Er war der Konkurrent, der niemals schlief. Der uns so oft einen Schritt voraus war. Er war der Pionier und kreative Taktgeber des Privatfernsehens in Deutschland. Nie um einen guten Spruch verlegen. „Wir müssen anders sein“, sagte er mir. „Im Zweifel auch erschreckend anders“.

Helmut Thoma war Mister RTL. Ohne ihn gäbe es RTL nicht. Sicherlich andere Privatsender. Aber nicht dieses RTL. Dieses RTL war seine Idee, als Privatfernsehen in Deutschland noch gar nicht erlaubt war. Er war Anfang der Achtzigerjahre Direktor des privaten Radiosenders Radio Luxemburg, der weit ins deutsche Bundesgebiet einstrahlte und beim Publikum ausgesprochen beliebt war. Das war eine Grenzüberschreitung im doppelten Sinne. Denn in Deutschland regierte das Monopol von ARD und ZDF. Privates Radio und erst recht privates Fernsehen waren verboten. Ein Verbot, das insbesondere von SPD und Linken vehement verteidigt wurde. Der Sozialismus mag es generell nicht, wenn den Bürgern zu viel Eigenverantwortung übertragen wird, schon gar nicht bei Medien und Unterhaltung. Da müsse der Staat schon mal vorsorglich eingreifen und regulieren, um Schlimmeres zu verhüten. „Wir amüsieren uns zu Tode“, das war der Schlachtruf der linken Intelligenzija gegen die Einführung des Privatfernsehens.

Das wiederum amüsierte Helmut Thoma. Wenn Radio Luxemburg mit seiner Unterhaltung schon so gut funktioniert, warum es nicht auch mit Fernsehen probieren? So entstand der Plan, neben dem Radio Luxemburg auch eine Television zu gründen, also die Radio-Television Luxemburg, kurz: RTL. Damit es in Deutschland auch alle merkten, nannte er es RTL plus.

Im Seichten kann man nicht ertrinken

Als RTL plus am 2. Januar 1984 auf Sendung ging, hatte es den typischen Charakter einer Garagenfirma. Zwei Dutzend Leute, viel Chaos und Improvisation, noch mehr Kreativität. Und mittendrin der unerschrockene Helmut Thoma.

Allerdings hatte er einen ebenso fantasievollen Gegenspieler: Leo Kirch. Der war Hauptgesellschafter von Sat.1 und besaß mit großem Abstand die meisten Lizenzrechte für Spielfilme und TV-Serien. Also war Thoma schon früh gezwungen, auf Eigenproduktionen zu setzen. Diese ständige Herausforderung an die eigene Kreativität, den Mut zu Experiment und Innovation hat Thoma unverkennbar in die DNA von RTL eingeimpft. RTL war unter der Führung von Helmut Thoma der kreativste, mutigste, unkonventionellste und ja: der erfolgreichste Fernsehsender Deutschlands, jahrein-jahraus Marktführer, die klare Nummer Eins. Aus dem kleinen Radio Luxemburg hat Thoma in 15 Jahren die größte deutsche Medienmarke geformt, eine einzigartige Wachstumsstory.

Thoma war der große Ermöglicher und Ideengeber von Programmen, die Zuschauer, Journalisten, Konkurrenten und, jawohl, auch die medienpolitischen Aufpasser in den Landesmedienanstalten ständig auf Trab hielten. „Tutti Frutti“, „Hans Meiser“, „Der Preis ist heiß“, die Late-Night-Show mit Thomas Gottschalk, Formel 1 mit Niki Lauda, die Fußball-Bundesliga mit „Anpfiff“, Millionen-Quoten live mit Boris Becker und Steffi Graf, Boxen mit Henry Maske als nationales TV-Ereignis am Samstagabend. Dazu „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und „Unter Uns“ als Dauer-Hits und die RTL-Nachrichten um 18.45 Uhr als beliebteste Nachrichtensendung gerade beim jüngeren Publikum.

Für Helmut Thoma zählte der Erfolg beim Massenpublikum. Die elitäre Kulturkritik der Feuilletons ließ ihn kalt. Dass die RTL-Unterhaltung zuweilen eher seicht daherkomme und die einfachen Instinkte der Masse bediene, das war für ihn kein Vorwurf, sondern ein Kompliment. „Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“, war seine gängige Antwort. Und: „Im Seichten kann man nicht ertrinken.“

Helmut Thoma hat immer auf Sieg gespielt. Mit hartem Ellenbogen und, wenn er es für notwendig hielt, mit gekonnter Destruktivität, immer begleitet von einer guten Portion Wiener Schmäh. Das bekamen seine Konkurrenten zu spüren, manchmal auch seine engsten Mitarbeiter. Als ProSieben-Chef habe ich so manchen Strauß mit ihm ausgefochten. Häufig auf den Bühnen der Medienkonferenzen, zur Freude des Publikums, manchmal vor Gericht. Meinen jungen Teleshopping-Sender HOT wollte er verbieten lassen, weil es noch keine endgültige Regelung dafür gab. Nur ganz knapp, dank des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, konnte ich einer Schlappe mit Millionenschaden entgehen.

Gemeinsam gegen Wettbewerbsverzerrung

Für seinen Hauptgesellschafter, die Bertelsmann AG, hat Thoma mit der RTL Group ein Milliarden-Imperium aufgebaut. Im Nachhinein ärgerte er sich manchmal, wir haben mehrmals darüber gesprochen, dass er nicht früh genug Gesellschaftsanteile an RTL als unternehmerische Erfolgsbeteiligung eingefordert hatte. In der Beziehung zwischen ihm und den Gesellschaftern aus Gütersloh flogen immer wieder die Funken. „In Gütersloh sitzt auf jedem Baum ein Controller“, ätzte er. Zu unterschiedlich waren auch die Mentalitäten: hier der eigensinnige Wiener Kreativ-Revolutionär, dem keine Pointe frech genug war, und dort die bedächtigen Westfalen, die ständig nach Businessplänen und Reportings fragten.

Helmut Thoma hat durch seinen Innovationsdruck nicht nur RTL permanent verbessert, sondern indirekt auch Sat.1 und ProSieben. Wir waren als Konkurrenten täglich gefordert, mit dem Marktführer Schritt zu halten. Der Wettbewerb um die besseren Einschaltquoten kennt keine Pause. Die Maßstäbe in diesem adrenalinhaltigen Rennen wurden von RTL und Helmut Thoma gesetzt. Bedauerlicherweise haben sich auch ARD und ZDF daran orientiert und sich immer weiter kommerzialisiert. Mit den risikofreien Milliarden aus den Zwangsgebühren konnten sie aufholen, Talente und attraktive Sportrechte abwerben. Eine evidente Wettbewerbsverzerrung, die Helmut Thoma und ich gleichermaßen kritisiert haben. Unser größtes Versäumnis war, so sagte er bei unserem letzten Treffen, dass wir der Expansion der Öffentlich-Rechtlichen nicht genügend Einhalt geboten haben. In den Neunzigerjahren hätten wir den Schwung dafür gehabt, jetzt sei es zu spät.

Nun hat Helmut Thoma die Bühne des Lebens verlassen. Wir halten inne und verneigen uns. Möge er in Frieden ruhen. Servus und Chapeau.

Georg Kofler, geboren 1957 in Südtirol, war von 1988 bis 2000 erst Geschäftsführer, dann Vorstandsvorsitzender des privaten Fernsehsenders ProSieben. Von 2002 bis 2007 war Kofler Vorstandsvorsitzender von Premiere.

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