Als die Art Basel Paris 2022 die alteingesessene Fiac ablöste und zum ersten Mal ausgerichtet wurde, versank Paris im Generalstreik. Im Jahr darauf überschatteten die Hamas-Attentate des 7. Oktober das Kunst-Event. Vergangenes Jahr regnete es durch das gerade teuer restaurierte Glasdach des Grand Palais. Dieses Jahr gab es nur ein Thema bei den dîners mondains, den gesellschaftlichen Events, veranstaltet von Galerien, Museen und Institutionen: der Jahrhundertraub im Louvre und die Frage, wie sicher ein millionenteures Gemälde im gläsernen Grand Palais ist.
Aller Widrigkeiten zum Trotz ist Paris die Welthauptstadt der Kunst geworden, „ze place to be“, wie die Franzosen in ihrem noch immer gebrochenen Englisch sagen. Nach Jahrzehnten der Lethargie ist die Stadt an der Seine zum Mekka der Kunstszene geworden. Niemand zweifelt mehr an der Dynamik, die Paris seit dem Brexit erlebt. Große internationale Galerien wie Gagosian, Zwirner, Hauser & Wirth und auch die Berlinerin Esther Schipper haben zum Teil spektakuläre Dependenzen an der Seine eröffnet.
Es ist Bewegung in der Stadt, Dynamik, so wie in Ernst Jandls Kindergedicht, wo es Schlag auf Schlag geht: „Tür auf, einer raus, einer rein, nächster sein.“ Das Centre Pompidou schließt fünf Jahre für die überfällige Sanierung, aber keine 1300 Meter Luftlinie entfernt hat die Fondation Cartier ihren neuen Sitz in einem vom Stararchitekten Jean Nouvel umgemodelten Gebäudeblock aus der Haussmann-Ära mit über 6000 Quadratmetern Ausstellungsfläche eröffnet.
Nächster sein? Paris ist an der Reihe, keine Frage. „Früher fuhr man nach London, um Geschäfte zu machen, und nach Berlin, um cool zu sein. Wer heute Geschäfte machen und dabei cool sein will, der fährt nach Paris“, konstatiert Clément Delépine, Direktor der Art Basel Paris, der in Kürze die Leitung der Unternehmungsstiftung Lafayette Anticipations übernimmt und von dem 34 Jahre jungen Karim Crippa ersetzt wird, bislang Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Messe.
Warum aber Paris, wenn auch Basel, Miami, New York und London die Sammler locken? Die Antwort ist eindeutig: weil keine Stadt so schön, so übersichtlich ist und gleichzeitig eine Infrastruktur bietet, die wohlhabende Kunstsammler erwarten. „Basel ist ein Alptraum, was Hotels und Restaurants angeht“, sagt der Pariser Galerist Emmanuel Perrotin während einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Why Paris now?“. Seine Antwort auf diese Frage lautet: weil Paris über ein „privilegiertes Ökosystem“ verfügt, das sich in jüngster Zeit stark verändert habe. „Die Privatstiftungen, die in den vergangenen Jahren entstanden sind, haben das Image von Paris radikal verändert“, so Perrotin. Auch die Anzahl junger, guter Galerien bezeichnet er als „schlicht verrückt“. Gleichzeitig ist das Verhältnis zwischen privaten Initiativen und staatlichen Institutionen ausgeglichen – anders als in Berlin oder London.
„Jede Woche kommt ein Künstler in Paris an, der sich hier niederlassen will“, ergänzt Julie Boukobza, Kuratorin und Leiterin des Luma-Arles-Residency-Programms wie auch Gründerin der Initiative „Pourquoi Paris“, und zählt eine lange Liste von Namen auf. Wie in den Hochzeiten von New York, wo in kleinen Wohnungen hinter steilen Stiegen in Chinatown das Beste der Gegenwartsproduktion zu sehen war, gäbe es jetzt auch in Paris zahllose Initiativen von Künstlerkollektiven wie „Profil Paris“ oder „Agence de Voyage“, die ihre eigenen Ausstellungsräume betreiben.
Kein Sammler wollte die Einweihung der Fondation Cartier verpassen. Aber wie ein Magnet wirken auch die Blockbuster-Ausstellungen, deren Besuch passionierte Kunstliebhaber mit der Messe gern verbinden. Das treibt wiederum die Preise derjenigen in die Höhe, die von diesem einmaligen Schaufenster profitieren. Bestes Beispiel ist Gerhard Richter, dessen Retrospektive in der Fondation Louis Vuitton kurz vor der Art Basel Paris eröffnet wurde. Jede Galerie, die ein Werk von ihm in der Reserve hatte, bot dieses auf der Messe an. Hauser & Wirth verkaufte ein „Abstraktes Bild“ aus dem Jahr 1987 für 23 Millionen Dollar. „Es ging an einen Europäer, der nicht um einen Cent gefeilscht hat“, gab Galerie-Mitbegründer Iwan Wirth mit spürbarer Genugtuung zu Protokoll.
Am Paris-Hype scheint auch die Krise des Kunstmarkts nichts zu ändern. Umsatzeinbußen von zwölf Prozent im vergangenen Jahr, wie es eine Studie von Arts Economics im Auftrag von Art Basel und UBS nahelegt? Davon war in der Pariser Kunstwoche nichts zu spüren. Regelrecht euphorisch war die Stimmung bei der Vor-Vor-Besichtigung am Dienstag – eine Neuerung für sehr wohlhabende Sammler, vor der Vernissage am Mittwoch und drei Tage vor der offiziellen Eröffnung der Messe für das breite Publikum. Die 206 vertretenen Galerien durften zehn ihrer besten Kunden einladen. Mehr VIP geht nicht. Die Galeristin Almine Rech hat fast ihren gesamten Stand am ersten Tag verkauft, darunter einen James Turrell für eine Million Dollar und eine Lithografie von Picasso, die ein Koreaner für über eine halbe Million Euro erstanden hat.
Ihr Kollege David Zwirner zeigt sich ebenfalls zufrieden. „Innerhalb von vier Stunden habe ich das beste Messeergebnis erzielt, das ich je in Paris hatte“, gibt er „Le Monde“ zu Protokoll.
Der österreichische Galerist Thaddaeus Ropac lobt eine „sehr starke Woche“ – ein Understatement angesichts der Millionenverkäufe seiner Galerie. Darunter Alberto Burris „Sacco e oro“ für 4,2 Millionen Euro und ein „Cowboy“ von Georg Baselitz für 3,5 Millionen.
Für Ropac ist der Erfolg der diesjährigen Art Basel Paris eine Kombination aus „Werken, die für Aufregung sorgen, und der Anwesenheit aller Sammler, von denen wir gehofft haben, dass es sie nach Paris zur Messe zieht“. Er geht davon aus, dass die Höchststände der letzten Jahre vorbei sind, aber nunmehr eine „nachhaltige Positionierung“ gefragt ist. Der vorsichtige Optimismus der Händler und Akteure mischt sich in Paris mit der stillen Sorge, dass, kaum könnte das Feuerwerk erlöschen, nichts bleibt als eine Rauchwolke.
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