Ein schlechtes Jahr in der Weltpolitik ist nicht unbedingt ein gutes Jahr für die Kultur. Das zeigen diese neun Tiefpunkte aus den Bereichen Film, Serie, Literatur, Theater und Kunst.

Netflix-Doku „Babo: Die Haftbefehl-Story“

Es führte kein Weg daran vorbei. Wenn man bei Abenden mit Freunden nicht bloß stundenlang stillschweigend daneben sitzen wollte, musste man sich die Netflix-Doku antun, die die Gespräche des Herbsts beherrschte: Haftbefehl hier, Haftbefehl da, Haftbefehls Frau Nina dort. Und immer wieder seine Nase. Das Koks. Die schockierende Kindheit. Die Zusammenbrüche. Das Elend. Das Genie.

Die Doku, die ganz Deutschland elektrisierte, macht sich gar nicht erst die Mühe, zu erklären, wer der Rapper Haftbefehl ist, wofür seine Musik steht oder was seine Fans an ihm fasziniert. Sie verzichtet damit nicht nur auf Erkenntnisgewinn, sondern auch auf Figurenentwicklung, Fallhöhe und Spannungsbogen. Alles ist gleich schlimm. Will uns das auf Provokation abzielende Machwerk etwa die Tatsache als Neuigkeit verkaufen, dass ultraerfolgreiche Menschen im Rampenlicht dazu neigen, in die Drogensucht und Haltlosigkeit abzurutschen? Am Ärgerlichsten an dieser fragwürdigen Trauma-Beschau ist nicht einmal, dass sie voyeuristisch oder sensationsgierig ist, sondern einfach nur belanglos. Marie-Luise Goldmann

Deutsches Theater Berlin

Und jetzt bitte alle mitsingen: „Stock im Po, Balsamico!“ Wo ist man hier nur gelandet? Bei der Vollversammlung der Freunde und Förderer der infantilen Regression? Bei einer Dada-Ausgabe des Quatsch-Comedy-Clubs? Fast richtig: In dem Theaterstück „Leichter Gesang“, der Spielzeiteröffnung des Deutschen Theaters Berlin. Ein Abend, der in seiner auftrumpfenden Anspruchslosigkeit zum Davonlaufen ist. Viel Albernheit, nichts dahinter. Natürlich kann man im Theater dem Unsinn, dem Schabernack und dem Absurden huldigen, nur hat man das alles schon besser, klüger und witziger gesehen. Was leider auf so einige Abende zutrifft, die seit zwei Jahren in dem einst renommierten und finanziell noch immer sehr üppig ausgestatteten Hauptstadttheater laufen. Jakob Hayner

Film „Stromberg – Wieder alles wie immer“

„Das Zusammenleben der Menschen war also zweifach begründet durch den Zwang zur Arbeit, den die äußere Not schuf, und durch die Macht der Liebe“: So benennt Freud die zwei Bindekräfte der Gesellschaft. Besonders die „gemeine, jedermann zugängliche Berufsarbeit“ vermag laut Freud „ein starkes Ausmaß libidinöser Komponenten, narzisstische, aggressive und selbst erotische“ zu binden. In der Theorie stimmt das, in der Realität entsteht dabei permanent Chaos – wie die legendäre Büro-Sitcom „Stromberg“ von 2004 bis 2012 vorführte.

In der postpandemischen Arbeitswelt, die nur zögerlich aus der Isolation im Homeoffice zurückkehrt, wirkt das Universum der Kopierer und Kantinen, Post-its und Betriebsfeiern schon wieder exotisch und neu. Umso schlimmer, dass der Film „Stromberg – Wieder alles wie immer“ die Bürowelt hinter sich lässt wie ein prähistorisches Zeitalter – und die gealterten Helden der Abteilung für Schadensregulierung stattdessen auf einen deprimierenden Selbstfindungs-Roadtrip schickt. Ohne Arbeit und Liebe ist Stromberg leider eine überflüssige Figur. Andreas Rosenfelder

Christian Krachts Roman „Air“

Mit „Air“ hat sich der Hohepriester der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur verirrt. Als ätherisch dahin gehauchtes Meta-Märchen um das Mädchen Ildr in einer anachronistischen Anderswelt wirkt der Text seltsam aus der Luft gegriffen. Die Parallel-Erzählung über den Innenausstatter Paul, der im „Quiet Nordic“-Chic auf den schottischen Orkney-Inseln lebt, erscheint zugleich auf ermüdende Art durchkuratiert und selbstreferenziell. Vor allem aber hat Kracht mit „Air“ seinen Stil zur Masche degradiert. Die eingesponnenen Meta-Ebenen, die hingeraunten Andeutungen, das anschwellende Pathos, das sich einen Augenblick später mit einem Zwinkern in diffuse Ironie verflüchtigt: Krachts Magie wird hier zum Hokuspokus. Seine Apologeten werden dennoch nach geistiger Luft lechzen – selbst wenn die bei „Air“ recht dünn bleibt. Jens Ulrich Eckhard

Netflix-Serie „Emily in Paris“

Die Netflix-Serie „Emily in Paris“ bewegte sich schon seit der ersten Staffel auf dem schmalen Grat zwischen „so schlecht, dass man keine ganze Folge aushält“ und „so schlecht, dass es schon wieder gut ist“. Mit der lang erwarteten Staffel fünf, die gerade von lautem PR-Getöse begleitet angelaufen ist, ist nun ein neuer Tiefpunkt erreicht. Nachdem die junge Amerikanerin Emily durch alle Klischees von Paris gestöckelt war – Franzosen sind arrogant, arbeitsscheu, aber chic, die Stadt besteht aus Eiffelturm, Croissants und Champagner –, ist nun Rom dran: Statt Croissants gibt es Pizza, statt Moulin Rouge das Kolosseum, statt einem blauäugigen französischen Liebhaber, der gern kocht, einen braunäugigen, der gern Vespa fährt. Alle Klischees, alle Konflikte bleiben gleich vorhersehbar, nur die Kulisse der Stadt ändert sich – immerhin. Mara Delius

Ausstellung „Für Kinder. Kunstgeschichten seit 1968“

Im mittleren Museumsmanagement wird zu viel über „Outreach“ geredet. Kuratoren und Kunsthistoriker sind weniger mit Kunst oder dem Machen von Ausstellungen befasst als mit der Frage, wie man mehr Menschen, ein breiteres Publikum, in die Museen bekommt. Häufig kamen dabei Mitmach-Ausstellungen mit viel Vermittlungsaufwand heraus. Oder so eine verquaste Schau wie „Für Kinder. Kunstgeschichten seit 1968“ im Haus der Kunst in München.

Da läuft man über pseudo-infantil bekritzelte Fußböden, durch monumentale Montessori-Regenbögen, über Plastikwiesen so artifiziell wie im Teletubbie-Land oder unter von der Decke baumelnden Kostümen hin und her. Meistens wird man vom Wachpersonal abgehalten, etwas zu berühren und zu dem Tisch mit weißen Legosteinen geschickt, um nach Anweisung von Ólafur Elíasson Türme zu bauen, oder nach nebenan, wo man vis-à-vis der Eisbachwelle in einer klinisch anmutenden Trockenbau-„Skulptur“ von Koo Jeong A Skateboard fahren darf. Und wie finden’s die Kinder? Unterfordert bis gelangweilt drängen sie nur Richtung Ausgang. Für Museumsbesuche dürften sie in nächster Zeit nicht zu gewinnen sein. Marcus Woeller

„Für Kinder. Kunstgeschichten seit 1968“, Haus der Kunst, München, noch bis zum 1. Februar 2026.

Oasis-Comeback

Was hatte man erwartet? „Die Kanonen sind verstummt. Die Sterne stehen günstig. Alles Warten hat ein Ende.“ Schon im Vorsommer war das Comeback mit einem großspurigen Post besiegelt und verkündet worden. Dann waren Oasis wieder da. Aber was ist die größte Band der Generation X und der Neunzigerjahre ohne ihren Bruderkrieg? Die Gallaghers, Noel und Liam, vertrugen sich. Zum Auftakt ihrer Tour in Cardiff nahmen sie sich sogar in die Arme. Sie spielten einfach ihre Konzerte. Wie man hörte, gingen sich die Brüder abseits ihrer Bühnenzeiten aus dem Weg. War das, was im Sommer und Herbst 2025 stattfand, auf fünf Kontinenten, überhaupt eine Wiedervereinigung nach 16 Jahren? Ohne dass die Gallaghers sich öffentlich beschimpften, mit Gitarren schlugen und mit Obst bewarfen? Eine Dienstreise war es, aber nicht schlecht bezahlt. Michael Pilz

Netflix-Serie „The Beast in Me“

Neben einer Star-Autorin (Claire Danes) zieht ein Millionär (Matthew Rhys) ein. Der steht unter Mordverdacht. Als bald darauf ein junger Mann verschwindet, dem die Schriftstellerin die Schuld am Unfalltod ihres Kindes gibt, entsteht eine veritable „Zwei Fremde im Zug“-Konstellation zwischen den neuen Nachbarn. Guter Stoff, den „The Beast in Me“ da auffährt – und in den Sand setzt. Nicht zuletzt, weil bei Danes ständig alles zuckt, zappelt und sich verhaspelt, während Rhys sich auf exakt zwei Gesichtsausdrücke beschränkt, ist der Achtteiler kein Sehvergnügen. Und faul erzählt ist er auch, benötigt die Serie doch eine ganze Folge kurz vor Schluss, um in Rückblenden die viel zu vielen Handlungsstränge zu verbinden, die zuvor für quälende Unübersichtlichkeit gesorgt hatten. Mladen Gladić

Pixar-Film „Elio“

Im Prinzip hätte „Elio“ ein Sommerhit werden können – wenn nur genügend Menschen von dem Film gewusst hätten. Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass ein Pixar-Original nahezu unbemerkt in die Kinos kommt. Filme wie „Toy Story“, „Ratatouille“ oder „Oben“ waren kulturelle Ereignisse.

Bei „Elio“ hingegen blieb es auffallend still. Abgesehen von generischen Weltraumplakaten und einer spät gestarteten, hektischen TikTok-Kampagne gab es kaum Werbung. Dabei hat die Geschichte durchaus Potenzial: Ein Junge wünscht sich, von Außerirdischen entführt zu werden, weil er sich auf der Erde nicht zugehörig fühlt. Es geht um Einsamkeit, Authentizität und den Wunsch nach Verbindung.

Visuell jedoch entwickelt „Elio“ keine eigene Identität. Pixar greift auf seinen bereits bekannten Animationsstil zurück, der spöttisch als „Bohnenmundsyndrom“ bezeichnet wird und Figuren gleichförmig und leicht dümmlich aussehen lässt. Dass „Elio“ an den Kinokassen scheiterte, erklärt Pixar nicht mit fehlendem Marketing oder gestalterischer Einfallslosigkeit, sondern mit einem Publikum, das angeblich keine neuen Originalstoffe mehr wolle – eine bequeme Erklärung, die den Rückzug auf Sequels und Prequels bekannter Universen rechtfertigt. Imke Merit Rabiega

ARD-Serie „Mozart/Mozart“

Die ARD wollte wohl eine kleine Machtmusik spielen. In Zeiten, in denen sogar ein Kulturstaatsminister die Zwangsgebühren „Zwangsgebühren“ nennt, durfte „Mozart/Mozart“ demonstrieren: Wir können mit Eurem Geld machen, was wir wollen. Wenn wir eines der größten Genies des Abendlandes als kompositions-untüchtigen drogensüchtigen Vollidioten in einem pornösen Intrigenstadel zeigen wollen, dann tun wir es. Und wenn Ihr, liebe zahlende Gebührensklaven, in einem Mozart-Film Mozarts Musik erwartet – dann verpfeift Euch! Falls es den ARD-Leuten tatsächlich um „Rage-Baiting“ ging – also die Erzeugung von Aufmerksamkeit durch Wut –, dann funktionierte die Strategie. Kritiken wetteiferten, wer seinen Abscheu am krassesten formuliert: „Nach der Ausstrahlung wird die AfD einige Tausend potentielle Wähler aus bildungsnahen Schichten mehr haben“ („FAZ“), „Ein Mozart zum Fremdschämen“ (WELT), „Die schlechteste Serie der Welt“ („Süddeutsche Zeitung“). Matthias Heine

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