Fünf Frauen hat er bereits getötet. Nun könnte Anna das sechste Opfer des Serienkillers werden. Der Mörder "markiert" die Getöteten mit einer Nadel in einem Auge. Das erinnert Anna an ein Spiel aus ihrer Kindheit. Der Spielkamerad: ihr kleiner Bruder Henry.

"Versprochen ist versprochen", fragt Henry mit zittriger Stimme. "Und wird auch nicht gebrochen", schwört Anna als Antwort. "Sonst wird die Nadel in dein Aug' gestochen", ergänzt Henry todernst. "Dann wird die Nadel in mein Aug' gestochen", beteuert Anna. "Es gibt nur dich und mich!" Es ist ein Schwur unter Kindern, Geschwistern. Anna ist zehn Jahre alt und die ältere Schwester von Henry. Beide eint ein Schicksal: Ihr Vater ist unbekannt, ihre Mutter Alkoholikerin und ihr derzeitiger Freund hängt ebenfalls an der Flasche und misshandelt die beiden Kinder. Anna und Henry landen im Kinderheim.

Fast 20 Jahre später hat sich Anna ein neues Leben aufgebaut. Sie ist glücklich verheiratet, lebt in einer kleinen Ortschaft am Meer und ist Lehrerin an einer Privatschule. Wo ihr Bruder ist, weiß sie nicht. Ihre Wege haben sich schon vor langer Zeit getrennt. Doch wie das Leben so spielt, holt Anna ihre Vergangenheit eines Tages eiskalt ein: Detective Inspector Walker sucht nach einem Serienkiller, der in den vergangenen Jahren fünf Frauen ermordet hat. Unter Verdacht steht Annas kleiner Bruder Henry. Die nächste Tat soll zudem kurz bevorstehen: an Annas Geburtstag.

Eiskalt erwischt

Der Schock sitzt tief. Und für Anna stellen sich zwei Fragen: Ist ihr Bruder, ist Henry wirklich der gesuchte Serienkiller? Und: Ist sie selbst das nächste, das sechste Opfer? Es scheint einiges dafür zu sprechen, dass Henry es auf sie abgesehen hat. Es tauchen Zettel mit Rätseln auf. Sie ähneln "der Jagd", einem gemeinsamen Spiel der beiden Geschwister aus Kindertagen, eine Art Schnitzeljagd. Anna hatte es einst erfunden, um Henry von der grauenhaften Realität abzulenken. Doch irgendwann ist das Spiel aus dem Ruder gelaufen - und Anna will einfach nur noch vergessen.

Sie ist auf dem Weg zur Arbeit, völlig in Gedanken, als sie auf einem Zebrastreifen bei ihrer Schule fast ein Mädchen überfährt. Außer sich vor Wut und Angst springt sie aus dem Auto, greift das Kind an den Schultern, will es schütteln. Doch sie tut es nicht, kommt zu sich, schaut sich um: Mehrere Menschen blicken sie mit weit geöffneten Mündern und von Schrecken geweiteten Augen an. Die Sache geht viral und Anna wird beurlaubt.

Dann tauchen Fotos auf, die Annas Ehemann küssend mit einer anderen Frau zeigen. Es ist der nächste Schlag und Anna weiß nun, dass jemand ihr das Leben zur Hölle macht, es zerstören will. Sie muss dagegenhalten, kämpfen. Mit all ihrer Kraft. Wie schon einmal damals im Kinderheim: versprochen ist versprochen.

Die Familie des Serienkillers

Und wird auch nicht gebrochen! So viel ist sicher, wenn man "Die Schwester des Serienkillers" von Alice Hunter, erschienen bei Bastei Lübbe, liest. Es ist das mittlerweile dritte Buch der englischen Autorin aus ihrer "Die Familie des Serienkillers"-Reihe. Und wie schon bei "Die Frau des Serienkillers" und "Die Tochter des Serienkillers" ist es wieder eine Frau, die im Mittelpunkt des Plots steht und als Heldin fungiert. Dabei weist die Figur der Anna Ecken und Kanten auf, was nicht verwundert, wenn man aus einer kaputten Familie in ein Kinderheim gesteckt wird. Ein Kinderheim zudem, in dem statt Geborgenheit und Liebe Gewalt und eiskalte Abneigung das (Über)leben bestimmten.

Die Sympathien der Leser hat Anna damit erst einmal sicher. Aber der erste Blick kann natürlich täuschen. Henry als mutmaßlicher Serienkiller? Bei seiner Kindheit erscheint das absolut einleuchtend. Aber wer die beiden Vorgängerbücher gelesen hat, weiß, dass der Schein trügen kann, dass Hunter den ein oder anderen, auch späten, Twist parat hält, der noch einmal alles durcheinanderwirbeln kann. Das hält die Spannung hoch, zumal jedes Buch eine abgeschlossene Geschichte ist. Man kann die Hunter-Reihe mit "Die Schwester des Serienkillers" starten oder aber mit "Die Tochter des Serienkillers" und natürlich auch mit "Die Frau des Serienkillers".

Was alle drei Teile der Reihe verbindet, ist der jeweilige Einblick in das Seelenleben der titelgebenden Personen. Stell dir einfach mal vor: Du bist mit einem Serienkiller verheiratet, weißt von dessen mörderischen Treiben aber rein gar nichts. Erschreckend? Aber hallo! Das gilt auch dann, wenn man die Schwester oder die Tochter eines Serienmörders sein sollte. Zugegeben, kein schöner Gedanke. Erst recht nicht, wenn der Killer die Opfer mit einer ins Auge gestochenen Nadel "markiert" - und man als Kinder sich ewige Treue, Hilfe und Schutz versprochen hat. Und man weiß, man hat den Schwur gebrochen.

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