Manchmal würde man sich’s ja so gern so einfach machen und sich Deutschland und die Welt so wünschen wie sie einem in deutschen Kinderfilmen begegnen. Damit sind wir vielleicht nicht ganz allein. Weil das möglicherweise der Grund ist, warum mit ziemlicher Sicherheit unter den zehn erfolgreichsten Filmen des Jahres mindestens vier sind, in die zu gehen sich kein Erwachsener ohne Begleitung irgendwelcher mindestens geliehener Minderjähriger traut.

„Die Schule der magischen Tiere“, „Die ??? und der Karpatenhund“ und „Das Kanu des Manitu“ (ja, ja, das ist für große und kleine Kinder) sind schon dabei. Spät ins Kinojahr gestartet, wird es – da muss man kein mit besonderer Magie begabter Kartenleser sein – „Bibi Blocksberg und das Hexentreffen“ auch schaffen. Die Zahl der Kinderfilme in den Jahresendlisten verhält sich jedenfalls entgegengesetzt proportional zur Geburtenrate. Und die Schere geht mit jedem Jahr weiter auseinander.

Das könnte mit zunehmender Infantilisierung der Erwachsenenwelt zusammenhängen. Damit, dass bestsellende deutsche Kinderfilme gern auf einem in Generationen gewachsenen Humus von aktualisierungsfähigen Geschichten wachsen. Oder damit, dass sie es tatsächlich schaffen, was spätestens nach dem Abschied von Thomas Gottschalk dem Fernsehen eigentlich nur noch im Sonntagabendkrimi gelingt: Lagerfeuer für eine ganze Nation zu sein.

Die unendliche Geschichte von Bibi Blocksberg, die ewig 13 Lenze zählende zaubrische Göre, die stets das Gute will und gern das Chaos schafft, dieser eigentlich erzdeutsche Zauberlehrling, ist eine dieser ständig aktualisierungsfähigen Geschichten. Und wenn man in den kommenden Jahren in den Filmhochschulen des Landes nach einer Art Musterkoffer fürs angemessen aktuelle Erzählen sucht, müsste man ausgerechnet das neue Abenteuer von Bibi, der kleinen Hexe aus Neustadt, auf den Lehrplan setzen.

Elfie Donnelly, die augenscheinlich alliterationsfröhliche Mutter auch des im Neustädter Zoo beheimateten Elefanten Benjamin Blümchen, hat sie vor 45 Jahren erfunden. Gut drei Generationen von Erziehungsberechtigten sind mittlerweile von der ständig Wirrsinn zusammenhexenden, freigeistigen Magierin geradezu gefoltert worden. Mit unendlich vielen Büchern, Hörspiel-Kassetten, Zeichentrick-Mehrteilern, Kinofilmen.

Die Geschichte vom großen Hexentreffen in Neustadt stellt Bibis Geschichte sozusagen auf Anfang. Wir sind wieder zurück in Neustadt, beim Bürgermeister (Ronald Palfrader als melonenbehütetetem Clown) und der rasenden Reporterin Karla Kolumna (Palina Rojinski). Es gibt keine Pferde – wie in den mehr oder weniger schrecklichen „Bibi & Tina“-Musicals der vergangenen beiden Kino-Jahrzehnte. Das ist die gute Nachricht. Gesungen wird trotzdem. Das könnte eine schlechte sein. Aber dazu später mehr.

Bibi hext den Alltag schön

Als hätte es die Geschichten mit Tina und Amadeus und Sabrina auf dem Martinshof nie gegeben, fliegt die Drohne am Tag des großen Hexentreffens über ein butzenscheibenschönes, wie für den nicht mehr existierenden Märklin-Katalog entworfenes Neustadt. Alles ist knallfarbig, der Himmel strahlend blau. Neustadt – das (wahrscheinlich der schönen Filmförderung wegen) eigentlich Krems an der Donau ist – würde niemand gegen ein graues Internat im Irgendwo eintauschen. Nicht mal gegen einen Pferdehof.

Bibi – für die kommenden wahrscheinlich fünf Filme gespielt von Nala – wacht auf, hext, was man gern selbst können würde, ihren Wecker aus und ihr ganzes Frühmorgenprogramm (Haarekämmen, Zähneputzen, Frühstück, Ranzen) durch. Singt einen jener Songs („das ist dein Tagtagtag“), wie sie nur Peter Plate und Ulf Leo Sommer in flirrenden Jungmädchenmärchen komponieren können. In diesem prilblumenbunten Reich, das weiß man schon jetzt, wird die Sonne nicht untergehen, egal, wie finster es zwischendurch wird. Wer denkt, dass diese Legende einer Junghexe nichts mit Realismus und deutscher Gegenwart zu tun hat, wird relativ rasch eines Besseren belehrt.

Die Geschichte geht so: Es ist internationales Hexentreffen. Das findet nur alle 13 1/3 Jahre statt. Und diesmal halt in Neustadt. Auf dem Blocksberg um die Ecke. Bibis Mutter Barbara, die Hexenpräsidentin Walpurgia und die ganzen Neustädter Hexen haben alles haarklein vorbereitet und eine Zaubereiunterkunft auf den Blocksberg gehext, die stark nach verworfenen Hogwarts-Entwürfen aussieht. Überhaupt springt ständig der britische Zauberlehrling durchs ästhetische Unterholz dieses deutschen Hexenuniversums (mit diversen musikalischen Reminiszenzen geht das relativ früh los). Es gibt noch mehr apokryphes Pottergedöns in „Bibi Blocksberg“. Das schnatzartig flatternde Ding mit einer Art Heuler, das Bibi nach erwiesenem Hexereimissbrauch einen klaren Verweis übermittelt zum Beispiel. Aber darum soll es ja nicht gehen.

Natürlich geht es beim Hexentreffen nicht um irgendwas, sonst würden wir die Geschichte ja kaum als Gegenwartsspiegel empfehlen. Sondern um nichts weniger als die Zukunft der Zauberei. Jener Zauberei, die ist wie Neustadt und wie Deutschland sein könnte. Offen, liberal, divers, bunt – ein Ort, wo Hexen und Muggel, sorry: Nicht-Zauberer (bei Elfie Donnelly vor allem Männer) friedlich koexistieren können. Der Hexe Servera ist das ein Dorn im Auge. Heike Makatsch spielt diese Alice Weidel der „Alternative für Magier“ (die wir gerade erfunden haben) mit spitzem Hut auf dem Kopf. Und sie tut das, wie alle anderen Erwachsenen in diesem Film (Friedrich Mücke als Bibis Papa Bernhard, Rosalie Thomass als Bibis Mama Barbara, Sophie Rois als nah am Alkohol gebaute Hexe Mania) mit großer Lust.

Servera ist Direktorin des Grauen Internats (nicht zu verwechseln mit Berlins Grauem Kloster). Um die Pflege alter Hexen-Rituale geht es ihr, um Traditionen, hexische Elite und das Ende dieses Mischmaschs von magischer und nicht-magischer Welt. Die Brandmauer muss stehen – andersrum allerdings als die zwischen der AfD und den demokratischen Parteien.

„Grau ist das neue bunt“, singt Servera. Was sehr martialisch klingt. Sie will sich zur Präsidentin wählen lassen. Und beschließen, dass Junghexen wie Bibi Besenverbot bekommen, grau tragen, in Serveras Internat gehen und exerzieren müssen. Bibi und ihre Freundinnen wollen das eher nicht. Es gründet sich eine Junge Gruppe der Hexerei.

Und während die Althexen wie die Schlafschafe dem erzkonservativen, reinmagischen Faschismus aus dem Geist von Serveras Hexerei-Schnellroda entgegentänzeln und schlimme Dinge singen für die Boomer im Kinosaal („Ice Ice Baby“), schart Bibi in zauberhafter Hexenmoralsicherheit ihre Freundinnen um sich.

Die ganze Familie am Lagerfeuer

Dafür, dass das geschmeidig geht und die ganze Familie sich ums Lagerfeuer setzt und jeder seinen Spaß hat, haben Wiedemann&Berg, die sich seit Jahren wie Oliver Berben verdient machen darum, jede Mythe ihrer und der Boomer Jugend runderneuert ins Kino zu bringen, Bettina Börgerding verpflichtet. Die hat schon mit Detlev Buck die „Bibi und Tina“-Filmreihe erfunden und fünf Amadeus-und-Sabrina-Scripts geschrieben.

Gregor Schnitzler, spätestens seit der „Schule der magischen Tiere“ einer der deutschen Meister des magischen Kinderfilmerzählens, hat Börgerdings geradlinige Erzählung so quietschlebendig in Szene gesetzt, dass man von ihrer prinzipiellen Vorhersehbarkeit erst Stunden später erschüttert wird. Und wenn aus den Scharnieren die Songs von Plate und Sommer herausquietschen, tun sie das weitgehend rückstandfrei, aber mit einer inneren Logik, lockeren Zwangsläufigkeit und entspannter, dass selbst musicalphobe Kinogänger davon keine Pusteln auf die Stirn bekommen.

Wie es ausgeht, muss man gar nicht verraten. Wünscht man sich vielleicht in der wahren Wirklichkeit. Und als Perspektive für das neue Jahr. „Bibi Blocksberg und das große Hexentreffen“ ist in all der Sonnigkeit, die ihm durch alle Schnitte scheint, der Film für das schlimme Wetter zwischen den Jahren.

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