Ein Mann fällt zu Boden. Seine Tochter hat Geburtstag. Ihn hat die Panik gepackt, dass alles zusammenbricht. Er grabbelt, offensichtlich sehr derangiert, wie ein Süchtiger an seinem Handy herum. Die schwarze Kapuze über den Kopf gezogen, die ihn fast zu einem Mönch macht. „In meinem Garten“, fistelt der Rapper, fleht er mehr, als er das Lied, das er streamt, tatsächlich singt – „in meinem Garten“.

Haftbefehl heißt der Rapper, Reinhard Mey der Mann, der „In meinem Garten“ schrieb. „Babo“ heißt die Netflix-Doku, wegen der Meys Chanson jetzt die Urenkelgeneration jener erreicht, die 1970 „Aus meinem Tagebuch“ gekauft hatten, Meys drittes Studioalbum.

Dreieinhalb Minuten lang ist dieses Liebeslied von einem, der alles richtig machen will, alles richtig macht, bis ihn die Panik packt. Ein Rittersporn blüht blau im Geröll seines Gartens, ein Rabe nistet unterm löchrigen Dach, eine Frau hat sich in sein enges Leben verirrt. Ihr hat er, so sind sie gern die Männer bei Mey, alles gegeben, seine Seele und sein Leben, „weil er sonst nichts zu schenken fand“.

Als der Rittersporn dahinwelkt, weil er ihn gegossen hat, der Rabe wegbleibt, nachdem er ihm das Dach gedeckt hat, betet er, dass sie nicht auch noch geht, weil mit ihr das Leben ginge.

Natürlich ist „In meinem Garten“ nicht das erste Lied eines zerbrechlichen Mannes, dem die Geliebte derart existenziell wurde, dass es den Tod bedeuten würde, wäre sie weg. Haftbefehl hätte auch Brels noch einmal gut zehn Jahre älteres „Ne me quitte pas“ nehmen können. Oder sehr viel später Neil Diamonds „Pretty Amazing Grace“. Lieder wie Gebete. Und wer sie singt, kann kein ganz schlechter Mensch sein.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.