Seit 75 Jahren gibt es die «Zeitansagen» vom Kirchentag. Immer kommt auch die politische Führungsspitze Deutschlands. Ein Ziel des Kirchentags 2025: Demokratie stärken und Orientierung geben in einer sinnkriselnden Zeit.

Das gefiel auch Kanzler Olaf Scholz (SPD), der selbst kein Kirchenmitglied mehr ist. Das Podiumsgespräch mit Scholz am Deutschen Evangelischen Kirchentag war einer seiner letzten Auftritte als Kanzler: Das linksbürgerliche Milieu hier hörte ihm zu, lachte über seine hanseatischen Scherze und spendete überraschend viel Beifall.
Dabei war es Olaf Scholz, der das Wort «Zeitenwende» prägte. Und seine Regierung erklärte Aufrüstung für alternativlos. Das stösst einigen Christinnen und Christen immer noch bitter auf.
Ihre Gegenlosung: «Friedensfähig statt kriegstüchtig» werden. Aufrüstung schaffe weder Frieden noch passe sie zur Feindesliebe und Gewaltfreiheit des Jesus von Nazareth. So vertrat es die prominenteste Theologin Deutschlands Margot Kässmann.
Bergpredigt Jesu war nicht mehrheitsfähig
Alt-Bischöfin Kässmann eröffnete darum eine kleine ökumenische Friedenssynode ausserhalb des offiziellen Kirchentags. Am 1. Mai und im Gewerkschaftshaus von Ver.di lancierten christliche Pazifistinnen und Pazifisten ihren «Friedensruf von Hannover 2025». Mit dabei war der reformierte Schweizer Theologe Matthias Hui: Für Hui gehört der Gewaltverzicht zur Kernbotschaft Jesu, ebenso die soziale Gerechtigkeit.

Der offizielle Kirchentag lehnte derweil eine Anti-Atomwaffen-Resolution ab. Genau umgekehrt war das in den 80er-Jahren: 1984 sprach der Kirchentag ein eindeutiges «Nein zur Stationierung von Nato-Waffen» aus.
Dahinter stehen zwar bis heute alle evangelischen Landeskirchen, die täuferische Friedenskirche sowieso und die römisch-katholische Kirche. Beim Kirchentagsvolk aber fiel die Abrüstungsforderung jetzt durch.
Zeichen für Vielfalt
Der Kirchentag bleibe trotzdem politisch und wichtig, meint die queer-katholische Intellektuelle Genova Moser aus der Schweiz. Dankbar erlebe sie hier christliche Solidarität mit der LGBTQI+ Community angesichts von Hass und Gewalt.
«Gott ist queer» – für diesen Satz erntete Pastor Quinton Ceasar am Kirchentag 2023 einen Shitstorm von Rechtsaussen, aber auch aus der konservativen Mitte. 2025 doppelt der Kirchentag mutig nach: Die Abschlusspredigt hält diesmal die non-binäre, amerikanisch-deutsche Person namens Hanna Reichel.

Das soll zeigen: «Mutig, stark und beherzt» wollen die rund 150'000 Teilnehmenden Vielfalt, Menschenwürde und Demokratie schützen, vor allem im eigenen Land, wie es scheint.
Die kirchliche «Brandmauer» steht
Die AfD wurde dazu nicht eingeladen. Zum breiten und offenen Gesellschaftsdialog – wie sonst an Kirchentagen – kam es so aber nicht.
Der globale Rechtsruck, die Klimakrise, neue Kriege, die Hölle in Nahost – das alles diskutierte der Kirchentag in rund 1500 Einzelevents, auf Podien und in Gottesdiensten. Allein: Dieses affirmative Beschwören von Mut und Beherztheit – es könnte Beleg sein für tiefe, weltanschauliche Verunsicherung, auch in den Kirchen.
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