Bei der Februar-Revolution von 1848 sympathisierte Charles Baudelaire mit den Aufständischen. Für die Gelegenheit schmiss er sich in die Schale eines Dandy-Rebellen, legte sich ein nagelneues Gewehr zu und schmetterte in der Nähe des Wohnsitzes seines Stiefvaters die revolutionäre Parole: „Il faut fusiller le général Aupick“ („Man muss den General Aupick erschießen“). In der Tat war dieser General ein erfahrener Konterrevolutionär, der bereits 1831/32 die Seidenweberaufstände von Lyon niedergeschlagen hatte. Zu jener Zeit war der General aber noch der gute Stiefvater, den der junge Baudelaire bewunderte.
Mit 17 beginnt der 1821 geborene Charles Baudelaire das Leben eines Pariser Bohemien zu führen. Er schwänzt die Schule, weigert sich, einen Kameraden zu verpfeifen, verschluckt vor den Augen des staunenden Direktors das Billett, das seinen Freund verraten hätte, und fliegt von jener. Sein Stiefbruder Alphonse bewundert ihn: „Ich sehe ihn noch eine Treppe herabsteigen, schlank, mit offenem Kragen, einem leichten Spazierstock mit kleinem goldenen Knauf in der Hand und mit weichen, langsamen, fast rhythmischen Schritten.“ Er begleicht noch die Schulden, die der spendierfreudige Jung-Dandy macht, auch bei Bordellbesuchen. Der zarte Jüngling steckt sich so bei einer gewissen Sara an, die ihm eine Syphilis verpasst, an der Baudelaire im jungen Alter von 56 Jahren sterben wird.
Der autoritäre Stiefvater Aupick ist über diese Eskapaden fürbass erbost, er beruft den Familienrat ein und schickt den widerspenstigen Stiefsohn auf eine Schiffsreise gen Indien. „Charles ist nicht länger dem Ruin der Straßen von Paris ausgesetzt. Er hat sich unseren Gründen gefügt.“ Glaubt der General aber nur.
Charles Baudelaire lernt, neben dem eintönigen Leben auf dem Frachtschiff, auf Mauritius eine Kreolin kennen: „Schlank und rank schreitet sie wie eine Jägerin.“ Bei dieser „Expedition“ atmet er erstmals den exotisch-erotisch-morbiden Duft „aus Moschus und Teer“ ein, den seine „Blumen des Bösen“ ausatmen. Keineswegs geläutert, wie der Stiefvater hoffte, kehrt er nach Paris zurück. Er nimmt sich die farbige Jeanne Duval als Konkubine, kauft überteuerte Möbel und Bilder, zieht auf die Ile Saint-Louis in das „Hotel Pimodan“, Luxussuite inklusive „Haschisch-Club“. Die Syphilis will er wie damals üblich mit Quecksilber heilen, dessen schmerzhafte Nebenfolgen er wiederum mit Opium lindern will. Ein teuflischer Kreislauf aus Rausch und spleen beginnt.
Mit 21 erhielt Baudelaire das Erbe seines leiblichen Vaters. Damit hätte er ein angenehmes Leben führen können. Hätte, hätte. Als der Stiefvater sah, dass Charles sein Geld verprasste und immer mehr Schulden auf sich häufte, ließ er ihn entmündigen. Da war Baudelaire gerade mal 23 Jahre alt. Aus der Schuldenfalle kam er zeitlebens nicht mehr heraus. Er blieb bis zu seinem Tod unter Kuratel.
Gegen diese Entmündigung richtete sich die Wut von Charles Baudelaire, als er im Februar 1848 mit erhobenem Gewehr dazu aufrief, den General Aupick an die Wand zu stellen. Sicherlich hegte er damals auch Sympathien für seine sozialistischen Freunde, aber die wurden vor allem von deutschen Romanisten nach 1968 übertrieben und über sein gesamtes Werk gestülpt, das vielmehr von der Bitternis, von der Ohnmacht des Revoltierenden, von der Reise ins Unbekannte, von der modernen Suche nach dem Neuen geprägt war, „in der Hölle oder im Himmel, egal.“
Alles Schriftstellerleben sei Papier, heißt es. In dieser Reihe treten wir den Gegenbeweis an.
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