Anacondas, das wissen nicht ganz geschmackssichere Kinogänger seit dem Jahr 1997, sind Schlangen mit einem ziemlich zynischen Fressverhalten. „Nachdem sie ihre Beute gefressen haben, würgen sie diese wieder hoch, um erneut fressen zu können.“ So stand es auf der Leinwand zu Beginn eines Horrorfilms mit dem wenig überraschenden Titel „Anaconda“.

In dem ging es – man ahnt es – natürlich nicht um stinknormale Eunectes murinus. Ein Filmteam von National Geographic wird – so geht die Geschichte – von einem irren Jäger im brasilianischen Urwald gekidnappt. Der hat es auf die mutmaßlich weltgrößte Vertreterin der Würger abgesehen (deren Weibchen deutlich größer sind als Männchen). Die Folgen sind katastrophal.

Der Film von Luis Llosa, in dem das ziemlich schlecht animierte kolossale Reptil es in Sachen Schauspielerleistung durchaus mit ihren Konkurrenten Jennifer Lopez, Jon Voight, Ice Cube und Owen Wilson aufnehmen kann, war es auch. „Anaconda“ wurde nominiert für sechs Goldene Himbeeren. Gewann zwar keine (das tat Kevin Costners „Postman“ gleich fünfmal), aber eine treue Trashgemeinde, die gar nicht genug würgen konnte. Konvulsivisch speit seitdem die notorisch ideenarme Filmindustrie immer absurdere Anaconda-Ableger in die Lichtspielhäuser.

Die lange Vorgeschichte war nötig, weil – möglicherweise, um sich für den Preis des unweihnachtlichsten Weihnachtsfilms zu beweisen – jetzt ein Film in die Kinos kommt, der mit virtuos so ziemlich all dem spielt, trotzdem auch ohne jegliche Vorbildung funktioniert und die fatale Neigung von Hollywood auf die Schippe nimmt, uralte Ideen herunterzuschlucken und in Einzelteilen wieder hochzuwürgen, um sie den Leuten erneut zum Fraß vorwerfen zu können.

Jetzt aber endlich zu Tom Gormicans – damit geht die Hollywood-Satire schon mal los – „Anaconda“. Das ist kein klassisches Remake, sondern – wenn man schon einen Fachbegriff dafür braucht – etwas, das in der Branche als Reboot bezeichnet wird, also der komplette Neustart einer alten Geschichte. Gormican, Experte für genrevermischende Komödien, hat alles Mögliche in seine Meta-Mix-Maschine gepackt und dann lustig auf den Knopf gedrückt.

„Anaconda“ ist die Geschichte von Doug und Griff. Jack Black, der sich spätestens seit „Abgedreht“ mit Meta-Filmen auskennt, ist Doug, Paul Rudd ist Griff. Die beiden waren schon – möglicherweise als Folge von cineastischer Verwahrlosung – als Dreikäsehochs große Horrorfans, drehten Geschichten, in denen eine Art Yeti Jagd machte auf unschuldige Kinder. Ein herrlicher Spaß.

Jahrzehnte später ist aus Doug ein Meister nicht des Horror-, sondern des Hochzeitsvideos geworden. Kitschige Filmchen dreht er, in die er immer mal wieder versucht, irgendeinen Grusel zu schmuggeln. Griff hat es tatsächlich nach Hollywood geschafft, in ein paar Folgen „S.W.A.T.“ hat er mitgespielt, er durfte noch die letzten Worte der dritten Staffel aufsagen, dann wurde seine Rolle wegen Unerheblichkeit gestrichen.

Ein Neustart fürs Leben

Jetzt haben die beiden vom Schicksal zu eklatanter Triefäugigkeit Verdammten ein Alter erreicht, in dem Männer sich Motorräder, Oldtimer oder Vakumierer für die Molekularküche kaufen. Oder alte Träume ausgraben. Bei Dougs Geburtstag liegen sie sich über einem Video ihres Jugendschreckfilms weinend in den Armen und beschließen „Anaconda“ zu drehen, im Urwald, das ganz große Ding, ein Neustart für ihr Leben.

Griff behauptet steif und fest, er habe die Rechte dazu. Geld haben sie keins – 43.000 Dollar müssen reichen –, aber wahnsinnig viel Enthusiasmus. Doug fängt an, zu schreiben, was er angeblich gut kann. Und dann fahren sie in den Dschungel mit ihren großen Rosinen im Kopf und mit Kenny, dem Kameramann mit Neigung zum Alkohol, und Griffs ehemals angebeteter Claire.

Ein „spirituelles Sequel“ soll es werden. Was das genau ist, wissen sie selbst nicht. Themen soll es aber auf jeden Fall haben, weil Hollywood auf Themen steht, gerade im Horror. So in der Jordan-Peele-Nachfolge. Irgendwas Generationsübergreifendes zum Beispiel. Man lernt in „Anaconda“ vielleicht nichts über Würgeschlangen. Aber sehr viel darüber, wie Blockbuster konzipiert werden. Der Horror, der Horror.

Es kommt, wie es kommen muss. Alles geht schief. Die Hauptdarstellerin – eine prächtige, sehr neugierige, aber anscheinend absichtsvoll eher merkwürdig animierte Anaconda – gerät mit Griffs Zutun in die Schiffsschraube und das Team zwischen die Fronten von Umweltfrevlern. Irgendwann kommt ein Schiff vorbei, das zu einem Team gehört, das für Sony (die auch – Meta-Scherz – verantwortlich sind für Gormicans „Anaconda“) ein Reboot von „Anaconda“ dreht. Mit Ice-Cube und JLo – Jon Voight hat man mit seinen 86 Jahren den Trip erspart. Griff, stellt sich heraus, hatte die Rechte natürlich nicht.

Ein paar Minuten und Amazonas-Windungen später sind von dem Konkurrenz-Schiff nur noch Trümmer übrig. Eine Riesenschlange, auf deren schuppigem Rücken man Hundert-Meter-Läufe trainieren könnte (bisheriger Anaconda-Rekord: um die neun Meter) hat alles in Schutt und Asche gelegt.

Eine Feier des Filmemachens

Panik bricht aus. Schüsse fallen. Für Eichhörnchen und Wildschweine ist das kein schöner Film. Die Heilkraft von Urin wird vorgeführt. Rudd und Black machen sich über ihre eigenen Klischees lustig. Und eigentlich über alles. Bloß nicht übers Filmemachen. Das wird nie infrage gestellt. Das wird so gefeiert, dass man selbst zum Handy greifen möchte und in den Müggelbergen ein Reboot vom „Blair Witch Project“ drehen möchte.

Besser als in „Anaconda“ kann man jedenfalls Weihnachten und die Weltlage nicht vergessen. Wenn Sie nicht drehen, gehen Sie wenigstens ins Kino. „Anaconda“ ist ansteckend.

Der Film „Anaconda“ läuft ab dem 25. Dezember im Kino.

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