In ihrem berühmtesten Film „Der Stadtneurotiker“ – im Original „Annie Hall“, benannt nach der Rolle, die sie spielte – lernen Diane Keaton und Woody Allen sich in einem Tennisclub kennen. Nach dem Doppel unterhalten sie sich, nun in Straßenkleidung. Sie trägt ein in weite, braune Hosen gestopftes weißes Herrenhemd, eine schwarze Weste und einen langen, gepunkteten Schlips, auf dem Kopf einen breiten, schwarzen Filzhut.
Sie lacht, schüttelt den Kopf, wirft die Arme hoch, kichert, wirkt verwirrt, macht sich Vorwürfe, wiegelt wieder ab: „Na ja, sei’s eben drum.“ Es war die Essenz von Diane Keaton, der Schauspielerin und der Persönlichkeit, in eine knappe Minute gepackt. Zu dieser Zeit hatten sie und Allen sich bereits getrennt. Ein halbes Jahrzehnt hatten sie zusammengelebt, bei den Proben zu seinem Theaterstück „Mach’s noch einmal, Sam“ hatte es gefunkt, er hatte sie in dessen Verfilmung, im „Schläfer“ und in „Die letzte Nacht des Boris Gruschenko“ besetzt.
Dann waren sie auseinandergedriftet, er lehnte ihre Therapeuten ab, ihr missfielen seine Herablassung und seine Launen. Das hinderte die beiden nicht daran, weiter zum Baseball zu gehen oder ausländische Filme anzusehen oder gemeinsame Filme zu drehen, insgesamt acht, bis 20 Jahre nach ihrer Trennung. Er hat nie ein böses Wort über sie gesagt; und sie hat stets zu ihm gehalten, auch als Mia Farrow die Missbrauchsvorwürfe erhob.
Es gab eine Diane Keaton vor Woody Allen, und es gab eine Diane Keaton nach ihm. Die vor ihm machte Werbung für ein Deodorant und drehte ihre Runden bei Castings, so auch für den „Paten“. „Ich bin einfach zum Vorsprechen gegangen. Ich hatte das Drehbuch nicht einmal gelesen“, erzählte sie Jahrzehnte später. „Aber ich brauchte einen Job, also bin ich hingegangen. Und ich dachte immer wieder: ‚Warum ich? Warum sollte er mich besetzen?‘ Ich habe es nicht verstanden. Ich verstehe es immer noch nicht, ehrlich gesagt.“ Die Antwort gab Coppola schließlich, auch Jahrzehnte danach: „Ich habe dich ausgewählt, weil du zwar die unauffällige Ehefrau spielen solltest, aber mehr an dir war, etwas Tieferes, Lustigeres und sehr Interessantes.“
Sie erzählte ihre Geschichten mithilfe ihrer Garderobe
„Diane Keaton ist eine Handlung“, charakterisierte Warren Beatty sie, als er ihr 2017 den Preis des American Film Institute für ihr Lebenswerk verlieh. „Sie ist eine unvorhersehbare, geheimnisvolle, spannende, ständig überraschende, manchmal komische, manchmal tragische, immer fesselnde Handlung. Diese Frau ist eine Geschichte.“
Diese Frau erzählte ihre Geschichten am liebsten mithilfe ihrer Garderobe, die sie aus dem eigenen Kleiderschrank zum Dreh mitbrachte. Zu ihrem Annie-Hall-Look war sie am Set von „Der Pate“ in New York inspiriert worden; die unterdrückte Ehefrau von Al Pacino, die Protestantin unter Katholiken, die Frau in einer Mafia-Männerwelt war ihr Durchbruch im Kino gewesen.
„Ich habe mir die Kleidung, die ich tragen wollte, von den coolen Frauen auf den Straßen von SoHo geklaut. Annies Khakihose, Weste und Krawatte stammen von ihnen“, schrieb sie in ihren Memoiren. „Den Hut habe ich von der französischen Schauspielerin Aurore Clément gestohlen, die eines Tages am Set auftauchte und einen schlabberigen Herrenbolero trug, den sie tief über die Stirn gezogen hatte. Aurores Hut rundete den sogenannten Annie-Hall-Look ab.“
Eine Weile lang, in den späten 1970ern, kleideten sich junge Frauen in New York und Paris und London wie Diane Keaton mit ihrer Vorliebe für Melonenhüte und Fliegen, Gürteln und Brogues zu dicken weißen Socken. Ihre Kostüme waren gespickt mit gemusterten Krawatten und Westen. Sie war einmalig, ein Eine-Frau-Modestil.
Mit dem „Stadtneurotiker“ gewann sie, was man gewinnen konnte, den Oscar, den Golden Globe, den Britischen Filmpreis. Aber es gab eben auch eine Diane Keaton nach Woody Allen, und die war eine Mossad-Agentin (in dem Thriller „Die Libelle“), die mit Meryl Streep verfeindete Schwester (in „Marvins Töchter“), ertrug den alternden Jack Nicholson (in „Was das Herz begehrt“) und rächte sich an ihrem untreuen Ehemann (im „Club der Teufelinnen“). Sie trat in Musikvideos auf (Belinda Carlisles „Heaven Is a Place on Earth“, als Justin Biebers Großmutter in „Ghost“), inszenierte eine Folge von „Twin Peaks“ und ein halbes Dutzend weitere Fernsehfilme und produzierte fürs Kino, darunter Gus Van Sants Goldene-Palme-Gewinner „Elephant“.
Große Parts spielte Diane Keaton auch jenseits der 50
Die „Teufelinnen“ waren das Muster für ein kleines Sub-Genre, das man „Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin“ nennen könnte: Diane Keaton in einer Dreier- oder Viererkonstellation, hier mit Bette Midler, Maggie Smith und Goldie Hawn, in den beiden „Book Club“-Filmen jeweils mit Jane Fonda, Candice Bergen und Mary Steenburgen, in „Dancing Queens“ mit Jacki Weaver und Celia Weston, oder in ihrem allerletzten Film „Summer Camp“ mit Kathy Bates und Alfred Woodard.
Es waren letztlich alles Komödien, das war das Genre, in dem sie sich am wohlsten fühlte, und das gab sie unumwunden zu: „Ich liebe es, unbeholfen zu sein oder mich zu verlieben und zu lachen oder jemandes Gesicht zu berühren und es zu genießen. Ich liebe den Spaß, den man hat, wenn man in einem Komödienfilm mitspielt.“ Das hat ihr geholfen, mit über 50 im Geschäft zu bleiben, nicht nur Nebenrollengroßmütter zu spielen, sondern große Parts, wie in den zwei Teilen von „Vater der Braut“ an der Seite von Steve Martin, oder in „Das grenzt an Liebe“ mit Michael Douglas oder in „Stadt, Land, Kuss“ mit Warren Beatty (einer ihrer früheren Lebensgefährten, neben Woody Allen und Al Pacino).
Wenn sie einmal nicht drehte – und es gab von 1970 bis 2024 praktisch kein Jahr, in dem sie nicht vor der Kamera stand –, betätigte sie sich als Häusermaklerin (Madonna kaufte für 6,5 Millionen Dollar eine Villa in Beverly Hills von ihr) oder baute sich ihr eigenes Wunschhaus. „Mein kleiner Traum war es schon immer, ein Haus am Meer in Kalifornien zu haben – kein großes, nur ein kleines mit etwa drei oder vier Hunden. Und ein kleines altes Auto“, hatte sie in einem frühen Interview der „New York Times“ anvertraut.
Vor acht Jahren erfüllte sie sich ihren Traum, baute im Sullivan Canyon nördlich von Los Angeles ein Haus aus roten Ziegeln und bewahrte im Schlafzimmerschrank 20 Hüte mit Krempe, zwei Zylinder und 34 Kappen und Baskenmützen auf. Was sie einmal erzählte, aber der Öffentlichkeit nicht zeigte, denn sie war wahrscheinlich der Star, der sein Privatleben am strengsten hütete, die Greta Garbo unserer Zeit.
Das Letzte, was wir von Diane Keaton zu sehen bekamen, war ein Foto im Frühjahr auf ihrem Instagram-Kanal, zusammen mit ihrem Golden Retriever. Ihre letzten Bewegtbilder stammen aus dem Dezember 2024. Da steht sie in dem Video für ihre Debüt(!)-Single „First Christmas“ mit Kopfhörern vor einem Mikrofon und singt von einem einsamen Weihnachten, dem ersten Fest ohne ihren Mann: „It’s a silent night/ It’s another year/ The first Christmas without you here/ On this winter night, I say a prayer/ For others just like me.“
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.