Albanien prescht vor. Der Balkanstaat hat mit Diella („Sonnenschein“) gerade eine künstliche Intelligenz zur Ministerin ernannt. Sie soll künftig über die Vergabe öffentlicher Aufträge wachen und Korruption bekämpfen. Regierungschef Edi Rama feiert die Entscheidung als historischen Schritt in Sachen Transparenz und Effizienz. Kritiker warnen, eine KI sei anfällig für Manipulation und gefährde die demokratische Legitimation. Ganz so weit will man bei uns nicht gehen.

Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Wolfram Weimer, stellte mit dem „Weimatar“ soeben den ersten digitalen Stellvertreter eines deutschen Kabinettmitglieds vor. Wobei es erst mal keine funktionierende Interaktion geben wird, sondern mittels der KI nur Videos erstellt werden. Der erste Eindruck ist nicht schlecht. Der Weimatar ähnelt seinem Vorbild so sehr, dass man ihn zumindest auf einem Bildschirm nicht vom realen Kulturstaatsminister unterscheiden kann.

„Ich bin kein Deepfake“, versichert der Avatar vorsorglich, „sondern ein politisches Experiment.“ Weimers Behörde, die kein Ministerium ist, sondern dem Bundeskanzleramt angegliedert, will jetzt richtig digital werden, und „digital heißt sichtbar machen, was mich umtreibt, zeigen, wie und warum Entscheidungen getroffen werden.“ Der Weimatar, heißt es in der begleitenden Pressemitteilung, soll in sozialen Netzwerken auftreten, „um schnell und mehrsprachig Stellung zu beziehen oder um innerhalb des Amtes Schulungsvideos ohne großen Aufwand aktuell halten und verbreiten zu können. So wird er zugleich zu einem Werkzeug politischer Kommunikation und zu einer praktischen Arbeitserleichterung im Haus.“

Normalerweise übernehmen solche Funktionen Pressesprecher oder andere Mitarbeiter mit ihren realen Körpern und Stimmen. Der Weimatar wird Gesicht, Mimik und Sprechweise des Kulturstaatsministers in Interaktionen mit Dritten einbringen. Das wirft Fragen auf. Ist eine weitere Personalisierung politischer Kommunikation eigentlich wünschenswert? Und wie soll ein Deepfake von Weimer ausgeschlossen werden? Einen digitalen Avatar kann man viel leichter simulieren als eine Person, die sich zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten nachweislich aufhält.

Der Weimatar spricht viele Sprachen

Eine Funktion des Gadgets ist tatsächlich nützlich: Der Weimatar spricht viele, viele Sprachen. Er kann sich etwa auf Niederländisch an die Flamen wenden, wenn es um die Ausladung eines israelischen Dirigenten und seines deutschen Orchesters im belgischen Gent geht, oder auf Polnisch und Französisch europäische Verbundenheit beschwören. Die digitale Animation wird, so ist zu vermuten, vor allem dazu eingesetzt werden, die Sicht des Kulturstaatsministers auf die Welt zu verbreiten und ihn und seine Behörde als zeitgemäß auszuweisen.

Was auf Weimers Agenda steht, verraten die Beispiele im ersten kurzen Filmchen: der Kampf gegen Antisemitismus im Kulturbetrieb zum Beispiel. Doch auch die chinesische Social-Media-App TikTok sieht er sehr kritisch. TikTok, warnt der digitale Weimer, „zieht Jugendliche mit endlosen Clips in eine Suchtspirale, füttert sie mit gefährlichen Trends und Schönheitsidealen.“ Währenddessen sieht man im BKM-Clip Teenager in düsteren Zimmern, auf ihre Smartphones eintippend. Was ein bisschen seltsam ist, denn warum muss man denn unbedingt in einem dunklen Zimmer TikTok schauen und warum muss man dabei tippen? Man wischt allenfalls.

Wie dem auch sei, die chinesische Datenkrake ist dem auf Datensouveränität bedachten Ex-Verleger ein Dorn im Auge. „Deshalb sage ich, wer in Europa aktiv sein möchte, muss unsere europäischen Regeln akzeptieren.“ Das bedeute, so Weimer weiter: „Transparenz, Rechenschaft, wirksamer Jugendschutz, Fairness und echte Beiträge zu Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt.“

Das sind hehre Ziele, aber wie bekommen das diejenigen mit, die TikTok nutzen? Der Bundeskanzler hat auf der erfolgreichsten Social-Media-Plattform 621.000 Follower, Weimer ist dort nicht präsent. Und von der Radikalität der Albaner ist man meilenweit entfernt. Im Kabinett von Edi Rama wird der Diealla-Avatar als Institution mit Ministerrang eingesetzt. In Berlin ist der Weimatar vor allem eins: ein PR- und Kommunikationstool. Aber das ist vielleicht auch besser so.

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