Widerstandsfähig wie ein Karpfen, der in trübem Wasser schwimmt – so müssen Künstler angesichts des verstärkten Aufkommens künstlicher Intelligenz (KI) sein. Diese Idee drückt der italienische Künstler Aldo Salucci in seiner neuen Fotoserie „Carpe Diem“ (2025) aus. Auf der zehnten Ausgabe der Photo London, einer Messe für Fotografie, die Mitte Mai im Londoner Somerset House stattfand, wurde sie von der Mailänder Galerie A.more erstmals vorgestellt.
Der Künstler selbst lehnt KI als Technologie nicht ab, sondern hat sie bereits in anderen Serien genutzt. In „On the Nature of Things“ stellte er eine Zukunft dar, in der die Natur vom Menschen besetzte Räume zurückerobert. Für „Wartende Körper“ vergrößerte er Mikroskop-Aufnahmen von Hautzellen, insbesondere von Narben, so stark, dass sie wie Landschaften aus makroskopischer Perspektive wirken. In seinen neuen Arbeiten, die auf der Messe für jeweils 7500 Pfund angeboten wurden, nutzt Salucci wieder KI. Er greift aber malerisch in die Bilder ein. Dabei ruft er Assoziationen an Claude Monets Seerosengemälde hervor und beschwört die Kunst als Mittel des Widerstands gegen die digitale Verflachung unserer Bildwelten.
Die Fragen heute lauten: Wird künstliche Intelligenz ein Werkzeug für Künstler werden, so selbstverständlich wie sie die Bildbearbeitungssoftware Photoshop verwenden? Oder wird KI die Künstler letztlich verdrängen? Giuseppe Lo Schiavo, ein anderer Künstler, der auf der Photo London präsentiert wurde, hat auch dank der generativen Technologie im vergangenen Jahr den Premio Cairo gewinnen können, eine bedeutende mit 25.000 Euro dotierten Auszeichnung für aufstrebende italienische Kunst.
Lo Schiavo reflektiert mit von KI erzeugten Fotografien den Dualismus zwischen Innen- und Außenwelt und wie das Ich auf kollektive Ängste reagiert. Der deutsche Künstler Boris Eldagsen hingegen ist KI-Kritiker. Vor einigen Jahren sorgte er für Aufsehen, als er die Sony World Photography Awards mit einem computergenerierten Bild gewann und den Preis dann ablehnte, weil die Jury das nicht bemerkt hatte.
„Der Begriff künstliche Intelligenz ist so weit gefasst, dass es schwer zu benennen ist, wie sie die Fotografie beeinflusst“, erklärt Sophie Parker, seit diesem Jahr Messedirektorin der Photo London. „Es gibt Fotografen im kommerziellen Bereich, denen KI große Sorge bereitet.“ Im Kunstmarkt fänden sich großartige Beispiele für die positive Nutzung, aber auch negative. „Viele Künstler nutzen sie, um Erinnerungen aus ihrer Kindheit oder Bilder aus der Zeit ihrer Großeltern neu zu erschaffen.“
Die Equinom Gallery in San Francisco habe etwa das Projekt der Künstlerin Brea Souders präsentiert, die eine lange Unterhaltung mit einem Chatbot führte und ein Werk schuf, das auf dieser Konversation basiert. „Solange ein Prozess hinter der Nutzung von KI steckt, kann man sie als Werkzeug betrachten“, sagt Parker. „Viele Fotografen, bei denen man es nie vermuten würde, nutzen sie zur Nachbearbeitung. Ein Problem entsteht, wenn man das nicht zugibt.“
Erinnerungen erschaffen mit KI
Können Sammler deshalb beruhigt sein? KI scheint zurzeit jedenfalls keinen direkten Einfluss auf den Handel und die Preise für Fotografie zu haben. Tatsächlich bleibt der Markt für Fotografie dynamisch, selbst in den aktuell schwierigen Zeiten, weil die Preise erschwinglich sind und die Bildsprache ein breites Publikum anspricht. Zwar hat auch Fotografie in jüngster Zeit unter der allgemeinen Verlangsamung im Markt gelitten, aber in geringerem Maße.
„Laut neuestem Kunsthandelsbericht von Art Basel und UBS wächst das untere Marktsegment“, sagt Sophie Parker, „sogar in Bezug auf die Anzahl der Verkäufe. Das ist gut für den Fotomarkt, weil die Kosten niedrig sind. Es ist viel einfacher, ein Fotografie-Sammler zu werden als ein Sammler zeitgenössischer Kunst.“
Die Preise auf der Photo London bewegen sich meist unter 10.000 Pfund. Die Verkaufsausstellung geht auch weitaus transparenter damit um als eine klassische Messe für zeitgenössische Kunst, wo Preise oft nicht ausgewiesen werden. „Die Galerien hier verstehen, dass Fotosammler nicht nur diejenigen sind, die besonders bedeutende Stücke suchen“, erklärt Messegründer Michael Benson. „Es gibt verschiedene Phasen in der Reise eines Sammlers, also gibt es auf der Messe auch Werke für jedes Budget, sogar für 1000 oder 2000 Pfund.“
Die Wertsteigerung fällt bei Fotografie insgesamt geringer aus, weil die Preise stabiler sind, aber es gibt auch weniger Risiko für Abstürze. „Die wichtigsten Namen werden als Investition mit Wertsteigerungspotenzial gesehen“, so Sophie Parker, aber Möglichkeiten gäbe es in allen Preisbereichen.
Rückkehr zur Tradition
In den vergangenen Jahren hat die Museumspräsenz des Mediums stark zugenommen, man denke an Fotoausstellungen von etwa Nan Goldin in der Neuen Nationalgalerie Berlin, Zanele Muholi in der Londoner Tate Modern oder Wolfgang Tillmans im MoMA in New York. Die bedeutendsten Fotografen werden mittlerweile von Megagalerien gehandelt. Cindy Sherman etwa ist im Programm von Hauser & Wirth, Hiroshi Sugimoto wird von Lisson vertreten. Fotografie ist somit fester Teil der Welt der zeitgenössischen Kunst – das ist grundlegend für ihre Aufwertung.
Auch das Wachstum der Photo London spiegelt die Erweiterung des Fotomarkts wider. Anfangs lag die Zahl der Teilnehmer bei etwa 70, jetzt ist sie fast doppelt so hoch. London galt im Vergleich zu historisch bedeutenderen Fotozentren wie Paris als Nische. „Das Publikum schaute auf bekannte Namen oder die Klassiker“, so Michael Benson, „aber wir haben viel in die Ausbildung neuer Sammler investiert, um ein Wissen über den Markt zu schaffen.“
Auch Covid hat die Dinge verändert. „Während der Pandemie und unmittelbar danach funktionierten besonders klare und sehr farbenfrohe Fotografien, die sich gut auf dem Bildschirm abbilden lassen“, bemerkt Sophie Parker. „Jetzt sind wir zu einer traditionelleren Haltung übergegangen.“ Das gelte auch für aufstrebende Künstler, die sich wieder herkömmlicher Techniken bedienen.
„Es gibt eine Rückkehr zu einer Fotokunst, bei der man das Gefühl hat, ein Objekt zu kaufen, nicht nur ein Bild.“ Die Menschen wollten nicht nur ihr Haus dekorieren, so Parker. „Sie denken zunehmend darüber nach, was es bedeutet, zu sammeln und zu bewahren“. Eine Haltung, die auch gegen die Vereinnahmung der Fotografie durch künstliche Intelligenz imprägniert.
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