Eigentlich ist es unbegreiflich: Wie kommt eine Serie über die erste Staffel hinaus, wenn sie „Paris“ im Titel hat, mit Paris aber ungefähr so viel gemein wie Pariser, die in Baskenmütze und Bretonenhemd, Baguette unterm Arm, im alten Renault um den Eiffelturm kurven, unterbrochen von einer zweistündigen Mittagspause mit drei Gängen und einer Flasche Rotwein. Ist „Emily in Paris“ hochwertiges Trash-TV, Camp oder wie eine postmoderne Operette? Die Kritiken jedenfalls sind seit Beginn der ersten Staffel katastrophal, und bis Ende der vierten nicht besser geworden, am wenigsten in Frankreich: Eine peinlich klischeebeladene Karikatur der französischen Kultur sei die Serie, hieß es, die Stadt erscheine wie ein glitzerndes Disneyland für Amerikaner und „der“ Franzose als snobistisch und faul.

Dem Erfolg der Serie tut das keinen Abbruch, inzwischen ist eine Art Industrie entstanden: Die erste Staffel sahen fast 60 Millionen Haushalte weltweit, in Paris gibt es „Emily in Paris“-Stadttouren zu den wichtigsten Drehorten, bei denen Touristinnen zu den instagramwürdigsten Boulangerien geführt werden und hoffen dürfen, irgendein wuschelhaariger Gabriel möge sie zu einem Glas Champagner mit Blick auf Sacre Coeur entführen.

Spätestens seit Hemingway lieben Amerikaner keine andere europäische Stadt mehr als ihr „Päris“. Insofern ist es nur verständlich, dass in Amerika eine Serie konzipiert wurde, in der die Hauptfigur, Emily Cooper – Millennial, Marketing-Managerin, spezialisiert auf Social Media – nach Paris versetzt wird und dort mit all ihrer perfekt frisierten Naivität feststellen muss, dass nicht jede ihrer Klischeevorstellungen jedes Mal bestätigt wird – was die Serie wettmacht, indem sie, umgekehrt, jedes nur denkbare Klischee bereitwillig bedient.

Franzosen machen Mittagspausen? Hier sitzen sie täglich zwei Stunden beim Drei-Gänge-Menü mit Rotwein vor dem Café. Französische Männer flirten gern? Emily kann keine drei Meter an der Seine spazieren, ohne auf mindestens zwei potenzielle Liebhaber zu treffen. Französische Frauen sind besonders chic? Emilys Chefin trägt immer Couture, hohe Absätze und Zigarette. Eine Kritik fasste es lakonisch so zusammen: Die Serie sei eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für schöne Menschen, die nicht schauspielern können, und in der einfach nichts passiert – außer, dass Emily sich in ein außergewöhnlich unrealistisches Liebesdreieck verwirrt und nebenbei viel über sich selbst nachdenkt, während abwechselnd im weichen Licht Croissants, Eiffelturm, Louvre und noch mehr Croissants zu sehen sind.

Paris – Rom – Liebe

Tatsächlich gibt es einen Trend oder zumindest sehr viele Frauen auf Instagram und Tiktok, die darüber berichten, wie sie nach Paris gezogen sind, um sich selbst zu finden: Nicht um in der „Stadt der Liebe“ einen Mann kennenzulernen, sondern um zu sich zu kommen und ihr „wahres Selbst“ zu entdecken. Dazu Bilder vom immerschönen Paris, perfekten Sonnenaufgängen oder dem zur vollen Nachtstunde glitzernden Eiffelturm – wie um dem „Paris Syndrom“ zu entgehen, das einer urbanen Legende zufolge das Gefühl meint, von der Stadt enttäuscht zu sein, weil sie nicht den eigenen Erwartungen und Fantasiebildern entspricht. Paris als Schule des Lebens. Am Ende der letzten Staffel, der vierten, war Emily nach allerlei Eskapaden in Rom gelandet, um dort einen neuen Kunden zu betreuen, der auch ihr Liebhaber wird, natürlich ein wolfsäugiger Italiener mit Vespa und Loafern ohne Socken.

Nachdem Emily durch alle Klischees von Paris gestöckelt war, ist nun, in der fünften Staffel, also Rom dran: Statt Croissants gibt es Pizza, die Spaziergänge durch die Tuilerien sind ersetzt durch Pasta am Colosseum und die französische Champagner-Dynastie, die nach einem moderneren Marketing sucht, durch die italienische Kaschmir-Dynastie, die erst vor der Vergessenheit, dann vor Overtourism durch Social Media bewahrt werden muss. Und das alles unterlegt von Emilys brennender Ambition, die richtigen Deals zu machen und gleichzeitig mit ihren Verehrern die klischeetypisch romantischstem Unternehmungen; die Klischees und Konflikte bleiben, nur der Ort ändert sich und Emilys Bob ist zwei Zentimeter kürzer.

Ob Emily am Ende der Serie einen Mann haben oder allein bleiben wird, ist da fast schon egal.

Die fünfte Staffel von „Emily in Paris“ ist ab dem 18. Dezember 2025 auf Netflix zu sehen.

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