Es ist ein großer Tag für den kleinen Asterix. Mehrere Dutzend Journalisten aus aller Welt warten darauf, mehr darüber zu erfahren, was „Asterix in Lusitanien“, dem 41. Band der Comic-Reihe, erlebt. Die portugiesische Botschaft in Paris lässt köstliche Pastéis de Nata servieren, die berühmten kleinen Puddingkuchen, die am Morgen zugegebenermaßen besser bekömmlich sind als Bacalhau, das Nationalgericht aus Stockfisch, das olfaktorisch allerdings manchen Fan an die Ware von Fischhändler Verleihnix erinnert hätte.
„Asterix“ ist hier in der Botschaft gleichsam in die Gefilde der Diplomatie aufgestiegen: alte Teppiche, goldene Uhren, Stuckdecken, an den Wänden Ölgemälde mit historischen Szenen. Die ehemalige Kolonialmacht Portugal zeigt sich in Paris von ihrer stolzen Seite. Der Botschafter trägt, selbstverständlich, Anzug und Krawatte. Fabcaro sitzt ihm gegenüber wie ein Mann aus einer anderen Welt. Weißes T-Shirt, rote Kapuzenjacke, Jeans. Am rechten Ohr trägt er einen großen silbernen Reifenohrring, am linken Handgelenk zahlreiche Armbänder und Lederriemen. Das Haar ist etwas ergraut und wuselig. Er wirkt wie ein leicht in die Jahre gekommener Rocker: sympathisch, irre nett, vielleicht einen Tick marginal.
Fabcaro, mit bürgerlichem Namen Fabrice Caro, ist der Texter des neuen „Asterix“, weshalb er an diesem Tag der weltweiten Vorstellung des jüngsten Albums Rede und Antwort stehen muss. Keine einfache Aufgabe für jemanden, der sich lange als „krankhaft schüchtern“ bezeichnet hat und für den Humor ein rettendes Kommunikationsmittel geworden ist. Warum er die Handlung in Portugal angesiedelt hat? Er habe ein sonniges, leuchtendes Album gewollt, eines, das nach Ferien rieche, erklärt Fabcaro. Aber auch die portugiesische Melancholie habe ihn fasziniert, die Saudade.
Sie spielt im Plot des neuen „Asterix“-Albums eine zentrale Rolle. Denn was, wenn sie eine Strafe wäre? Eine Strafe dafür, dass der portugiesische Nationalheld Viriathus von den Seinen verraten und im Schlaf ermordet wurde? Das ist kein Spoiler, denn bis dahin ist alles historisch belegt: Viriathus, die lusitanische Version des Vercingetorix, hat es schließlich wirklich gegeben. Sein Mord 139 v. Chr. ist belegt. Saudade als Strafe?
„Ich bin ein großer Melancholiker“, gesteht Fabcaro im Gespräch. Das sei ja oft so, erklärt er, dass melancholische Menschen Humor brauchen, um die Schieflage der Seele auszugleichen. Melancholie sei eben nicht dasselbe wie Traurigkeit. „Die Melancholie ist ein kleines Übel, das guttut“, sagt er.
Fabcaro, 52 Jahre alt, Autor unzähliger Comics, Graphic Novels und von inzwischen sieben Romanen, mag in Deutschland unbekannt sein. In Frankreich ist er seit 2015 ein Superstar. Damals erschien „Zaï, Zaï, Zaï, Zaï“, Untertitel „Ein Roadmovie“. Der Plot dieser Graphic Novel ist komplett absurd: Ein Comicautor kauft im Supermarkt ein und stellt an der Kasse fest, dass er seine Treuekarte vergessen hat. Die Konsequenzen sind fatal. Er begibt sich auf die Flucht.
Fabcaro muss heute lachen, wenn er daran denkt, wie er die Idee seinem kleinen Verlag vorgeschlagen hatte. Nichts fürs breite Publikum. Zehn Jahre später sieht die Bilanz so aus: 400.000 verkaufte Exemplare, etliche Inszenierungen auf der Bühne, eine Verfilmung fürs Kino. Als neuer Kafka wurde er gefeiert, das Buch als sozialkritische Darstellung einer Gesellschaft, die falsche Prioritäten setzt. Zum Bestseller wurde es, weil sich eine ganze Generation im tragikomischen Schicksal dieses Losers wiedererkannte. „Ich habe immer gedacht, dass die Franzosen nicht so für das Burleske sind wie die Briten oder die Belgier, aber offensichtlich habe ich mich getäuscht“, resümiert Fabcaro.
Mit Erscheinen seines ersten „Asterix“-Albums haben auch die deutschen Medien das Talent von Fabcaro entdeckt und ihn als denjenigen gelobt, der nach dem frühen Tod von René Goscinny endlich wieder auf der Höhe des Genies des Erfinders war. „Die weiße Iris“, so befand der Spiegel, sei „der beste Comic seit vielleicht vier Jahrzehnten“, der beste seit „Asterix bei den Belgiern“, Goscinnys letztem Werk. Danach hatte Zeichner Albert Uderzo auch die Texte geschrieben, bis schließlich 2013 Jean-Yves Ferri die Aufgabe übernahm und sich 2021 wieder verabschiedete.
Der Erfolg ist Fabcaro nicht zu Kopf gestiegen. „Ich bin und bleibe ein Typ aus der Provinz“, sagt er. Er ist aus Bédarieux nach Paris angereist, aus der südfranzösischen Provinz, nicht weit von Montpellier, wo er seit vielen Jahren lebt, in einem Haus außerhalb des Dorfes, auf einer Anhöhe, zwei Esel, Schildkröten, bis vor wenigen Jahren auch eine Katze. „Sie war mein Freund“, sagt Fabcaro. Als sie mit 20 starb, wollte er keine neue.
Aus der Zeit, als die inzwischen erwachsenen Töchter noch zu Hause wohnten, hat er den Rhythmus beibehalten. Aufstehen um sieben, halb acht. Kaffee, kurzes Frühstück und dann sofort an die Arbeit. Lange hat er das am Küchentisch gemacht oder auf dem Sofa. Inzwischen hat er sein eigenes Büro. Einmal hat er eine Masterclass gegeben und gesagt, dass er Kollegen mit Schreibblockade empfiehlt, ausgestreckt auf dem Sofa weiterzuarbeiten. Im Saal wurde herzlich gelacht.
Fabcaro arbeitet den ganzen Tag. Je nach Lust und Verfassung widmet er sich einem seiner vielen Projekte. „Das ist ein riesiges Privileg, morgens aufzustehen und sich zu fragen: Was mache ich heute?“ Es ist Leidenschaft, nicht Arbeit. „Ich lebe wie ein Kind. Ich amüsiere mich mit ‚Asterix‘, wie früher, als ich sieben war, als habe sich nichts geändert.“
Zwischendrin greift er zur Gitarre oder macht einen langen Spaziergang in der Natur, in der mediterranen Landschaft des Haut-Languedoc, den Hügeln zwischen Massif Central und Pyrenäen. Aber das Tempo, mit dem er seine Bücher und Comics veröffentlicht, lässt ahnen, dass für viel anderes kein Platz ist. „Ich bin von Natur aus ängstlich, ein echter Hypochonder, der nur an Krankheit und Tod denkt“, gesteht Fabcaro, „also arbeite ich, um zu vergessen“.
„Ich suche Spuren meiner Kindheit“
Kindheit ist sein großes Thema. Den ersten Comic hat er bei seiner spanischen Großmutter in den Ferien gelesen, „Clever & Smart“ oder „Mortadelo y Filemón“, wie er im Original hieß. Dann kamen „Tim und Struppi“ hinzu, „Asterix“ und „Lucky Luke“, die „belgisch-französische Schule“, wie er es nennt.
Als der kleine Fabrice eingeschult wird, kann er schon lesen und überspringt die erste Klasse. Später wird Gotlib sein großes Vorbild, der 2016 verstorbene Marcel Gottlieb, Pionier des modernen Comics in Frankreich, Autor mit Kultstatus, dessen selbstironischer Sprachwitz unübersetzbar war, weshalb der Name in Deutschland nur Eingeweihten etwas sagt.
Der Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen sei, sagt Fabcaro, dass am Anfang alle zeichnen. Manche hören damit auf und werden erwachsen, andere zeichnen weiter. „Irgendwie bin ich nicht erwachsen geworden, jedenfalls fühle ich mich dem kleinen Jungen, der ich war, immer noch sehr ähnlich.“ Auf Flohmärkten blüht Fabcaro auf: „Ich suche Spielzeuge, Bücher, Hörkassetten, Spuren meiner Kindheit“, erzählt er.
Im luxuriösen Festsaal der portugiesischen Botschaft, auf einer Chaiselongue sitzend, die zum Lümmeln nicht geeignet ist, nicht einmal zum gemütlichen Anlehnen, gesteht Fabcaro, dass er sich bis heute als Klassenflüchtling empfindet. Das Wort hat Nobelpreisträgerin Annie Ernaux geprägt. Inzwischen versorgen diese „transfuges de classe“ nicht nur die französische Literatur mit Geschichten aus der wahren Welt der Unterschicht.
Fabcaro veröffentlicht 2005 fast gleichzeitig seinen ersten Comic und seinen ersten Roman. Doch er hat das Gefühl, nicht die Legitimität für die große Literatur zu haben. Es sei ein Vorurteil gewesen, gibt er zu, aber Romane, das sei für ihn nur etwas aus den gutbürgerlichen Pariser Salons gewesen. „Das Milieu des Comics fühlte sich damals wie Familie an, vielleicht, weil ich ein Unterschichtskind aus der Provinz bin“, sagt Fabcaro. Fünfzehn Jahre lang konzentriert er sich auf die Arbeit an Comics. Erst dann traut er sich, ohne Bilder und Sprechblasen zu schreiben. Heute werden seine Romane beim renommierten Verlagshaus Gallimard verlegt.
Aufgewachsen ist er in Saint-André-de-Sangonis, einem 5000-Einwohner-Dorf 30 Kilometer von Montpellier entfernt. Die Mutter war Kassiererin an einer Supermarktkasse, der Vater kochte in einer Schulkantine. „Ich hatte einen Klassenkomplex. Wir hatten kein Geld, ich bin in einem Unterschichtsviertel großgeworden, wo die Zigeuner lebten. Meine gesamte Kindheit und Jugend habe ich mit meinen Zigeunerfreunden auf der Straße verbracht.“ Kunst und Kultur, das sei etwas für die anderen gewesen.
Sein Vater starb, als er ein Jahr alt war. Jahrzehntelang glaubte Fabcaro, dass ein Aneurysma die Ursache gewesen sei, und fürchtete, dasselbe Schicksal erleiden zu müssen. Erst vor wenigen Jahren erfuhr er, dass die Spätfolgen eines Unfalls verantwortlich für den Tod des Vaters waren.
„Das mag jetzt wie Küchenpsychologie klingen, aber wenn man so früh komplizierte Dinge erlebt, dann ist man sich der Zerbrechlichkeit des Lebens bewusst. Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, dass morgen alles zu Ende sein kann.“ Neben seiner Hypochondrie, seiner Arbeitswut erklärt das, warum er als Melancholiker auch die Kunst des „leichten Glücks“ beherrscht und pflegt, le bonheur facile, wie er es nennt: der Besuch eines Flohmarkts, ein bisschen Klimpern auf der Gitarre, Zeit mit den Töchtern verbringen. Es sei ganz einfach, ihn glücklich zu machen.
Kurz vor Erscheinen seines neuesten Abenteuers „Asterix in Lusitanien“ (erscheint am 23. Oktober) kommt es zu einer Weltpremiere: eine ganze WELT AM SONNTAG, die ausschließlich mit Bildern von Albert Uderzo und seinem Nachfolger Didier Conrad illustriert wird. Leser finden in dieser Ausgabe die gewohnte Mischung aus Nachrichten, Analysen und Unterhaltung, aber auch Geschichten, die selbst die behäbigen Bewohner eines gallischen Dorfes interessieren könnten.
Sie können diese ganz besondere Ausgabe der WELT AM SONNTAG, ein Sammlerstück, gern hier bestellen.
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