Es ist, wenn man an diesem hellen Frühsommertag das Baden-Badener Museum Burda betritt, als sei man in eine Kapelle geraten, und hinter einem schlössen sich schwere Türen und hüteten das kostbare Dunkel. An den Wänden schwere Bilder, die wie heruntergebrannte Feuerstellen glimmen. Nie gesehen. Vielleicht mal bei einem Besuch in einem New Yorker Museum. In Europa kaum bekannt. Es gab ein Frankfurter Gastspiel, aber das liegt ein Vierteljahrhundert zurück.
Richard Pousette-Dart? Als der Maler 1992 starb, war eine seltsame Künstlerkarriere erloschen. Nicht dass es ihm ein erfülltes Leben lang an Aufmerksamkeit, an Anerkennung gemangelt hätte. Stolz präsentiert er Anfang der 1950er-Jahre seine Bilder vor der Atelierhütte in Sloatsburg im amerikanischen Bundesstaat New York. Gelassen sitzt er 1980 im Schaukelstuhl im Haus im nahen Suffern. Zufrieden kann er auf ein Werk zurückblicken, das im Kollegenkreis der New Yorker Abstrakten Expressionisten begann, das rasch seine eigenen Wege ging und dabei immer im Schatten jener triumphalen Auftritte blieb, bei denen die Freunde Jackson Pollock, Barnett Newman oder Mark Rothko ihre malerischen Idiome zur Weltsprache der Zeitkunst stilisierten und damit das europäische Kunstdiktat ablösten.
Als der französische Kunsthistoriker Serge Guilbaut Anfang der 1980er-Jahre seine einflussreiche Streitschrift „Wie New York die Idee der modernen Kunst gestohlen hat“ publizierte, listete er unter den „Dieben“ auch wenig bekannte wie Philip Evergood, Carl Holty oder Byron Browne auf. Richard Pousette-Dart war nicht dabei. Was hat er falsch gemacht?
Sandbilder? Teppichentwürfe?
Möglich ist inzwischen nur noch ein musealer Blick auf diese fernen Bilder. Wie sie in den Nachkriegsjahrzehnten wirkten, lässt sich allenfalls ahnen. Jetzt muss man inszenieren, die Wände abdunkeln, um das Farbglimmen am Leben zu halten. Es sind Bildgegenstände von strenger, auch abweisender Würde geworden. Schnecken, Voluten, Kreise, Dreiecke, Idole, ornamentale Leisten – lauter geometrische Elemente, die zwischen Ding und Emblem oszillieren – besetzen die Bilder, bilden gleichsam das Gehäuse für die Farbe, die krustig wie mit Sand gemischt auf den Leinwänden wuchert.
Zuweilen denkt man an Kirchenfenster, dann wieder könnten es Entwürfe für schwere Teppiche sein. Dabei hat der Maler sein Formenarsenal („Brasses“) auch in Messing geschnitten. Eine Art Mustersammlung, die das vorherrschend klassische Bildverständnis von Figur und Raum eindrucksvoll belegt. Selbst auf den monochromer wirkenden späten Bildern, auf denen die getüpfelte Farbe sich wie ausgestreuter Sand verbreitet, übernehmen kreisende Lichtzentren die Regie im Farbuniversum. Unübersehbar, wie Richard Pousette-Dart die schwärmende, zerfließende All-Over-Struktur meidet, mit der Jackson Pollock seine wilden Mal-Sessions versinnlicht hat.
Auch fehlt seinen Bildern die spirituelle Grandiosität, jener transzendentale Überschwang, mit dem Malerei in den Rang einer Letztbegründung aufsteigen sollte. Ganz frei von bedeutungsschweren Ansprüchen ist das Werk keineswegs: „Kreuzigung. Begreifen des Atoms“, „Spirit Adagio“, „Zerlegung der Einheit“, „Illumination gotisch“, „Feier der Geburt“, „Verloren am Anfang der Unendlichkeit“. Die Titel klingen wie geheime Botschaften, die sich nie vollends in visuelle Umgangssprache übersetzen lassen.
Diese Titel verdunkeln vor allem, aus welchen Gründen die Bildfindungen entstanden sind und die Geschichte der Bilder mit Poesie umspielen. „Meine Bilder wachsen gemeinsam“, hat der Maler seinen Studenten erzählt, „wie in einem Garten, aber sie wachsen in viele verschiedene Richtungen und auf unterschiedliche Weise. Alte Gemälde überarbeite ich immer und immer wieder, unter manchen liegen inzwischen zwanzig oder dreißig Bilder.“
Dabei scheint dieses Werk tunlichst Abstand zu halten zu den priesterlichen Gebärden, mit denen die Alpha-Maler der New York School ihr hingebungsbereites Publikum verzaubert haben. Anders als Mark Rothko, dessen schwebende Farbkissen zu Meditationsanlässen wurden, anders als Ad Reinhardt, dessen „Black Paintings“ als Vorschein des tiefschwarz Absoluten gefeiert wurden, blieb Richard Pousette-Dart im Diesseits seiner disziplinierten Farbetüden. Dass solches Diesseits inzwischen ein wenig historisch wirkt, sichtlich blasser geworden ist, auf eine Art auch erstarrt, gehört zum Schicksal einer Moderne, die sich nicht anders als in der Neuerfindung erfüllt.
Womöglich ist aber noch viel schicksalsbestimmender geworden, dass dem Künstler so ziemlich alles zum genialischen Einzelkämpfer gefehlt hat. Gebildetes Elternhaus, frühe künstlerische Ermunterung. Mit zwölf Jahren notiert er: „Ich möchte Künstler werden und auf eine Kunstschule gehen.“ Ein Lebensziel, das er ohne Umwege verfolgen wird und für das er keinerlei künstlertypische Verhaltensauffälligkeit braucht. Früh geschätzt und erfolgreich kann er sich ganz der Malerei und zuweilen auch der Fotografie und der Bildhauerei widmen und hält sich strikt von den imperialen Ansprüchen fern, die den weltweiten Siegeszug der abstrakten Expressionisten begleitet und ihn zur Heldenparole im kulturellen Kalten Krieg aufgewertet haben.
Nicht undenkbar, dass dieses Werk nicht zuletzt auch deshalb in Europa kaum wahrgenommen wurde, weil es nie vorn an der Front positioniert war. Weil es zu bedachtsam begründet und ausgerichtet ist und auch den Furor nicht kannte, mit dem ein elend versoffener Malergigant wie Jackson Pollock die Farbe aufs Bodenbild spritzte.
Das Übersinnliche ist kaum mehr zu spüren
So verbinden sich mit Richard Pousette-Darts Bildern, mit seinen bunten, seinen weißen, seinen schwarzen, keinerlei unterhaltsame Geschichten. Nichts, was es zu erzählen, gar zu verraten gäbe. Sie haben etwas Verschlossenes, bewahren ihr Geheimnis mit heute fast fremd anmutender Inbrunst. Ganz so, als lebte er nicht im Zentrum des angebrochenen Atomzeitalters, bekannte der Maler vor Studenten des theologischen Seminars in New York: „Mein Verständnis von Religion mündet in Kunst, und mein Verständnis von Kunst mündet in Religion. Nach meiner Überzeugung ist das eine ohne das andere nicht ernsthaft zu haben.“
Das könnten so auch die Gesinnungsfreunde aus dem Kreis der abstrakten Expressionisten gesagt haben. Nur wesentlich weniger bescheiden. Mit ihren überwältigenden Tableaus, so die Überzeugung, wäre alle religiöse Spekulation an ihr ästhetisches Ziel gelangt. Man könne sicherlich anders malen, aber tiefer als Rothko ließe sich Farbe nicht denken.
Es ist nicht zum Nachteil des Werks, wenn heute das Übersinnliche seiner Selbstauslegung kaum mehr zu verspüren ist, und auch die Sinnlichkeit einen weithin verkrusteten Eindruck macht. Und so wenig sich aus dem unspektakulären Leben des Richard Pousette-Dart ein Drehbuch nach dem Muster der populären Künstlernovelle des 19. Jahrhunderts gewinnen ließe, so wenig könnte man vor diesen ein wenig hochgeschlossen anmutenden Bildern eine zureichende Geschichte des abstrakten Expressionismus schreiben.
Es bleibt beim Blick auf eine malerische Position, die etwas schwermütig aus anderer Zeit herüberleuchtet. Und es ist nicht falsch, wenn man beim Gang durch die – von dem aus dem Potsdamer Museum Barberini nach Baden-Baden gewechselten Kurator Daniel Zamani – mustergültig inszenierte Werkschau still für sich resümiert: Ein bisschen mehr Suff hätte auch Richard Pousette-Dart ganz gutgetan.
„Poesie des Lichts. Richard Pousette-Dart“, bis 14. September 2025, Museum. Frieder Burda, Baden-Baden
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.