Dieses Mal müssen wir mal wieder ganz besonders aufpassen. Wir kennen uns ja. Unsere Neigung, Metaphern ins Kraut schießen zu lassen. Kaum hat ein Sonntagabendkrimi seine ersten Plot-Blättchen aus der Mordundtotschlagkrume erhoben, schon blühen die Sprachbilder. Eine ganz schreckliche Deformation.
Im Fall des neuen Zürcher „Tatort“ – eine Jubiläumsausgabe, es ist die zehnte Aufklärungsarbeit für das sich bisher von Herzen fremde Kommissarinnen-Team aus der punkigen Goldküsten-Tochter Tessa Ott und der zutiefst bürgerlichen Unterklassen-Tochter Isabelle Grandjean – müssen wir Metaphern unterdrücken, die etwas mit dem Herzen zu tun haben.
Das wird schwierig, es geht schließlich anderthalb Stunden um nichts anderes. Was sich schon im Titel offenbart: „Kammerflimmern“ heißt die Geschichte, womit der massiv konstruierte Angriff auf die kardiologische Befindlichkeit der „Tatort“-Gemeinde noch milde überschrieben ist. Die Zürcher geben alles, um den zentralen Muskel der eher älteren und von Insuffizienzen und Infarkten aller Art besonders bedrohten „Tatort“-Klientel zu strapazieren, um dieser Klientel die Schweißperlen auf die Stirn und den Blutdruck in die Höhe schließen zu lassen.
Wer sich besorgt nach dem nächsten Defibrillator umschaut, sobald er irgendwo hinkommt oder einen Herzschrittmacher trägt, sollte „Kammerflimmern“ besser meiden. Schneller, fiebriger war noch kein Schweizer „Tatort“ (das will aber eigentlich nichts heißen).
Immer mehr Menschen fallen um
Es ist ein grauer Tag über dem Zürichsee. Menschen gehen spazieren, joggen, radeln, machen Yoga. Und plötzlich fallen sie um. Einfach so. Erst vier, dann zehn, dann immer mehr. Sie trugen ein ICD, einen Implantierbaren Kardioverter-Defibrillator. Mit Mikrostrom soll – laienhaft ausgedrückt – so ein ICD im Notfall dem Herzschlag wieder Beine machen. Von Mikrostrom konnte im Fall der Toten aber keine Rede sein – die zentral gesteuerten Implantate übertrieben es mit der Stromzufuhr. Sie waren gehackt worden.
Die Firma Lauber Cardio – Hersteller und Programmierer der ICDs in „Kammerflimmern“, ein Start-up immer am Rand der Pleite und in der üblichen kapitalistischen Klemme zwischen Vision und Wirtschaftlichkeit – wird erpresst. Die krumme Summe von 317 Millionen soll sie zahlen, dann würden die Hacker die ICDs wieder in den richtigen Takt bringen.
Eine Horrorvorstellung für jeden, dessen Wohl und Wehe vom Funktionieren des Cardio-Algorithmus abhängt (insofern ist so ein ICD natürlich eine Metapher für unsere komplette Gesellschaft). Im Aufspüren derartiger Albtraumszenarien haben die Zürcher „Tatort“-Verantwortlichen eine gewisse Meisterschaft entwickelt. Leider auch darin, mit dem Gewicht der Geschichten auf dem Rücken immer ein bisschen zu kurz zu springen.
Den Kommissarinnen läuft die Zeit weg. Die Musik pulsiert im Rhythmus der Herzschläge. Der Bildschirm wird geteilt. Uhrzeiten werden eingeblendet. Eine Hektik wird verbreitet. Ein Echtzeitthriller will „Kammerflimmern“ sein. Was am Ende allerdings nur bedingt gelingt – auch weil sich Petra Ivanov und André Küttel, von denen das Drehbuch stammt, das Barbara Kulscar inszenierte, allzu offensichtlich bemühen, den eigentlich verhältnismäßig simplen Plot nach allen Regeln der 90-Minüter-Dramaturgie komplexer zu machen. Jedes Storygewehr, das sie am Beginn von „Kammerflimmern“ an die Coronargefäße ihrer Erzählung hängen, schießt zuverlässig los, Figuren werden zu schieren Werkzeugen der Verschiebung von Erzählsträngen. Immer, wenn man meint, die Geschichte wäre aufklärt und am Ende, jagen sie einen neuen Stromstoß hinein.
Was mit dem Gestorbenen von „Kammerflimmern“ geschieht – es geht neben der Dramatisierung eines absehbaren Medizindesasters immerhin auch noch um einen vertuschten Unfall nach einem ICD-Aussetzer, um Bruderzwist, um Traumata, Korruption, eine skrupellose Medizinindustrie – bleibt einem herzlich egal. Die sind halt irgendwann tot. Keiner der 56 Toten, die am Ende zu beklagen sind, bekommt eine Geschichte, bekommt ein Gesicht. Das war beim bisherigen Rekordhalter in Bezug auf Leichen – der Tukur-„Tatort“ von 2014, der „Im Schmerz geboren“ hieß, hatte gut 50 Leichen aufgeboten – anders.
Ans Herz gehen soll einem allzu offensichtlich nur Otts Mutter, von der wiederum nach allen Regeln der Dramaturgiekunst exakt in der Mitte von „Kammerflimmern“ offenbar wird, dass sie auch einen ICD trägt. Alle anderen Gestorbenen oder Gefährdeten sind wurscht. Müssen es auch sein. Ein „Tatort“ kann halt nicht ewig leben, von allen erzählen. Ein bisschen kaltherzig ist das aber schon.
Und dann noch was fürs Herz
Es gibt allerdings auch eine Wärmestube, einen Ruhepol in dieser Geschichte – Ott und Grandjean. Die waren mal wie Hund und Katz. Jetzt ermitteln sie zunehmend im gleichen Puls. Voller Respekt und Zuneigung. Am Ende nehmen sie sich in den Arm. Sind selbst überrascht, wie geschmeidig ihnen das gelingt.
So sind wir hoffnungsfroh, dass Ott und Grandjean vielleicht werden, was Batic und Leitmayr nie so richtig waren, nie sein durften (vielleicht weil sie Männer sind) – ein sich innig und voller Vertrauen zugetanes Team. Das ist doch – Vorsicht Metapher – sehr herzig. Und sehr schön. Daran sollten sich ihre „Tatort“-Kolleginnen in Bremen mal ein Beispiel nehmen, deren herzlose Zickigkeit einem nur noch an die Nieren geht. Es wird einem ganz warm ums Herz. Cardio-Metaphermaschine aus.
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