„Im Garten sitzen und auf den Sensenmann warten ist keine Option“, hatte Helmut Thoma in einem Gespräch mit der WELT AM SONNTAG gesagt, das war 2010 und der Österreicher 71 Jahre alt. Bei Thoma, der das deutsche Privatfernsehen als Chef von RTL geprägt hat wie kein anderer Medienmanager, war das kein dahin gesagter Spruch, sondern Überzeugung. Er wollte in Bewegung und im Gespräch bleiben.
Auch lange nach seinem Ausstieg als RTL-Geschäftsführer wurde der gebürtige Wiener weiter fleißig von Journalisten befragt, wenn es mal wieder um die Frage ging, was denn „beim RTL“ los sei, ob das noch so funktioniere mit dem Privatfernsehen und welche Entscheidungen er, Thomas, treffen würde. Was denn die Lösung für „Wetten, dass…?“ sein könne, wurde er beispielsweise 2011 vom „Rolling Stone“ gefragt. Einstellen, antwortete Thoma. Und wenn das keine Option wäre? Den Stefan Raab als Nachfolger nehmen. Aber der werde das doch nicht machen, kam der Einwand. „Für Geld machen alle alles“, antwortete Thoma. Aber im Grunde sei „Wetten, dass…?“ halt am Ende.
Warum Thoma, der nach einer Molkereilehre sein Abitur am Abendgymnasium nachgeholt hatte und später in Jura promovierte, so gefragt war, hatte mehrere Gründe. Sein Urteil war stets klar und hart, das verschaffte Respekt nach innen und außen. Und er hatte in seiner Zeit bei RTL Entscheidungen getroffen, die den Sender von einem Erfolg zum anderen führten. Sein Geschick als Manager und als Programmmacher garnierte er mit Devisen wie „Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“. Das klang so einfach wie genial, machte ihn nahbar und überlegen zugleich.
Eindeutig begründete Urteile
Der Schauspieler Sigmar Solbach erzählte vor einer Weile in einem Interview: „Ich habe zum Beispiel beim Fernseharzt Stefan Frank den von RTL-Chef Helmut Thoma erfundenen Zusatz im Titel ‚Der Arzt, dem die Frauen vertrauen‘ abgelehnt, fand ich anfangs dämlich. Ich wollte kein Sexsymbol sein. Erst später habe ich kapiert, dass genau das total ankam.“ Kapieren, was ankommt – das war Thomas Gabe. Nicht immer lag er freilich richtig, so sagte er 2019 voraus, Netflix werde scheitern. Anders als Experten, die das „Einerseits – Andererseits“ bevorzugen, stand Thoma aber immer für eindeutig begründete Urteile.
Bis heute lassen sich einige Spuren dieser Gabe im Programm von RTL entdecken. Da ist die Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ an erster Stelle zu nennen, seit 1992 läuft sie. Da ist das Boulevardmagazin „Explosiv“; das Talkformat „Der heiße Stuhl“, das zunächst auch unter „Explosiv“ lief, wurde zwar 1994 eingestellt, ist aber bis heute ein Begriff. Sendergesichter wie Hans Meiser und Harry Wijnvoord sorgten nach dem Senderstart 1994 für Quote und Unverwechselbarkeit. In der Erinnerung sind sie bis heute mit dem Sender verknüpft.
Für Thoma war es kein Widerspruch, Trash-Unterhaltung wie die Erotikshow „Tutti Frutti“ ins Programm zu nehmen, über das die Republik sprach, empört und neugierig zugleich – und gleichzeitig Informationssendungen wie „RTL Aktuell“ mit Peter Kloeppel zu stärken. Zum Erfolg von RTL gehörten auch die Sportübertragungen, lange Zeit die Formel 1 – jetzt wieder in Kooperation mit dem Bezahlsender Sky im Programm – und zeitweilig die Fußball-Bundesliga.
„Controller auf jedem Baum“
Ende der 90er-Jahre wechselte Thoma vorzeitig in den Beirat von RTL und wurde später Berater im Kosmos des Bertelsmann-Konzerns, dem RTL mehrheitlich gehört. Dort schätzte (und schätzt) man die hohen Renditen des Privatsenders, gleichwohl man sich am Stammsitz in Gütersloh vermutlich immer mal wieder über die Programmauswahl ärgerte wie auch über Thomas Einlassungen, bei Bertelsmann säßen „Controller auf jedem Baum“.
Doch Manager wie einen Helmut Thoma, wirtschaftlich extrem erfolgreich und gleichzeitig kreativ, muss man in Konzernen aushalten können. Thoma selbst war noch Jahre nach seinem Ausscheiden bei RTL erbost über das „Ausmaß an Undankbarkeit“. Deutschen fehle es an Kreativität und der Bereitschaft zur Innovation – und am Kurs von RTL, das unter seinen Nachfolgern meist auf Bewährtes setzte, machte Thoma seine Bewertung fest.
1999 wurde er für drei Jahre Medienberater des damaligen NRW-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement (SPD), daran anschließend trat er in den Aufsichtsrat von Mobilcom ein, was ein Wirtschaftskrimi für sich war und in einen Aufsichtsratsposten bei dem Nachfolgeunternehmen Freenet mündete, den er bis 2022 hatte. Zum „Handelsblatt“ sagte Thoma bei seinem Abtritt eher resigniert: „Ich wollte noch einmal etwas so groß aufbauen wie früher im Privatfernsehen RTL. Das war mir damals nicht wegen, sondern trotz des Großgesellschafters Bertelsmann gelungen. Aber das war bei Freenet verlorene Liebesmüh. Jetzt höre ich auf. Ich bin alt genug.“
Dazwischen lagen noch etliche Projekte, darunter eine Sendergruppe namens „Volks-TV“, die deutsch-chinesische Nachrichtensendung „Nihao Deutschland“ und diverse Beratungsmandate. Mit im Garten rumsitzen war also tatsächlich nichts. Bereits am 3. Mai, seinem 86. Geburtstag, starb Helmut Thoma in Wien. „Sollte es einen Himmel geben, kommen Sie rein?“, fragte WELT AM SONNTAG einst. Thoma antwortete: „Ich werde zumindest anklopfen.“
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