Der Holzstaub verwirbelt die Luft ein wenig, als wäre man wieder in dieser Münchner Hinterhofschreinerei, die es längst nicht mehr gibt und deswegen in einem Filmstudio wieder aufgebaut werden musste. Ein Mann mit Schürze, freundlich verpeilt, recht scheu, ohne Frau und Kinder. Eigenbrötler, man merkt es gleich und mag ihn dafür. Und irgendwo zwischen Leimtopf und Hobelbank ein Kobold, der auch nach sechs Jahrzehnten nicht erwachsen wird, weil er dafür viel zu lebendig ist.

Der Film heißt „Pumuckl und das große Missverständnis“. Es gäbe noch ein sehr viel Größeres: die kreuzdumme Idee, man müsse Figuren wie den Meister Eder und den Pumuckl für die Gegenwart modernisieren. Muss man nicht.

Stattdessen macht Marcus H. Rosenmüller etwas in Kinderfilmen selten Gewordenes: Er erzählt, ruhig, warm, mit einer heiteren Genauigkeit, die sich an Details festsaugt wie Bienen an Sommerwiesenblüten. Eine Blasmusik-Probe in einem Wirtshaus, ein nackerter Sprung ins Wasser, das am Weg glitzert, das magische Licht in einer Werkstatt, in dem noch Hände und noch nicht Maschinen hobeln – alles wunderschön.

Der Kino-Pumuckl setzt nicht auf die üblich gewordenen Gegenwarts-Upgrades (diverse Charaktere, Anspielungen auf die drängenden Themen der Zeit und so weiter), sondern auf Timing, Zuneigung, Situationen. Ein Maibaum, der gestohlen wurde, ein Traktor, der im Teich landet, Bier, das in eine Tuba gekippt wird, und mittendrin ein Wesen, das Chaos macht, um etwas zu retten, was wichtiger ist als Ordnung: die Freundschaft. Das reicht doch aus.

Die Ausgangslage: Bauarbeiten legen Eders Werkstatt lahm, eine Einladung aufs Land lockt, alte Freundschaften. Eder hilft beim Restaurieren eines Maibaumkarussells. Die Witwe seines ehemaligen Lehrherrn bietet ihm die Übernahme der Dorfschreinerei an. Um sie nicht vor den Kopf zu stoßen, sagt er, er wolle es sich überlegen, Pumuckl kriegt es mit und fühlt sich verraten. Der Kobold flieht, strampelt, stiehlt, reimt, tobt, in ihm rumoren die Gefühle, die Kinder kennen, wenn ihre Eltern sich streiten oder Geschwister ankündigen: Eifersucht, die Angst, verlassen zu werden.

Nicht so wichtig, man weiß ja, dass es gut ausgehen wird, es ist schließlich ein Kinderfilm. Wichtiger ist, wie beharrlich unzeitgemäß er die Welt angeht, in der er sich zuträgt. Handys existieren, aber sie regieren nicht. Kinder laufen nachmittags durchs Dorf, Nachbarn klingeln, weil man klingeln kann, Hähne krähen, Diebstähle sind Streiche und keine Abziehereien. Der Humor ist slapsticknäher als früher, aber nie hysterisch; er entsteht aus Reibung, Dialekt, bayerischer Sturschädeligkeit. Man hört’s, man riecht’s, man glaubt, die Späne landen gleich auf den eigenen Schuhen.

Florian Brückner spielt Eder als leisen Solisten: einer, der in der Stadt wohnt, weil er dort für sich sein kann und nicht von einem Dorf vereinnahmt wird, man möchte ihn fast beschützen, ihm versichern, dass er nein sagen darf. Und Pumuckl? Redet weiter, immer weiter. Es ist ein Film aus lauter Momenten. Ein Schildkrötenfund. Ein Bautrupp, der plötzlich im Hinterhof auftaucht, um ein Loch zu bohren. Ein Nachbar, zu dessen Geburtstag keiner kommt (dabei hat er doch Nudelsalat gemacht). Ein Dirigent, der unbedingt die Schatulle für seinen Dirigentenstab repariert bekommen muss.

Und schließlich als Finale die ganz große Oper: Der Eder steht auf der Bühne der Münchner Staatsoper, auf der eigentlich gleich eine Rossini-Premiere losgehen soll, und singt vor ein paar hundert Menschen, die nicht wissen, wie ihnen geschieht, mit einer sehr zarten und schüchternen Stimme ein Liebeslied für seinen besten Freund. Er soll ihn nicht verlassen, er soll wieder heim, sie gehören doch zusammen.

Weil dieser Pumuckl-Film nichts beweisen will, beweist er vieles. Dass Ungehorsam ein Reflex gegen das „so gehört sich das“ ist und dieser Reflex heilsam. Dass Anarchie lebendig macht. Dass man Autoritäten infrage stellen sollte, indem man sie immer nach ihren Warums fragt, statt sie einfach hinzunehmen.

Wie Rosenmüller das inszeniert, könnte man nostalgisch nennen und hätte recht damit. Doch diese Nostalgie ist kein Rückzugsraum, sondern eine Haltung: die Weigerung, alles, was früher schön war, nachträglich zu korrigieren. Der Film will, dass man sich erinnert, wozu Geschichten da sind: um Menschen zusammenzuschieben, die sonst aneinander vorbeilaufen. Wenn man dann das Kino verlässt, um durch die Herbstkälte nach Hause zu stapfen, trägt man einen Geruch (Holzleim, Sommer, Bauernhof), eine Melodie (krächzendes Lachen), ein Wort (Freundschaft) mit sich. Und Dankbarkeit für eine Erinnerung mit Zukunft.

„Pumuckl und das große Missverständnis“ läuft seit 30. November in den Kinos

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