Der kulturelle Ausverkauf von Hollywood hat begonnen. Um den Medienkonzern Warner Bros. ist eine Übernahmeschlacht entbrannt; neben dem Streamingdienst Netflix buhlt auch Konkurrent Paramount mit Unterstützung von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner und Staatsfonds aus dem Nahen und Mittleren Osten um das Film- und Fernsehstudio. Nun hat Walt Disney eine Kooperation mit OpenAI vereinbart. Der Unterhaltungsgigant lizenziert mehr als 200 Charaktere und investiert zudem eine Milliarde Dollar in die Softwareschmiede.

Im Rahmen der dreijährigen Lizenzvereinbarung können Nutzer mit dem Videogenerator Sora Kurzfilme mit Micky Maus und anderen ikonischen Figuren aus dem Disney-, Marvel-, Pixar- und „Star Wars“-Kosmos generieren oder sich selbst in Filmklassiker montieren. Im Gegenzug erhalten Disney-Mitarbeiter Zugriff auf die Schnittstellen der Firma. Unter der Lizenz sollen Fans auch eine kuratierte Auswahl von KI-generierten Videos auf dem Streamingdienst Disney+ sehen können.

„Disney ist weltweit der Goldstandard für Storytelling, und wir freuen uns, durch die Partnerschaft mit Sora und ChatGPT Images die Art und Weise zu erweitern, wie Menschen großartige Inhalte erstellen und erleben“, wird OpenAI-Chef Sam Altman in einer Pressemitteilung zitiert.

Ausgerechnet Disney. Das stolze Filmstudio hat die Urheberrechte seiner Figuren geschützt wie die USA die Codes ihres Atomwaffenarsenals und zahlreiche Prozesse geführt. Im Juni hatte Disney mit NBCUniversal eine gemeinsame Klage gegen Midjourney eingereicht. Der Vorwurf: Der Bildgenerator habe sich ohne Erlaubnis an urheberrechtlich geschütztem Material bedient. In der geharnischten Anklageschrift ist von einem „copyright free‑rider“ und „bodenlosen Abgrund des Plagiats“ die Rede.

Noch am Tag, bevor der Deal mit OpenAI verkündet wurde, hatte Disney eine Unterlassungserklärung an Google geschickt: Der Suchmaschinenriese, so die Anschuldigung, habe „in gewaltigem Ausmaß“ Urheberrechtsverletzungen begangen. Nun ist der Widerstand gebrochen: Disney, schrieb die „New York Times“, sei der erste große Hollywood-Akteur, der „den Rubikon“ überschreite.

Die Verhandlungsposition des Unterhaltungsriesen war bereits geschwächt, nachdem Ende 2023 in den USA das Urheberrecht von Micky Maus ausgelaufen war und die populäre Zeichentrickfigur 2024 gemeinfrei wurde. Zwar existiert das Markenrecht, das vor unbefugter Nachahmung und Verwechslungsgefahr schützt, weiter. Aber im Netz ist die Figur de facto vogelfrei. So tauchten auf der Plattform X KI-Deepfakes auf, auf denen Micky Maus Adolf Hitler salutiert oder in Nazi-Uniform gesteckt wurde.

Auch andere Studios und Fernsehsender konnten sich gegen die Zweckentfremdung ihrer Figuren kaum wehren: SpongeBob kochte Crystal Meth, Pikachu klaute Windeln im Drogeriemarkt. In einer Zeit des medialen Wandels, wo das große Kino in die Pseudo-Vorführungen von YouTube, TikTok und Co. abwandert und die Leinwände auf das Format von Smartphone-Displays schrumpfen, will Disney die Bildkontrolle über seine Charaktere zurückgewinnen. Wenn die Nutzer nur noch am Handy hängen und immer seltener ins Kino gehen, will man eben dort mit seiner Marke präsent sein. Nach dem Motto: Lieber den Tiger reiten, als von ihm gefressen zu werden.

Ob das Kalkül aufgeht? Fraglich. Denn wie sich mit KI Geld verdienen lässt, ist noch völlig unklar. Der große Gewinner des „Deals“, wenn man es angesichts der Unwucht des Vertrags überhaupt so nennen kann, ist OpenAI. Der ChatGPT-Entwickler erhält das, was alle Technologiefirmen brauchen: Inhalte. Und obendrein noch eine Milliarde Dollar als Finanzspritze. Das wäre ungefähr so, als würde ein Start-up einen KI-Animationsfilm mit den urheberrechtlich geschützten Mainzelmännchen produzieren und dafür vom ZDF noch Gebührengelder kassieren.

OpenAI produziert gerade einen eigenen Film

Das Geschäftsmodell von OpenAI und anderen KI-Unternehmen besteht darin, das kulturelle Kapital der Menschheit abzuschöpfen: Texte, Bilder, Musik, Filme. Als im März dieses Jahres KI-generierte Memes und Porträts im Stil des japanischen Zeichentrickstudios Ghibli viral gingen und die Server von OpenAI glühen ließen, wurden Vorwürfe des geistigen Diebstahls laut. Oder war es doch nur eine Hommage an die Animationskunst? Der Gründer des Studios, der japanische Zeichentrick-Regisseur Hayao Miyazaki, zeigte sich „zutiefst angewidert“ von KI-Kunst: „Ich empfinde das als eine Beleidigung des Lebens selbst“, sagte er 2016.

Auch seine Fans sind alles andere als begeistert, wenn das Weiße Haus von seinem offiziellen X-Account Abschiebecomics im Ghibli-Stil postet. Und auch die Rechteinhaber sträuben sich gegen die Nutzung ihrer geistigen Schöpfungen durch generative KI. Nachdem die Computerspielfiguren Mario, Luigi und Peach in OpenAIs Videogenerator Sora herumturnten, schaltete sich sogar die japanische Regierung – offenbar auf Druck von Nintendo – in den Streit ein und forderte ein Ende der Urheberrechtsverletzungen. Das hielt OpenAI aber bislang nicht davon ab, seine KI mit geschütztem Material zu trainieren.

Firmenchef Sam Altman hat ohnehin eine recht breitbeinige Sicht auf das Urheberrecht. Er spricht von der Figurennutzung in Videogeneratoren als einer „interaktiven Fan Fiction“, so als wäre es eine Ehre, wenn Disney oder Nintendo auf die große Bühne von OpenAI dürften. Doch natürlich weiß auch Altman, dass er sich nicht über geltendes Recht hinwegsetzen kann, zumal OpenAI selbst in Kultur macht: Die Softwareschmiede lässt derzeit einen KI-generierten Film („Critterz“) mit einem Budget von 30 Millionen Dollar produzieren, der im kommenden Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes Premiere feiern soll. Nach dem Streik der Drehbuchautoren in Hollywood ist Big Tech bemüht, Brücken in den Kulturbetrieb zu bauen. Man muss schließlich nett zu seinen Content-Lieferanten sein.

In diesem Licht ist auch die milliardenschwere Netflix-Offerte für Warner Bros. zu sehen. Der Streamingriese hat es vor allem auf die Daten abgesehen: Warner Bros. besitzt eine Filmdatenbank von rund 145.000 Stunden Videomaterial, darunter Blockbuster wie „Inception“, „Matrix“ und „Herr der Ringe“. Im heraufdämmernden Zeitalter der Künstlichen Intelligenz ist das Filmarchiv ein wertvoller Datenschatz. Glaubt man Analysten, könnte Netflix die Daten in seine algorithmische Empfehlungsmaschinerie einspeisen, um dann mit KI-generierten Inhalten zu experimentieren.

KI ist dabei, das Filmgeschäft zu disruptieren. Alternde Schauspieler werden digital verjüngt, Synchronsprecher lizenzieren Stimmklone, und mit Tilly Norwood gibt es eine KI-generierte Schauspielerin, mit der bereits ein Remake von Sydney Sweeneys umstrittener Jeans-Werbung gedreht wurde. Die synthetische Brünette, die ein wenig an Schauspielerin Ana de Armas erinnert, ist das neue Postergirl der KI-Industrie – und spaltet die Gemüter: Für die einen ist es die Zukunft des Films, für die anderen der Untergang des Abendlands.

In Hollywood hat sich eine fatalistische Endzeitstimmung breitgemacht, wo man irgendwie hofft, vom KI-Boom profitieren zu können, wenn künftig alle Filmarchive leergeräumt sind. Das zeigt sich unter anderem an den Reaktionen von Walt Disney, das in seiner Pressemeldung das Wording von OpenAI („fan-inspired videos“) fast eins zu eins übernimmt. Disney-Fans sollen kostenlos Werbung für OpenAIs Plattformen machen, Disney+-Kunden Geld dafür bezahlen, dass sie KI-generierte Laienprodukte streamen. Ein Businessplan, der so irre ist, dass man sich fragt, ob ihn vielleicht eine halluzinierende KI aufgestellt hat.

Der fiese Spott über „Disney Adults“

Mit der Lizenzierung der Charaktere, fürchten Beobachter, könnte das Filmstudio das kulturelle Erbe seines Gründers Walt Disney verramschen. Die Kultmarke hat ohnehin schon an Prestige verloren. Millennials, die mit Micky-Maus-Ohren herumlaufen, gelten als „cringe“ und werden im Netz als „Disney Adults“ verspottet. Wenn Disney-Figuren nun zu Maskottchen der KI-Show von Sam Altman werden, würde das Renommee endgültig beschädigt. Disney, schrieb der Journalist Matthew Gault in einem bissigen Kommentar für das Portal „404 Media“, investiere eine Milliarde in die „KI-gesteuerte Verschrottung seiner Marke“: „Während sich die Medienimperien konsolidieren, die Nostalgie intensiver wird und KI-Tools sich verbreiten, wirken Disneys Blockbuster mehr wie eine Ausrede, um bekannte Charaktere in einem kontextlosen Sumpf zusammenzuwerfen.“

Auf der Plattform X wirbelt schon heute das Info-Konfetti kontextfreier Kompilationen und Videoschnipsel herum, wo Pikachu in Kinoklassikern wie „Titanic“ oder „Der Pate“ einen skurrilen Gastauftritt hat. KI testet die Grenzen des Dadaismus aus. Selbst mit viel Wohlwollen kann man dieser Technikspielerei nur wenig abgewinnen: Die Clips wirken generisch, fad und uninspiriert, als würde Hollywood von Kulturbanausen getrollt. Die KI-Produkte sind nur für den Konsum des Augenblicks gemacht – sie erzählen keine Geschichte und sind darum auch nicht lange haltbar.

Nach dem Philosophen Jean Baudrillard existiert Disneyland, „um das ,reale‘ Land, das ,reale‘ Amerika, das selbst ein Disneyland ist, zu kaschieren“ – als eine Illusion, die die Menschen glauben lässt, dass die Welt da draußen real sei. Im Zeitalter der KI muss das Reale durch explizite Zeichen wie die Ausweisung eines Freizeitparks schon gar nicht mehr verborgen werden, muss das „Realitätsprinzip“ (Baudrillard) nicht mehr gerettet werden, weil die Grenze zwischen Fiktion und Realität verwischt ist. Die Disneyfizierung ist total. Micky Maus ist frei – und wird bald durch die Mäusekinos unserer Smartphones tanzen.

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