Mit dem ersten Halbfinale am Dienstagabend geht der Eurovision Song Contest in die heiße Phase. Über die diesjährigen Favoriten wird unterdessen schon längst spekuliert. Wir zeigen, wer womöglich das Zeug zum Sieg in Basel hat.
Wer eine Prophezeiung wagt, wer den Eurovision Song Contest (ESC) gewinnt, kann eigentlich nur scheitern. Regelmäßig zeigt die Veranstaltung, wie unberechenbar sie ist. Und so hat man auch schon reihenweise Favoriten letztendlich straucheln sehen, die im Vorfeld als ausgemachter King of Kotelett gehandelt wurden - um es mit Stefan Raab zu sagen.
Einerseits. Andererseits lagen die Buchmacher, Google-Suchtrends, Spotify-Abrufzahlen oder Experten-Tipps in den vergangenen Jahren zumeist auch nicht komplett daneben. Ein gewisser Kreis an Kandidatinnen und Kandidaten, die wirklich gute Chancen auf den Gesangsthron haben, lässt sich somit durchaus bestimmen.
So geben sich im ersten Halbfinale an diesem Dienstagabend bereits zwei Topfavoriten beim diesjährigen ESC in Basel die Ehre. Wir sagen, um wen es sich handelt - und wer sonst noch zu den am heißesten gehandelten Acts gehört.
Niederlande: Claude - "C'est la vie"
So schnell kann es gehen: Im vergangenen Jahr wurde Joost Klein noch mit Schimpf und Schande vom ESC-Hof gejagt - und in diesem Jahr könnten die Niederlande schon wieder den Sieg bei dem Wettbewerb einfahren. Das jedoch ohne den "Europapa", der nach seiner Disqualifikation im Vorjahr sein Land in Basel nicht vertreten wollte, obwohl es ihm angeboten worden war.
Stattdessen steigt nun der 21-jährige Claude für die Niederlande in den Ring. Definitiv keine schlechte Wahl. So landete er etwa vor zweieinhalb Jahren in seinem heutigen Heimatland mit "Ladada (Mon dernier mot)" bereits einen Nummer-1-Hit. Und zum ESC bringt er mit "Cést la vie" einen melancholisch-schönen Popsong mit, dem zu Recht eine Topplatzierung zugetraut wird.
Kein "Sha-la-li sha-la la" von den Niederländern diesmal also. Und auch kein Niederländisch! Stattdessen - Überraschung! - singt Claude, der mit vollem Namen Claude Kiambe heißt, nicht nur den Songtitel, sondern gleich das komplette Lied auf Französisch. Grund dafür ist seine ursprüngliche Herkunft aus der Demokratischen Republik Kongo, in der Französisch gesprochen wird und aus der er als Kind mit seiner Mutter und seinen Geschwistern floh. Was für eine Geschichte, wenn er nun auch noch den ESC gewinnen würde. Aber zuerst muss er dafür das erste Halbfinale überstehen.
Schweden und Malta
So wie auch Schweden. Dass KAJ mit "Bara Bada Bastu" der Einzug ins große ESC-Finale am Samstag spielend gelingen wird, kann jedoch kaum bezweifelt werden. Am Montag haben wir bereits die skurrilsten Beiträge beim diesjährigen ESC vorgestellt. Auch die im Dienste der Schweden singenden Finnen gehören mit ihrer Ode an das gepflegte Saunieren zu den schrägsten Vögeln in Basel. Aber freaky zu sein, ist ja nicht gleichbedeutend damit, keine Chance zu haben. Im Falle von KAJ, deren Sieg für einige fast schon ausgemacht zu sein scheint, sogar ganz im Gegenteil. Bescheren sie den ohnehin ESC-erfolgsverwöhnten Schweden tatsächlich den nächsten Triumph?
Auch die von uns bereits als Paradiesvogel gewürdigte Miriana Conte aus Malta sollte man womöglich auf dem Zettel haben. Und das nicht nur, weil sie mit der Debatte um ihren ursprünglich mehrdeutigen Songtitel bereits viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat - inzwischen ist aus "Kant" (lautmalerisch auch als das vulgäre englische "Cunt" zu verstehen) ohnehin das anscheinend weniger verfängliche "Serving" geworden. Conte trifft mit ihrem Rap-Pop-Song im Beyoncé-Gedächtnis-Gewand vielmehr auch den Zeitgeist - und könnte dafür in Basel belohnt werden. Sie hat ihren ersten Auftritt im zweiten Halbfinale am Donnerstag.
Israel: Yuval Raphael - "New Day Will Rise"
Auch die in diesem Jahr für Israel antretende Sängerin Yuval Raphael betritt erst im zweiten Halbfinale die ganz große ESC-Bühne. Sie ist mit mehr als nur einer Bürde nach Basel angereist. Eden Golan, ihre Vorgängerin beim Skandal-ESC 2024 in Malmö, wurde vor dem Hintergrund des israelischen Vorgehens in Gaza nicht nur extrem angefeindet. Sie konnte letztlich nur unter extremen Sicherheitsvorkehrungen überhaupt an dem Wettbewerb teilnehmen.
Yuval Raphael wurde zudem zunächst nicht als Sängerin bekannt: Sie ist eine Überlebende des Hamas-Terrors auf dem Supernova-Musikfestival am 7. Oktober 2023. Über das traumatische Erlebnis, bei dem sie selbst dem Tod nur entkam, weil sie sich unter Leichen versteckte, hat die 24-Jährige schon mehrfach öffentlich gesprochen, unter anderem vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Dennoch wurde auch sie in Basel bereits Opfer antisemitischer Drohungen. Als sie bei der ESC-Eröffnung auf dem türkisfarbenen Teppich posierte, zeigte ein propalästinensischer Demonstrant eine Kopf-ab-Geste in ihre Richtung.
Zur Musik hat Raphael erst vor Kurzem gefunden - und prompt den israelischen Vorentscheid für den diesjährigen ESC gewonnen. Dass es für sie in Basel ganz weit nach vorn gehen könnte, hat jedoch zuvorderst nichts mit der Tragödie zu tun, die ihr widerfahren ist, sondern mit ihrem Song. Die Power-Ballade "New Day Will Rise" hat durchaus das Zeug, das ESC-Publikum in all seiner Breite zu überzeugen. Bereits im vergangenen Jahr setzten die Zuschauerinnen und Zuschauer ein Zeichen gegen das Eden-Golan-Bashing und gaben der israelischen Sängerin die zweitmeisten Punkte. Im Falle von Yuval Raphael und "New Day Will Rise" könnte es ganz ähnlich laufen.
Frankreich: Louane - "Maman"
Gibt es ein Jahr, in dem Frankreich nicht zu den Favoriten gezählt wird, am Ende dann aber doch wieder nicht ganz vorn landet? Vielleicht läuft es diesmal ja anders. Dafür könnte sprechen, dass mit Louane eine Sängerin an den Start geht, die musikalisch schon einiges auf dem Kerbholz hat.
In ihrem Heimatland ist die 28-Jährige bereits seit über zehn Jahren ein Star. Doch auch in Deutschland gelang ihr 2014 mit "Avenir" ein Top-Ten-Hit. Bürgerlich heißt Louane eigentlich Anne Edwige Maria Peichert - denn auch wenn sie Französin ist, hat sie ebenso deutsche, polnische, portugiesische und brasilianische Wurzeln. Eurovision aus Fleisch und Blut sozusagen (plus noch ein bisschen Südamerika).
Das offizielle ESC-Video von Louanes Song zeigt den Auftritt der Sängerin während der Halbzeitpause beim Six-Nations-Rugby-Spiel zwischen Frankreich und Schottland im Stade de France von Saint-Denis im März. Der dürfte an Bombast sogar ihren ESC-Auftritt überbieten. Aber Pomp hat sie mit ihrer durchdringenden Stimme eigentlich auch gar nicht nötig. Wenn der Funke bei ihrer Power-Ballade "Maman" in Basel überspringen sollte, ist Louane wohl wirklich alles zuzutrauen.
Österreich: JJ - "Wasted Love"
Eigentlich heißt er Johannes Pietsch. Doch Schulfreunde haben ihm einst nicht etwa Jo, Pietschi oder JP nachgerufen, sondern ihm den Spitznamen JJ verpasst. Unter dem tritt der 24-Jährige nun auch als Musiker in Erscheinung. Als Kontertenor überschreitet er dabei die Grenzen zwischen Klassik und Popmusik.
In Wien geboren, hat auch Pietsch einen Multikulti-Hintergrund. Seine Mutter stammt von den Philippinen, aufgewachsen ist er eine Zeit lang in Dubai. In Großbritannien nahm er an der Castingshow "The Voice" teil, in Österreich erreichte er im TV-Format "Starmania" die erste Finalshow.
Auch bei seinem ESC-Song "Wasted Love" wandelt JJ musikalisch zwischen den Welten. Nicht nur stimmlich dürfte er den meisten Mitbewerberinnen und Mitbewerbern einiges voraushaben. Seine Drei-Minuten-Operette sticht auch definitiv zwischen den vielen Standard-Popsongs, der Folklore und dem Bum-Bum heraus. JJ kämpft im zweiten Halbfinale um den ESC-Finaleinzug. Doch wenn er den nicht mindestens schafft, fressen wir einen Käsekrainer. Vielleicht sogar zwei. Österreichs Beitrag gehört zweifelsohne zu den Topfavoriten beim diesjährigen ESC.
Deutschland: Abor & Tynna - "Baller"
Das Geschütz, das Österreich in diesem Jahr mit JJs "Wasted Love" beim ESC auffährt, verleiht dem Einsatz von Abor & Tylla mit "Baller" für Deutschland natürlich noch einmal eine gewisse Brisanz. Schließlich stammt das Geschwister-Duo ebenfalls aus der Alpenrepublik. Sollte Deutschland mit österreichischer Unterstützung in Basel tatsächlich schlechter abschneiden als die Nachbarn, kann man sich einige hämische Schlagzeilen schon ausmalen.
Aber Moment! Erstens ist "Baller" besser, als von manchen behauptet. Zweitens lässt sich auch für Abor & Tynna eine Statistik finden, die sie in einen Favoritenrang erheben könnte - eben eine jüngst veröffentlichte Analyse der Google-Suchanfragen. Und drittens sollte Stefan Raab, der den ESC in diesem Jahr zur "Chefsache" erklärt hat und als Mentor von Abor & Tynna fungiert, noch immer nicht unterschätzt werden.
Wer ballert sich also im ESC-Finale wirklich zum Sieg? Absolute Gewissheit werden wir erst am Samstagabend haben.
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