Mit "Springsteen: Deliver Me From Nowhere" schafft Scott Cooper kein klassisches Biopic, sondern fokussiert sich auf eine Schaffenskrise des Musikers, die zum Album "Nebraska" führt. Jeremy Allen White verkörpert den traurigen "Boss" mit großer Intensität.

Erst im Sommer war Bruce Springsteen - heute 76 Jahre alt - auf großer Stadiontour und bewies einmal mehr, dass er zu den stabilsten Musikern zählt, die seine Generation hervorgebracht hat. Er scheut sich nicht, immer wieder seine Meinung über Trump zu äußern, ganz gleich, welche polternde Drohung des US-Präsidenten dem folgt. So selbstbewusst war Springsteen nicht immer. Einem der düsteren Momente seines Lebens widmet sich nun das Biopic "Springsteen: Deliver Me From Nowhere".

Die Erzählung von Scott Cooper setzt ein, nachdem sich Bruce Springsteen mit fünf Alben bereits einen Namen in der US-Musikszene gemacht hat. Er wird als die "Zukunft des Rock 'n' Roll" gefeiert und ist auf dem besten Weg in Richtung Mainstream. Zumindest, wenn es nach seinem Label Columbia geht. Er selbst hat erst mal andere Pläne.

Traumatische Kindheitserinnerungen

Der Film steigt allerdings früher ein, nämlich mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus dem Jahr 1957, als Bruce (Matthew Anthony Pellicano) acht Jahre alt ist und mal wieder miterleben muss, wie sein Vater Douglas (Stephen Graham) unter Alkoholeinfluss der Mutter Adele (Gaby Hoffmann) gegenüber gewalttätig wird. Seinen Sohn lässt er ebenfalls wenig Liebe spüren. Diese Erlebnisse verfolgen den Jungen bis ins Erwachsenenalter.

1981 ist Springsteen (Jeremy Allen White) 32 Jahre alt und gerade von einer erfolgreichen Tour samt Band zurückgekehrt. Dennoch machen Manager Jon Landau (Jeremy Strong) und Plattenboss Al Teller (David Krumholtz) schon wieder Druck, drängen auf ein Follow-up zum gefeierten "The River". Also zieht sich Springsteen in ein romantisch am See gelegenes Haus in seiner Heimat New Jersey zurück, um dort an neuen Songs zu arbeiten.

Emotional befindet sich der Musiker gerade an einem Tiefpunkt, geprägt durch seine traumatische Kindheit und ein gewisses Maß an Einsamkeit. Für den ersten Song lässt er sich noch vom Serienmörder Charles Starkweather und dem ihn thematisierenden Film "Badlands" von Terrence Malick inspirieren. Mit "Born in the U.S.A." gelingt ihm in dieser Zeit sogar seine bekannteste Stadionhymne.

Doch alles, was Springsteen sonst dort im Schlafzimmer seines Hauses schreibt, ist intimer und persönlicher als all das, was er in seiner Karriere bislang geschaffen hat. Die Texte handeln von den eigenen Abgründen und der schwierigen Beziehung zu seinem Vater. Springsteen droht immer mehr, in seinen Depressionen zu versinken.

Solo-Schlafzimmeralbum statt Mainstream

Für hellere Momente sorgt die Begegnung mit der Kellnerin Faye Romano (Odessa Young), mit der er eine Beziehung beginnt, die dann aber doch seinem permanenten Fluchtreflex zum Opfer fällt. Dass er nicht gänzlich untergeht, ist vor allem seinem eigenen Talent zu verdanken. Gemeinsam mit dem Gitarrentechniker Mike Batlan (Paul Walter Hauser) nimmt Bruce Springsteen die neuen Songs im Schlafzimmer seines Hauses auch auf.

Genau so, wie sie auf der Kassette klingen, die er seinem Manager irgendwann ganz unkonventionell ohne Hülle überreicht, sollen sie auf Platte erscheinen. Rau, unperfekt und ohne Band im Rücken. Außerdem: "Keine Single, keine Promo, keine Tour", so Springsteens Bedingungen, die er entgegen erster Einwände von Produzenten und Plattenboss durchdrückt. Nicht mal sein Gesicht soll auf dem Plattencover zu sehen sein.

"Springsteen: Deliver Me From Nowhere" ist mehr eine Charakterstudie als ein Biopic, das sich eben nicht mit dem Gesamtwerk des Künstlers befasst, sondern sich eine Episode herauspickt, die zu erzählen wichtig scheint. Gerade vor dem Hintergrund, dass in den 1980er-Jahren Depressionen und entsprechende Therapien, wie sie sich Springsteen schließlich unterzieht, deutlich weniger ein Thema waren als heute. Gerade bei Männern galt das damals noch als Tabu. Doch Springsteen stellte sich seinen Dämonen - auch, um es besser zu machen als sein Vater, der ebenfalls nur ein Gefangener seiner selbst war.

Ein Film mit Springsteens Segen

Mit Jeremy Allen White hat Scott Cooper den perfekten Darsteller für die Rolle des zerrissenen Rockstars, der mit sich selbst und der Welt hadert, gefunden. Neben der Herausforderung, wie der "Boss" zu singen, ist es ihm vor allem gelungen, den innerlichen Schmerz so nach außen zu tragen, dass nichts daran aufgesetzt oder unglaubwürdig wirkt. Ebenso wenig wie die vielen liebevollen Details in Ausstattung und Kostüm, die den Zuschauer in die USA der 1980er mitnehmen - darunter der Live-Schuppen "The Stone Pony" in Asbury Park, New Jersey, sowie die legendären CBS-Musikstudios in New York City.

Dass die Frauen in "Springsteen: Deliver Me From Nowhere" mal wieder bloß Randfiguren sind, ist wie so oft der Thematik geschuldet. So dient Landaus Gattin (Grace Gummer) sogar nur dazu, dessen Gedanken im Monolog laut an jemanden zu adressieren, was aber auch nicht einer gewissen Komik entbehrt.

Scott Cooper dürfte der Realität insgesamt recht nah gekommen sein, hatte er mit Bruce Springsteen selbst und höchstpersönlich doch einen kritischen Berater an seiner Seite. Immer hatte er sich einem klassischen Biopic verweigert. Dass diese Version nun seinen Segen erhalten hat, kommt also einem Ritterschlag gleich. Dementsprechend wird der Film vor allem Springsteen-Fans gefallen, ist aber auch für jeden, der mit dem Werk vom "Boss" nicht vertraut ist, sehenswert.

"Springsteen: Deliver Me From Nowhere" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.

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