Nach "Oh Boy" (2012) und "Lara" (2019) legt Jan-Ole Gerster mit "Islands" nun seine dritte Regiearbeit fürs Kino vor. In der Hauptrolle ist dieses Mal Sam Riley zu sehen, der als einsamer Tennislehrer ein nur scheinbar glamouröses Leben auf Fuerteventura führt und durch besondere Umstände in das mysteriöse Verschwinden eines Gastes hineingezogen wird. Der Film ist aktuell beim Deutschen Filmpreis für drei Lolas nominiert.

Im Gespräch mit ntv.de sprechen Gerster und Riley über die Dreharbeiten auf der Kanareninsel, das Schicksal der zentralen Figur und die Bedeutung der Filmmusik von Dascha Dauenhauer.

ntv.de: Sam, warst du vor dem "Islands"-Dreh schon einmal auf den Kanarischen Inseln?

Sam Riley: Meine Großeltern wollten auf Teneriffa ihren Ruhestand verbringen, und ich habe sie besucht, als ich zwölf Jahre alt war. Das war das einzige Mal, dass ich auf einer Kanarischen Insel war. Ich habe die Dreharbeiten dort geliebt, es war ein wunderbarer Arbeitsort. Ich mag sonniges Wetter, bin aber nicht damit aufgewachsen. Als Kind habe ich alle meine Ferien in England verbracht, meist nur anderthalb Stunden entfernt an der Küste in Yorkshire. Wir haben für den Urlaub Yorkshire nie verlassen. Daher genieße ich Orte, an denen man im Meer schwimmen kann. Aber nach acht Wochen in der Sonne merkte ich auch, wie es für die Figur war, in diesem Hotel zu arbeiten. Die ersten drei Wochen haben wir in einem Hotel gedreht, in dem echte Menschen Urlaub machten - das war verrückt. Irgendwann freute ich mich auf einen dicken Wintermantel und einen Spaziergang um den Schlachtensee mit Schal in der Kälte.

Jan-Ole, du hattest die Idee zu "Islands" tatsächlich auf Fuerteventura. Wie kam es dazu?

Jan-Ole Gerster: Ich stelle fest, dass ich sehr stark auf Orte reagiere. Manchmal finde ich Orte so toll, dass ich damit so connecte, dass daraus der Wunsch entsteht, dort etwas zu drehen. Bei Fuerteventura war es eine Mischung - ich fand die Insel und die Landschaften aus filmischer Sicht toll. Wenn man an die richtigen Orte fährt, ist es total magisch. Aber es gibt eben auch die Touristenwelt, die etwas in die Jahre gekommen ist. Ich hatte recht schnell die Idee, etwas über einen Tennistrainer zu machen, den ich von meinem Hotelbalkon aus beobachtet habe. Ich hatte ein kleines Ferienapartment und saß auf dem Balkon, von wo aus ich zwei Wochen lang auf diesen Typen herabschaute, der in einem rostigen Tenniskäfig zehn Stunden am Tag in der prallen Sonne Touristen den Ball übers Netz schob. Er kommentierte immer auf die gleiche Art und Weise - das war wie eine tolle Soundinstallation, die viel über die Monotonie seines Lebens im vermeintlichen Paradies erzählte. Da ich empfänglich für solche Figuren bin, habe ich ihn gleich in mein Herz geschlossen.

Hast du ihn vor Ort auch gesprochen oder nur beobachtet?

Gerster: Ich habe mich ein bisschen mit ihm unterhalten. Was geblieben ist und was ich bezeichnend für die Figur fand: Da ist jemand, der noch nicht verstanden hat, dass dieses Leben im Paradies eigentlich gar keins ist, sondern eine Art Falle darstellt, von der er nicht entkommen kann. Flucht, Realitätsflucht und Eskapismus sind die Leitmotive des Films. Urlaub ist ja auch immer eine Art von Flucht - man fährt irgendwohin, lässt sein altes Leben für ein paar Tage zurück, checkt keine Mails und macht Dinge, auf die man Lust hat. Man fängt viel zu früh am Tag an zu trinken. Und er ist auch vor etwas davongelaufen, flüchtet sich in Alkohol und Affären, kommt aber nicht wirklich raus. Das fand ich interessant, weil die tatsächliche Person vor Ort immer wieder fast mantrahaft zu sich selbst sagte: "Love it, don't regret a single day." Aber er wirkte auf mich sehr einsam und etwas sozial verwahrlost.

Sam, was hat dich an der Rolle gereizt, als die Anfrage kam?

Riley: Die Arbeit auf Fuerteventura war ein Bonus. Mir kam auch kurz in den Sinn, dass sechs Wochen auf einer Insel in der Sonne etwas sein würden, was ich noch nie zuvor gemacht habe. Aber entscheidend waren das Drehbuch, die Geschichte und die Rolle. Ich habe das Skript in einem Zug gelesen, lustigerweise am Strand, allerdings nicht in der Sonne. Ich wusste sofort, dass ich diese Rolle unbedingt spielen wollte. Jeder Schauspieler in meinem Alter würde sie spielen wollen. Es ist ein wunderschöner Charakter, eine Mischung aus Komplexen und Widersprüchen. Und er ist in jeder Szene. Schauspieler lügen, wenn sie nicht zugeben, dass das auch eine Rolle spielt. Ich liebe nichts mehr, als den ganzen Tag am Set zu sein. An Drehtagen gehe ich nicht gerne zurück zum Wohnwagen und warte drei Stunden, während andere spielen. Das ist, als würde man jemand anderem beim Computerspielen zusehen - wirklich ärgerlich.

Im wirklichen Leben bist du mehr Dave als Tom - mit einer schönen Frau und einem Sohn. Oder?

Riley: In diesem Sinne ja. Aber ich denke, Tom und Dave sind ziemlich ähnliche Männertypen. Ihnen passieren unterschiedliche Dinge im Leben, aber beide sind nicht besonders glücklich mit dem, was sie haben. Es ist das "Gras ist auf der anderen Seite grüner"-Syndrom. Beide haben dieses Problem miteinander - jeder schaut den anderen an und denkt: "Oh, dann wäre ich glücklich, wenn ich hätte, was er hat."

Hast du dich jemals so gefühlt? Dass das Gras auf der anderen Seite grüner ist?

Riley: Ich denke, viele Erwachsene haben diesen Moment, in dem sie sich fragen: "Worum geht es eigentlich? Ist es das? Was mache ich?" - unabhängig davon, ob man kein Geld oder viel Geld hat, ob man mit jemandem zusammen ist, den man liebt, oder nicht. Es klingt etwas nach Hippie-Weisheit, aber es stimmt: Es ist eine Geisteshaltung. Du bist nur so glücklich wie die Qualität deiner Gedanken. Dieses Problem habe ich im Moment nicht.

Nicht heute, vielleicht morgen?

Riley: Ja, aber ich versuche, es anders anzugehen. Vor einigen Jahren habe ich etwas geändert und angefangen, nur einen Tag nach dem anderen zu betrachten. Das macht alles viel einfacher.

Als Schauspieler schaut man doch sicher mal Filme und denkt: "Oh, das ist so eine schöne Rolle, die hätte ich gerne gespielt ..."

Riley: Ja, ständig! Ich beneide niemanden um sein Privatleben, aber ich beneide andere Leute die ganze Zeit um ihre Karrieren. Deshalb schaue ich oft nur Reality-TV, weil ich es nicht ertragen kann, wenn meine Kollegen großartige Sachen machen. (lacht)

Wie kam es überhaupt zur Zusammenarbeit zwischen euch beiden?

Gerster: Ich hatte mich natürlich schon in Sam verliebt, als er Ian Curtis in "Control" gespielt hat. Das ist seine erste Rolle überhaupt und gleich eine verdammt gute Leading-Man-Performance. Das ist jetzt etwa 20 Jahre her, aber er hat das so gut gemacht. Ich war immer ein Fan von ihm und wusste, dass er hier in Berlin lebt. Es stellte sich heraus, dass wir beide denselben Agenten haben. Dann wurde ein Blind Date arrangiert, wir haben uns getroffen, und dann war klar, dass das passt.

Aber Jan hat dich gar nicht sofort für die Rolle ausgewählt, auch wenn es jetzt so klingt, stimmt's?

Riley: Nein, er hat sich nicht sofort für mich entschieden. Ich musste ihn treffen. Er hat eine Drei-Tage-Regel. Aber es waren nicht drei Tage hintereinander - ich musste wochenlang warten. Ich traf ihn in einer Woche, dann wieder in der nächsten. Beim ersten Treffen habe ich gar nicht über den Film gesprochen, weil ich nicht wie bei einem Date wirken wollte: "Oh mein Gott, ich liebe dich, bitte wähle mich!" Wir haben einfach über Filme geredet. Beim zweiten Treffen sagte ich dann: "Übrigens, ich will diese Rolle wirklich. Du solltest sie mir geben." Und beim dritten Mal haben wir Tennis gespielt.

Ach, wirklich? Wer war besser?

Riley: Er ist viel besser als ich. Er ist ein guter Tennisspieler, deshalb interessiert er sich für die Geschichte. Ich hatte vorher nie Tennis gespielt.

Wie sieht es heute mit deinen Tennisfähigkeiten aus?

Riley: Im Moment sind sie besser, als sie waren. Ich hatte nicht viel Zeit zum Üben, und die Produktionsfirma hat für den Unterricht bezahlt. Vier Stunden pro Woche - das ist sehr teuer, wenn es aus der eigenen Tasche kommt. Das Gute daran war, dass ich manchmal meinen Sohn mitgenommen habe, weil ich im Film Kindern Tennis beibringen muss. Er kam manchmal mit, und ich konnte meinem Trainer dabei zusehen, wie er ihn trainiert, um zu lernen, wie man unterrichtet. Mein Sohn spielt immer noch Tennis. Er liebt es und ist richtig gut darin geworden.

Der Film spielt wie ein Noir-Krimi auf, obwohl er keiner ist. Die Figur des Tom ist vielschichtig ...

Gerster: Dass man mit der Figur mitfühlt, hat natürlich viel mit der Schauspielkunst von Sam Riley zu tun. Bei der Finanzierung des Films haben viele nur das eindimensionale Klischee eines Tenniscoachs wahrgenommen. Aber mir war wichtig, dass es eine Figur ist, die wieder mit ihrem emotionalen Leben in Verbindung kommt und etwas über sich selbst erfährt - über das, was in ihrem Leben fehlt. Ich hatte eine sehr romantische Idee von der Figur. Dass das so aufgegangen ist und die Figur Tiefe hat, dass wir verstehen, was in ihm vorgeht, ohne dass er es jemals ausspricht - das ist die große Kunst von Sam.

Der Film ist hauptsächlich auf Englisch, mit ein paar deutschen Sätzen und etwas Spanisch ...

Gerster: Seit ich Filme schaue, sehe ich sie in Originalsprache, viele davon sind englischsprachig. Ich mag die englischsprachige Dialogkunst - Leute unterhalten sich einfach anders und lässiger. Ich wollte meinen künstlerischen Horizont erweitern und etwas auf Englisch drehen. Es hat aber auch mit der Reichweite von Filmen zu tun. Es ist immer schwieriger geworden, deutsches Kino für ein deutsches Publikum zu platzieren. Die Filme müssen heute eine ganz andere Reise antreten können. Es reicht nicht mehr zu sagen: "Deutschsprachiger Film für deutsches Publikum" - das ist an der Kinokasse heute ein anderer Schnack als vor zehn oder zwanzig Jahren. Ich würde nie eine deutsche Geschichte in eine englische Sprache zwängen. Aber hier bot es sich an, weil mindestens genauso viele betrunkene Briten über diese Insel stolpern wie Deutsche. Es passt einfach. Es fühlte sich an wie der perfekte Film für mein englischsprachiges Debüt, weil es für alle - für die Briten, die deutsche Crew und die Festlandspanier - so etwas wie neutraler Boden war. Wir waren alle Gäste auf dieser Insel und sind so eins geworden.

Wie habt ihr das Drehbuch zu dritt geschrieben und in welcher Sprache?

Gerster: Ich habe das Skript mit Blaž (Kutin) begonnen, der auch das Drehbuch zu meinem vorherigen Film geschrieben hat. Er ist Slowene, den ich über ein Script Lab kennengelernt habe. Wir haben uns angefreundet und hatten den gleichen Geschmack. Wir schreiben und sprechen in einer Sprache, die wir "European English" nennen - ein Euphemismus dafür, dass wir es beide nicht perfekt sprechen, aber gut genug, um einen ersten Aufschlag in der englischen Fassung zu machen. Blaž ist etwas besser als ich, weil er in Slowenien englische Sitcoms untertitelt hat. Als es darum ging, mit dem Skript rauszugehen und englische Schauspieler anzusprechen, haben wir Lawrie (Doran) dazugeholt, den wir auch aus dem Script Lab kannten. Er hat das nicht nur für uns sprachlich poliert, sondern hatte auch gute dramaturgische Einflüsse und wurde so der dritte Autor. Aber die Situation, dass wir zu dritt am Tisch saßen, gab es eigentlich nie.

Wie war es, auf Englisch zu inszenieren?

Gerster: Je besser man sich kennt, desto einfacher wird es. Deshalb habe ich versucht, viel Zeit mit den Schauspielern vorab zu verbringen, um Fragen über die Figuren und die Handlung auszuräumen, die dann am Set nicht mehr explizit diskutiert werden müssen. Inszenierung lebt stark von der Präzision der Sprache - dass man knapp etwas reingeben kann, was dem Schauspieler hilft. Ich will nicht sagen, dass das überhaupt nicht funktioniert hat, aber ich war vielleicht nur bei 70 bis 80 Prozent und brauchte manchmal fünf Sätze, wo man sonst nur einen braucht. Wenn man das alles addiert, ist es ein Drehtag mehr. Aber es hat erstaunlich gut geklappt. Sam spricht übrigens sehr gutes Deutsch, was ein gutes Backup war, auch wenn wir aus Respekt vor den anderen Schauspielern davon kaum Gebrauch gemacht haben.

Musik spielt in diesem Film eine große Rolle. Wie ist das Konzept entstanden?

Gerster: Ich höre viel Musik beim Schreiben, und wir haben auch viel Musik beim Drehen gehört. Der Film hat diese Zooms, und ich habe mit dem Kameramann am Stativ gestanden und Musik gespielt, damit wir den Groove des Films finden. Musik hilft mir, visueller zu schreiben und nicht nur in Dialogen zu denken. Im Schneideraum haben wir zunächst mit verschiedenen Musiken gearbeitet - quer durch den Gemüsegarten der Musikgeschichte, vom Film noir der 70er-Jahre über Pedro Almodóvar. Das war ein Patchwork an Stimmungen, mit dem wir den Film atmosphärisch und rhythmisch gestaltet haben. Dann kam Dascha (Dauenhauer) dazu.

Meist hat man etwas Angst vor dem Moment, wenn der Komponist die Musik beisteuert, oder?

Ja. Aber mit Dascha war es anders. Ihre Musik hat uns umgehauen. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, um die richtige Musik zu finden. Ich bin immer in ihr Studio gegangen, und wir haben uns unterhalten - ein bisschen wie Lynch und Badalamenti. Ich kann mich nicht im musikalischen Vokabular ausdrücken, aber sie hat das übersetzt. Ich habe gesagt: "Es muss wie ein Tinnitus sein, der alle anderen Töne ausblendet, und darin kommt dann dieses ungute Dunkle wieder zurück." Einen Tag später bekam ich dann ein Stück, das genau das war. Das hat total Spaß gemacht und war eine extrem schöne Erfahrung.

Sam, du bist selbst Musiker - was hast du gefühlt, als du den Film zum ersten Mal mit der fertigen Musik gesehen hast?

Riley: Ich habe ihn zum ersten Mal im Kino mit der Musik gesehen und war beeindruckt. Dascha hat einen unglaublichen Job gemacht. Die Musik passt perfekt zum Stil des Films. Sie ist ein bisschen inspiriert von Dingen, die man fast wiedererkennt, aber gleichzeitig völlig einzigartig. Das ist so wichtig. So oft schaut man eine Filmpremiere und denkt: "Oh verdammt, was ist das?" - wenn die Geige über jeder Szene zu hören ist. Aber nicht diesmal.

Machst du aktuell noch selbst Musik?

Riley: Ja, aber nicht mehr mit der Band. Ich mache Musik für mich selbst, schreibe und nehme Sachen auf. Ich spiele viel zu Hause, fast jeden Tag Gitarre. Ich denke darüber nach, etwas zu veröffentlichen, und dann denke ich immer: "Nein, das hier ist jetzt mein Leben mit Musik." Diese Schleife wiederholt sich ständig.

Mit Jan-Ole Gerster und Sam Riley sprach Nicole Ankelmann

"Islands" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.

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