Ein Adjektiv, auf das man in vielen Zeitungsartikeln über die Schauspielerin Diane Keaton liest, lautet: „self-deprecating“. Das heißt: selbstironisch, bescheiden, sich selbst herabwürdigend. Nirgendwo ließ sich diese Eigenschaft besser beobachten als in dem Film „Annie Hall“ aus dem Jahre 1977. An der Seite von Woody Allen (weshalb der deutsche Filmtitel wohl „Der Stadtneurotiker“ lautet) tigerte sie in Männerklamotten durch Manhattan, trug komische Hüte und ließ Wortgirlanden von bezaubernder Unlogik durch die Luft segeln ließ.
Diane Keaton als Annie Hall: Das war eine Schickse – eine Nichtjüdin – aus der Mitte Amerikas, die in einem jüdischen Ostküstenmilieu eigentlich fehl am Platze ist, in New York aber trotzdem dazugehören will und wegen dieses Dilemmas einen schrecklich lustigen, sehr langsamen Nervenzusammenbruch erleidet. Diane Keaton hat später bestätigt, dass sie hier ein ins Groteske überhöhtes Selbstporträt ablieferte. Ihre schauspielerische Leistung hat ihr damals nicht nur einen Oscar eingetragen, sondern auch ein Titelbild des „Time“-Magazins beschert: Sie sei, beschied die Zeitschrift, „die komischste Filmschauspielerin der Welt“.
Dabei hatte sie gar nicht als Komikerin angefangen. Ihr Filmdebüt gab sie in „Der Pate“, wo sie Kay Adams spielte, die Freundin von Michael Corleone, die eindeutig nicht aus Sizilien stammt und gegen ihren Willen zur Gangsterbraut aufsteigt. (Mit Al Pacino, der den Gangster spielt, hatte sie eine Liaison.) Im zweiten Teil von „Der Pate“ wurde ihre Rolle ausgebaut. Keaton hat sich später ziemlich abfällig über ihre damalige schauspielerische Leistung geäußert und wollte die fertigen Filme gar nicht sehen, weil sie sich für eine Fehlbesetzung hielt. Sie war aber keine Fehlbesetzung, sie spielte nur eine Frau in einer Welt, in der Frauen nichts zählten.
Ihre ersten Erfolge erzielte sie in Woody Allens frühen Komödien: „Die letzte Nacht des Boris Gruschenko“, „Der Schläfer“. Sie war genau der Widerpart, den der jüdische Neurotiker brauchte, und das wusste sie auch. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn Diane Keaton nicht durch Mia Farrow verdrängt, sondern weiter an Allens Seite geblieben wäre.
Dass sie aber auch anders als komisch sein konnte, bewies sie nach dem Durchbruch in „Annie Hall“ mit „Auf der Suche nach Mr. Goodbar“. Diane Keaton spielt in diesem Kriminalfilm eine Lehrerin für Gehörlose aus streng katholischem Elternhaus, die in einer Bar Männer aufreißt und am Schluss in eine tödliche Falle gerät. Eine ungemein intensive Rolle – natürlich hätte Keaton auch dafür einen Oscar verdient! Aber offenbar waren die Herrschaften in Hollywood von ihrer herausragenden Leistung zu verstört.
Geboren wurde sie 1946 in Kalifornien; die Mutter Hausfrau, der Vater Bauingenieur. Als junge Erwachsene kam Diane Keaton nach New York, um Schauspielerin zu werden. Sie spielte am Broadway in dem Musical „Hair“ mit, dann bewarb sie sich um eine Rolle in Woody Allens „Spiel’s noch einmal, Sam“ – damals noch kein Film, sondern ein Broadway-Stück. Beinahe wäre sie nicht genommen worden, weil sie den kleinen Hauptdarsteller um fünf Zentimeter überragte, aber dann bekam sie die Rolle doch.
Ihr Wiedererkennungswert war spätestens seit „Annie Hall“ hoch: Keaton trug auch privat gern Männersackos und Hosen, war groß und dünn und setzte sich gern Hüte auf den Kopf – bevorzugt Filzhüte mit weiter Krempe. Für ihre Generation hatte sie etwa dieselbe Bedeutung wie Katharine Hepburn für die Generation davor: Diane Keaton war eine intelligente Komödiantin, die auch sehr ernst sein konnte und nie viel von sich hermachen musste, weil sie eben sehr viel konnte.
Als sie die 50 schon weit überschritten hatte, überraschte sie das Publikum, als sie an der Seite von – ausgerechnet – Jack Nicholson in einer romantischen Komödie spielte: „Something’s Gotta Give“. Auf Deutsch trägt der Film von 2003 leider den etwas seelenschmusigen Titel „Was das Herz begehrt“. Diane Keaton spielt darin eine alternde Dramatikerin, die sich in einen alten Macho verknallt, der eigentlich nur auf junge Frauen steht.
Mit ihrer Liebe gelingt es, den Kerl in einen Menschen zu verwandeln. Unmöglich, davon nicht ergriffen zu sein. Unmöglich, dabei nicht laut loszulachen. Am Samstag ist die unvergleichliche Diane Keaton im Alter von 79 Jahren gestorben.
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