In ihrem Podcast „News Core: Politik bis Popkultur“ unterhalten sich Imke Rabiega und Julian Theilen über Trends und aktuelle Debatten. Das folgende Transkript ist eine gekürzte Essenz der Podcastfolge „Popestar und Kruzifixe“.

Julian: Heute geht es um die Faszination für Konklave und Kreuzkämpfe. Wir haben einen neuen Bundeskanzler und wir haben einen neuen Papst. White Smoke, weißer Rauch über dem Vatikan. Ich finde, das klingt wie ein guter Rap-Song von Capital Bra.

Imke: Habemus Papam und habemus Merz. Generell hat das Christentum gerade ein popkulturelles Momentum auf verschiedenen Ebenen. Aber das Konklave war eine neue Ebene. Das geht jetzt ab wie der Super Bowl.

Julian: Es ist verrückt, wenn dieses hochritualisierte, traditionelle Verfahren auf eine hochmoderne Social-Media-Kultur trifft. Das TikTok-Screening des Konklaves fasziniert mich. Eigentlich sind das Konklave und TikTok unterschiedliche Welten. Was macht diese Symbiose aus?

Imke: Faszinierend sind die Memes: Was ziehe ich an, welche Snacks kaufe ich mir, um das Konklave zu sehen? Der Konklave-Stoff ist wie gemacht für modernes Storytelling. Es gibt einen abgeschotteten Ort, geheim gehaltene Abstimmungen und eine dramaturgische Struktur, die an ein Fantasy-Epos oder an True-Crime-Dokumentationen erinnert. In der Politik oder im Film und in der Popkultur wissen wir immer, dass es nicht zu 100 Prozent ernst gemeint ist. Und dass es theoretisch Schlupflöcher oder Intrigen gibt, wie man in dieses System hereinkommen kann. Aber bei dieser Institution wissen wir alle, dass, egal, was wir machen und wie viel Geld wir bezahlen, wir nicht mit rein dürfen.

Julian: Ein sicherer Ort. Letztens haben wir über den Kinofilm „Konklave“ gesprochen, der einen Oscar für das beste adaptierte Drehbuch gewonnen hat. Dort werden die theatralen Abläufe und die Prachtentfaltung im Zentrum der katholischen Kirche sehr eindringlich gezeichnet.

Imke: In gewisser Weise hat der Film das Gefühl prophezeit, das wir jetzt alle empfinden. Selbst in Bubbles, von denen ich das gar nicht gedacht hätte, herrscht diese Faszination vor. In meiner Fashion-Bubble zum Beispiel sehe ich Videos, wo sie sich vor rauchende Schornsteine in New York stellen und Konklave-Videos machen. Glaubst du, das Konklave würde in den sozialen Medien genauso gut funktionieren, wenn es den Raucheffekt nicht gäbe?

Julian: Glaube ich nicht, das ist schon elementar. Rauch ist ja kulturtechnisch so stark mit Bedeutung aufgeladen, dass er ein wichtiger Träger für die Faszination ist. Generell finde ich interessant, wie die Figur des Papstes in unserer westlichen Kultur wieder attraktiver wird, nachdem sie in den letzten Jahrzehnten an Coolness verloren hat. Warum ist das so? Die jungen Generationen wachsen in einer Zeit auf, die von Unsicherheit, extrem hohem Tempo und Identitätsfragen geprägt ist. Es entsteht ein Gefühl der Orientierungslosigkeit. Viele junge Menschen erleben sich als entwurzelt – geografisch durch Mobilität, sozial durch Digitalisierung und spirituell durch Säkularisierung. Inmitten dieser überfordernden Welt ist eine Kirchenzeremonie in den sozialen Medien etwas, was wirklich mal etwas bedeutet.

Imke: Ein Spektakel. Wir haben ein Bedürfnis nach Stille, nach der Abschottung und klaren Struktur. Die Zeremonie ist ein Anker gegen die Bedeutungslosigkeit.

Julian: Auch wenn ich nicht glaube, dass deshalb mehr Menschen in die Kirche eintreten, sind sie doch, selbst wenn sie nicht gläubig sind, fasziniert vom Trost, den Religion und Spiritualität schenken können.

Imke: Weißt du, was ich aber auch glaube? Der größte Reiz daran ist, dass es im Verborgenen abläuft. Gerade leben wir in einer Zeit, in der alles immer zu 100 Prozent transparent ist oder zumindest so erscheint. Wir haben Reality-Dokus und die vermeintlich intimsten Einblicke in das Privatleben aller möglichen Stars oder Politiker, weil alle ihren Alltag und ihre Realität auf Instagram oder auf TikTok zeigen. Und dann gibt es dieses Konklave hinter dicken Mauern und man kommt nicht rein.

Julian: Da geht auch das Kopfkino los. Was haben sie an? Wie sieht es da drin aus? Was machen die genau? Ich habe vorhin ein lustiges Video gesehen, eine fiktive Parodie, dass wir irgendwie alle denken, die 133 Kardinäle sitzen da in bedächtiger Stille – aber eigentlich werden da wilde Partys gefeiert mit Zigarre, Pizza und Wein. Ein anderer Grund, warum das Konklave so anschlussfähig fürs progressive Social-Media-Milieu ist, ist, dass es an Meditation-Retreats auf Bali erinnert. Sieben Tage nicht reden, schweigen, beten, essen, zu sich kommen, im Selbst gefangen sein ohne Ablenkung. Die Stille, die die Kardinäle gerade erlebt haben, wollen die meisten für sich selbst.

Imke: Ich glaube, tief im Inneren wünschen sich junge Leute, dass sie an etwas glauben können, das über sie selbst hinausgeht. Aber sie wollen das zu ihren eigenen modernen Bedingungen. Also zum Beispiel eine Kirche, die offen gegenüber Homosexualität ist. Keine Unterdrückung der Frau, keine rigide Sexualmoral. Wenn der schwarze Rauch aufsteigt, ist das alles noch möglich und man kann auf einen Wandel hoffen, der vielleicht zur eigenen Weltanschauung passt.

Julian: Jetzt, wo aus dem schwarzen Rauch weißer geworden ist, lebt die Hoffnung auf eine bessere Welt weiter. Der Papst hat etwas Väterliches und dient nach wie vor als moralische Instanz. Jetzt, wo alles fucked up zu sein scheint, ist er vielleicht wichtiger denn je.

Imke: Ich habe in den vergangenen Wochen oft gelesen, dass junge Leute wieder mehr an Gott glauben. Für Großbritannien und die USA gibt es Studien, dass mehr junge Leute gläubig sind. In Großbritannien sind es zum Beispiel bei den 18- bis 24-Jährigen heute 45 Prozent, die sagen, sie glauben an einen Gott. 2018 waren es zum Beispiel nur 22 Prozent. Also hat es sich quasi verdoppelt in relativ kurzer Zeit. In Deutschland haben wir ein sehr verzerrtes Bild vom Christentum. Wir haben hier eher das Bild von jungen Leuten, die als Erstes, wenn sie 18 werden, aus der Kirche austreten, weil das Image der Kirchen schon noch richtig schlecht ist, vor allem durch das Bekanntwerden dieser ganzen Missbrauchsskandale in den letzten Jahren. Aber das spiegelt eben überhaupt nicht den globalen Trend wider.

Julian: Ich glaube auch, dass wir in Deutschland die Wirkungsmacht der katholischen Kirche komplett unterschätzen. Es gibt 1,4 Milliarden Katholiken weltweit und insgesamt 2,6 Milliarden Christen und die Zahlen steigen. Jeder siebte Mensch oder so ist Katholik. Das ist Wahnsinn.

Imke: Das zeigt sich auch in der Popkultur, wo das Christentum einen neuen It-Status erlangt. Da ist der Make-up-Trend des Jesus-Glow oder die modische Rückkehr des Kruzifixes.

Julian: Seit einigen Jahren ist es ziemlich auffällig, wie viele Popstars das Kreuz an der Kette tragen. Ich denke da an Kim Kardashian bei einer Gala in L.A., wo sie ein riesiges violettfarbiges Kreuz über dem Dekolleté trug oder Lana Del Rey für ein Fotoshooting des „New York Magazins“.

Imke: Kim Kardashian hat die Kette übrigens für 186.000 Euro bei einer Versteigerung gekauft, die gehörte nämlich davor Prinzessin Diana. Aber ich finde, das muss komplett abgekoppelt betrachtet werden von dem generellen Trend, Christ zu werden. Wir lieben in der Mode das Spiel mit Symbolen und den damit verknüpften Werten. Beim christlichen Kreuz sind das Werte wie Frommsein oder Keuschsein. Dazu kommt noch die jahrtausendelange Geschichte und Tradition, Kriege und Macht. All das erzeugt ein großes Spannungsfeld für Reibung. Wenn man das Kreuz zum Beispiel mit freizügigen Outfits kombiniert, eröffnet man einen riesigen Kontrast.

Julian: Die Kirche beschwert sich aber auch regelmäßig über Frauen wie Lana Del Rey, die das Symbol aus ihrer Sicht beschmutzen würden. Die Empörung ist genauso alt wie die Kirche selbst. Madonna hat auch immer provoziert und wurde von der Kirche verbannt.

Imke: Ich bin ehrlich: Frauen wurden strukturell über Jahrtausende von der Kirche unterdrückt. Lasst uns jetzt doch wenigstens das hotte Kruzifix, wenn wir Bock drauf haben, während ihr Männer eurer komisches Konklave da erledigt. Das möchte ich zu dem Christentum-Hype auch noch einmal erwähnen: Nicht umsonst standen jetzt auch Frauen mit pinkem Rauch vor der Sixtinischen Kapelle, um einmal kurz zu sagen, hey, übrigens, wir Frauen sind auch noch da, auch wenn ihr 133 Boys da jetzt eure Party feiert. Die Gleichstellung ist kein Erfolg der Kirche, sondern einer der Demokratie. Und ohne die Demokratie sähe das heute eher anders aus. Die unreflektierte Übernahme von Tradition birgt die Gefahr, dass Errungenschaften, die wir durch andere Systeme haben, wieder in Gefahr geraten. Deshalb brauchen wir eine mutige Kirche, die das verändert. Dann habe ich auch gar nichts dagegen, denn ich glaube schon, dass jeder frei in seinem Glauben sein sollte.

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