In Rostock geht es um die großen Fragen: Liegt die Lust am Töten in unseren Genen? Wie die Väter, so die Söhne und Töchter? Werden wir "Böse geboren"? Der fünfte gemeinsame Fall von Böwe und König bietet brutal gute Krimi-Unterhaltung.
Was passiert?
Nackte Wut ergreift die Tierschutz-Aktivistinnen Sarah (Raika Nicolai) und Nele (Lorella Lubsch), als sie auf einer verschneiten Waldlichtung ein totes Reh entdecken. Es ist Schonzeit, wer hat hier wohl sinnlos gemetzelt? Kurz darauf fallen Schüsse, diesmal sind die jungen Frauen im Fadenkreuz des Schützen. Sarah wird tödlich getroffen, auch auf Nele hat es der Täter abgesehen.
Die Kommissarinnen Melly Böwe (Lina Beckmann) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau) nehmen samt ihrem Team die Ermittlungen auf, schnell führen sie erste Spuren in eine kleine Jagdgemeinde, die nahe des Tatorts lebt. Tobias Cobalt (Nicki von Tempelhoff) mit Familie, darunter auch sein Bruder Hannes (Thilo Prothmann), der seit einem Sabotage-Akt der Tierschützer im Rollstuhl sitzt. Ein Motiv? Auch Eva Greuner (Jördis Triebel) und ihr Sohn Milan (Eloi Christ) wohnen hier und betreiben eine kleine Fisch-Räucherei. Milan liebt Waffen, sein Zimmer ist mit düsteren Zeichnungen tapeziert. Hat er etwas mit dem Mord zu tun? Der Fall selbst ist bereits rätselhaft, umso schwieriger wird die Arbeit daran durch all die persönlichen Baustellen. Zwischen Böwe und König knirscht es unablässig, zudem hat Böwe Besuch von ihrer Tochter Rose (Emilie Neumeister) bekommen, die bohrende Fragen stellt. Auch Pöschel (Andreas Guenther) und Thiesler (Josef Heynert) liegen sich unablässig in den Haaren.
Worum geht's wirklich?
Für alle, die beim Begriff "Tierschutzaktivistinnen" mit den Augen rollen: Nein, dies ist kein didaktischer Krimi, der den Zeigefinger erhebt, die bösen Jäger in die Pfanne haut und Tierschützer zu Opfern stilisiert. Die beiden Antagonisten mögen zum Setting, zur Konstellation gehören, im Kern dreht es sich jedoch etwas ganz anderes, nämlich um die Frage, die der Titel bereits mehr als nur andeutet: Böse geboren, ist das wirklich so? Wenn der Vater ein brutaler Serienmörder ist, wird der Sohn auch irgendwann zur Waffe greifen und töten? Kann die Tochter vor ihrem vermeintlichen Schicksal bewahrt werden, indem man ihr den Namen und die Geschichte des Vaters verschweigt? Und warum ist die Verrohung der Gesellschaft mittlerweile so weit vorangeschritten? Die Autorinnen Elke Schuch und Catharina Junk stellen diese Fragen, bieten einiges an möglichen Gedankenspielen, ohne Partei zu ergreifen oder zwanghaft auserzählen zu wollen - und halten gleichzeitig das Spannungslevel durchgängig hoch.
Wegzapp-Moment?
Nicht vorhanden, was beim Rostocker "Polizeiruf 110" keine wirkliche Überraschung ist. Man müsste vielmehr nach dem Hinzapp-Moment fragen, und dabei sind wir direkt beim ...
... Wow-Faktor!
Und der ist von der ersten Minute an ausgesprochen hoch. Das Setting am Waldrand durchzieht eine spukhafte Atmosphäre. Die Häuser der Familien Cobalt und Greuner wirken auf den ersten Blick normal, strahlen gleichzeitig eine ungute, ja, mysteriöse Stimmung aus. Der Cast spielt unter Alexander Dierbachs Regie mit hoher Intensität, dazu fasziniert Ian Blumers' Bildgestaltung mit einem Mix aus postmodernem Folk-Horror und Anklängen an "True Detective". Was Böwe und König angeht, ist man jetzt schon gespannt darauf, ob und wie sich die psychologischen Knoten der beiden wohl entwirren lassen. Bei Böwes Halbbruder, Sascha Bukow, hat es ja auch irgendwann geklappt, also ... halbwegs.
Wie war's?
10 von 10 Punkten - erstklassiger Stoff, konsequent auserzählt.
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