Es ist der Kriegsschauplatz im Hintergrund. Während alle auf das Ringen um das Rentenpaket blicken, findet eine weitere erbitterte Auseinandersetzung zwischen den Koalitionsparteien statt: um die Investitionsverpflichtung für die Streaming-Portale. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer ist nun in die Offensive gegangen, doch der Showdown findet erst am kommenden Donnerstag statt.
Im Grundsatz sind sich alle einig: Die Streamer, die jede Menge Geld in Deutschland – ihrem größten europäischen Markt – verdienen, aber dem Standort kaum etwas zurückgeben (was sie an Steuern zahlen, ist im Vergleich zum Umsatz lächerlich gering), sollen zur Kasse gebeten werden. Deshalb steht im CDU/SPD-Koalitionsvertrag wörtlich: „Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit des Filmstandorts Deutschland durch eine zeitnahe Reform der Filmförderung verbessern, bestehend aus einem steuerlichen Anreizsystem sowie einer Investitionsverpflichtung.“ Deutschland ist damit reichlich spät dran, eine gesetzliche Investitionsverpflichtung bindet die amerikanischen Streamer von Netflix bis Amazon bereits in 16 europäischen Ländern.
Während die Reform der Filmförderung noch in den letzten Tagen der Ampel auf den Weg gebracht wurde, herrscht in Sachen Investitionsverpflichtung seit dem Antritt der großen Koalition im Mai beredter Stillstand. Gewiss, Minister Weimer berichtet immer mal wieder von „guten Gesprächen“ mit den Streamern, die verständlicherweise von einer Abgabe nicht begeistert sind und deren Lobbyisten aus vollen Rohren dagegen schießen.
Weimer rückte im Laufe der Monate auch immer mehr von der Idee einer gesetzlichen Regelung ab und sprach nur noch von einer „freiwilligen Selbstverpflichtung“. Mit dieser Formulierung ging er am Mittwoch in einem „titel thesen temperamente“-Talk auch an die Öffentlichkeit: Die großen Streamer hätten eine „verbindliche Verpflichtung“ abgegeben, in die deutsche Filmszene „Milliarden“ zu investieren. Alles andere bleibt unklar, selbst eine genauere Summe. Die könnte von den Umsätzen abhängen, die die Streamer in Zukunft in Deutschland machen werden; fragte man in den vergangenen Monaten Weimers Behörde danach, hörte man inoffizielle Schätzungen, die von zehn bis 15 Milliarden über drei oder fünf Jahre reichten, eine riesige Spanne der Ungewissheit.
Weitere Ungewissheiten: Handelt es sich um eine pauschale Mindestsumme, oder soll sie sich an den Streamer-Umsätzen orientieren? Nun geben die Plattformen aber grundsätzlich keine Umsätze bekannt. Wäre man auf deren guten, ehrlichen Willen angewiesen, oder gäbe es eine unabhängige Kontrollinstanz? Es ist auch völlig unklar, zu welchen Zwecken diese „Milliarden“ verwendet werden könnten: Würden sie in die Filminfrastruktur (Hochschulen, Archive, Studios) fließen, oder könnten die Streamer das Geld exklusiv für eigene Neuproduktionen verwenden, die irgendwie mit Deutschland zu tun haben? Und behielten deutsche Produzenten an den Filmen, die sie mit Verpflichtungsgeld im Streamer-Auftrag drehen, in Zukunft irgendwelche Rechte? Mit wenigen Ausnahmen fallen bisher sämtliche Rechte an die Plattformen.
Die Sache ist noch nicht entschieden. Die SPD, die auf einer gesetzlichen Regelung beharrt, besitzt ein Druckmittel: Wolfram Weimer (parteilos) hat zwar großspurig eine Verdoppelung der Bundesfilmförderung von 125 auf 250 Millionen Euro verkündet – aber er hat das Geld gar nicht. Darauf liegt ein Sperrvermerk des Bundesfinanzministers, und der heißt Lars Klingbeil und ist von der SPD.
Wenige Stunden nach dem Vorstoß von Weimer bei „ttt“ verschickte Martin Rabanus, kultur- und medienpolitischer Sprecher der Sozialdemokraten, eine Pressemitteilung, von der stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Wiebke Esdar mitunterschrieben und damit mit Gewicht versehen. „Wer aber Milliarden in Aussicht stellt“, heißt es darin in Anspielung auf Weimer, „darf sich nicht mit bloßen Absichtserklärungen der Streamingdienste zufriedengeben. Ohne klare gesetzliche Vorgaben trägt am Ende die Branche das volle Risiko, während globale Plattformen ihre Renditen sichern … Auf freiwillige Zusagen zu setzen, die morgen wieder einkassiert werden können, ist politisch verantwortungslos.“
Die Bastionen sind also bezogen für den Koalitionsausschuss am kommenden Donnerstag. In dem Gremium, das Kompromisse für zwischen den Partnern umstrittene Vorhaben finden soll, werden für die Sozialdemokraten der Finanzminister Lars Klingbeil und sein Staatssekretär Björn Böhning (bis vor Kurzem Geschäftsführer der Filmproduktionsallianz) sitzen und vonseiten der CDU Friedrich Merz. Wolfram Weimer wird wohl nicht vertreten sein, denn offiziell ist er kein Minister, sondern nur ein parlamentarischer Staatssekretär.
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