Das Wetter ist schlecht. Der Himmel ist grau. Von dem Licht, von den Farben bekommt man beim Zuschauen eine Moosschicht über die Seele. Die braucht man – weil sie wärmt – auch für die folgenden drei Stunden.
Es ist Saisonende in Delfzijl, das ist eine Kleinstadt in der Provinz Groningen. Emden liegt nur durch den Dollart getrennt gegenüber. Irgendwie ist alles schimmelgrün, dem Tourismusbüro wird das gar nicht recht sein. Ein Campingplatz, dem alles zuzutrauen ist. Ein Mann ist da geschlagen worden. Dann hat man ihn in einen Kofferraum gepackt. Kinder sind gekommen, haben ein Handy klingeln gehört. Und dann haben sie geschrien.
Das ging durch Mark und Bein. Man bekam es mit der Angst zu tun. Und die Angst bleibt. Sie wird nur immer größer. „Ein guter Tag“ heißt der neue Fall für den Hannoveraner „Tatort“-Kommissar Falke. Und „Schwarzer Schnee“ der nächste, der gleich im Anschluss gesendet wird. Ein Novum in der „Tatort“-Geschichte. Eine zweiteilige Miniserie gewissermaßen. Die von der Angst handelt. Von jenen, die mit ihr operieren. Und von dem, was sie mit Menschen macht.
Der geschundene Typ im Trailer war ein deutscher Staatsbürger. Lynn de Baer, die holländische Polizistin auf dem Campingplatz, juckt das nicht weiter. Passiert halt. Deutsche kommen über die Grenze, besaufen sich, nehmen Drogen, nehmen Frauen, sinken ins Koma oder bekommen eins über den Schädel. Irgendwann tauchen sie wieder auf und haben Kopfschmerzen.
Joe Glauning, so heißt der verschleppte Typ aus dem Trailer, war Autohändler in Emden. Und dass Falke und sein neuer Kollege Mario Schmitt in Delfzijl auftauchen, hat damit zu tun, dass Joe eigentlich Carsten ist, Carsten Kellmann, verdeckter Ermittler des BKA. Er sollte Ervin Soric aus der Nähe ausspähen. Der hat ein Restaurant in Groningen und seine Finger im Drogenhandel.
Minderjährige werden Mörder
Der Joe war einer ganz großen Sache auf der Spur. Die hatte mit der Mocro-Mafia zu tun. Einer Organisation, die ein Drittel des europäischen Drogenmarktes beherrscht, keine Skrupel kennt, Polizisten, Politiker, alle in Angst versetzt, die ihnen im Weg stehen. Und Minderjährige als Mörder anheuert, zum Morden erpresst. Kein niederländisches Phänomen mehr (Mocro ist ein holländisches Slangwort für Marokko). Wie die Mocros versuchen, Deutschland zu nehmen, ist eine der Plotlinien im unglaublich dicht gebauten Buch von Alexander Adolph und Eva Wehrum.
Vier Geschichten verknotet der Zweiteiler, springt hin und her. Falke, Schmitt und de Baer fahnden nach Joe und – als er wieder aufgetaucht ist – dem, was der arme Kerl möglicherweise herausgefunden hat. Ein junger Araber aus dem SuperSnack von Delfzijl, der das Pech hat, ein guter Motorrad-Fahrer zu sein und alleinerziehender Sohn seiner Mutter und seines Bruders, wird in die Mocro-Mafia gepresst.
Ein alter Araber organisiert vom Knast aus den Eroberungsfeldzug der Mocros in den deutschen Markt, was sein Sohn – Bilderbuch-Gangster-Rapper, gnadenlos selbstgefälliger, selbst ernannter Drogenkriegsfeldherr – zunehmend in den Größenwahn treibt. Und dann ist da noch der Joe, der sich in sich selbst verrannt hat, nicht mehr weiß, ob er Carsten ist oder Joe, wer der Böse ist von ihnen beiden und die Dinge getan hat, die er nie hatte tun wollen. Einer, der alles verloren hat, vor allem sich selbst. Andrei Viorel Tacu ist Joe. Und er ist es derart intensiv, dass man Angst um ihn bekommt, hofft, dass er den Joe besser aus sich herausbekommen hat als der Carsten.
Bevor wir jetzt auf Hans Steinbichler kommen, der im zarten Alter von 59 Jahren seinen ersten „Tatort“ gedreht hat, und auf seinen Kameramann Andreas Fischerkösen, müssen wir ein paar Worte über Mario Schmitt verlieren. Falke – der einsame Wolf, der straßenköterige Kommissar mit dem „Sympathy for the Devil“-Klingelton – hatte ein bisschen Pech mit seinen Kolleginnen. Franziska Weisz hat die NDR-Redaktion ermorden lassen. Dann kam er ins Kloster. Dann wurde er in einer Art „Tatort“-Speed-Dating mit gleich drei Ermittlerinnen versorgt, von denen gleich klar war, dass sie nicht bleiben würden.
Nun sitzt da also dieser Mario Schmitt neben ihm im Auto nach Delzijl. Denis Moschitto spielt ihn. Und man möchte seinen Sicherheitsgurt gleich ausbruchsicher verlöten, damit er bleibt. Mario ist Computerfex, er vaped Vanille, achtet sehr darauf, dass Falke nicht zu schnell fährt. Und immer wieder schaltet er sich vermittels „Denkmusik“ aus der Wirklichkeit aus. Die stöpselt er sich in die Ohren. Sphärenklänge aus der großen Ambientmusikorgel.
Ob er Autist sei, wird Falke von Lynn de Baer gefragt. Weiß er nicht. Ist ihm auch egal. Falke hat ein großes Herz und diesen kauzigen Typen, dessen Arabisch, wie er sagt, ausbaufähig ist im Gegensatz zu seinem Japanisch, hat er relativ schnell lieb. Spätestens nachdem sie am Eingang des Campingplatzes von Delfzijl einen verhältnismäßig gigantischen Plastikhasen umgefahren haben, sind sie das lustigste „Tatort“-Paar seit der Einführung von Boerne und Thiel. Ohne dass ihre schabernackenden Dialoge die prinzipielle Ernsthaftigkeit dieses vielleicht besten Mafia-Genre-„Tatort“ seit Jahren gefährden würde.
Brillante Bilder, die Angst machen
Was uns jetzt zu Hans Steinbichler bringt. Der mit einer hochgespannten Ruhe mit den Plotlinien hantiert. Sich nicht vor Untertiteln scheut. Und vor Rückblenden. Auf die Kraft der Gesichter vertraut und die Macht der Landschaft, des Wetters, des Himmels. Andreas Fischerkoesen fängt das alles ein in Bildern, die ständig virtuos changieren zwischen Schärfe und Unschärfe, die eine unheimliche Nähe herstellen. Die einen frösteln lassen und beklommen und Angst machen. Vor der Gewalt, die da herrscht und die – an Meldungen, Reportagen, „Spiegel“-Titelgeschichten zu den Mocros herrscht kein Mangel – über Deutschland zu kommen droht.
Es ist noch nicht vorbei, wenn es vorbei ist nach drei Stunden. Und das einzig Gute daran ist, dass man Wotan Wilke Möhring, Denis Moschitto und Gaite Jansen demnächst wieder sieht. Wäre wenigstens eine gute Nachricht für 2026.
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