch“ deklariert und in privaten Sammlungen verschwinden könnten.
Plünderungen gibt es in der Region seit jeher. 1834 zerstörte der italienische Schatzsucher Giuseppe Ferlini die Spitzen Dutzender Pyramiden in Meroe. Eine Bronzestatue von Kaiser Augustus, 1910 in Meroe gefunden, steht bis heute im British Museum in London. Doch der aktuelle Krieg verschärft das Drama. Nach internationalem Recht gelten Museen im Krieg als geschützte Orte. 2016 verurteilte der Internationale Strafgerichtshof den Islamisten Ahmad Al-Faqi Al-Mahdi zu neun Jahren Haft — wegen der Zerstörung von Mausoleen in Timbuktu. Es war das erste Urteil aufgrund der Vernichtung von Kulturgut.
Auch das Haus-des-Khalifa-Museum in Omdurman, gegenüber dem Grab des Mahdi, wurde kurz vor Kriegsausbruch renoviert — mit britischen Mitteln. Jamal Mohamed Zein El Abdeen, oberster Museumsverantwortlicher des Sudan, zählt auf: Schwerter, Medaillen, ein Tagebuch des Kalifen. Er war einer der wenigen, die sich nach Kriegsausbruch an den Ort wagten. „Natürlich ist das Gold für die Plünderer am begehrtesten“, sagt er. „Aber für uns hat jedes Stück Wert. Jedes ist einzigartig – und unersetzlich.“
Der Verlust ist nicht nur materiell, sondern auch historisch. „Archäologie kann helfen, Frieden zu schaffen und die Sudanesen um eine gemeinsame Identität zu vereinen“, sagt der Archäologe Mahmour Suliman Bashir. „Das haben wir in Meroe versucht. Aber heute? Heute sind all unsere Bemühungen zunichte. Es ist ein Verbrechen an den Sudanesen. Wir haben das nicht verdient.“
Die belgische Journalistin Patricia Huon lebt in Johannesburg. Für ihre Reportagen bereist sie seit vielen Jahren den afrikanischen Kontinent.
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