Es dauert knapp 20 Minuten mit dem Auto, bis man vom Flughafen Madrid in der Gemeinde Tres Cantos im Norden der spanischen Hauptstadt angelangt ist. Der Vorort ist eine der in den vergangenen Jahrzehnten aufgebauten Siedlungen mit Niederlassungen großer Firmen. Die zwar wenig Charakter verströmen, aber vor allem für Familien sehr attraktiv sind. Neue Wohnungen, eine exzellente, fast übertriebene Infrastruktur und bald auch eine gute Anbindung an den Nahverkehr.

In Tres Cantos entsteht seit einigen Jahren ein Medienunternehmen, das sich selbst als Speerspitze in Europa versteht: die Secuoya Content Group, zu der die Film- und Serienproduktionsfirma Secuoya Studios gehört. In der Aufbauarbeit haben sich die Gründer auf den weltweiten spanischsprachigen Unterhaltungsmarkt konzentriert, hier sieht man sich inzwischen als Marktführer. Eine aufwendige Serien-Neuverfilmung von „Zorro“ lief im vergangenen Jahr in Lateinamerika, den USA und Spanien bei Amazon Prime Video, bisher aber nicht in Deutschland. Bei der vergangenen Berlinale stellte Secuoya die Mystery-Serie „Shades“ vor. In drei Jahren soll der Anteil englischsprachiger Produktionen auf 50 Prozent steigen. 

Originäre Film- und Serienproduktion aus Spanien bekommen zunehmend mehr Aufmerksamkeit. Exemplarisch etwa die Serie „Haus des Geldes“, die in mehreren Staffeln erst im spanischen Fernsehen und dann bei Netflix lief, zwischen 2017 und 2021 – vielleicht die erfolgreichste spanische Serie überhaupt. Oder „Élite“, eine Story für junge Erwachsene über eine Schule für Kinder reicher Eltern. Im April war die meistgesehene Netflix-Serie in Deutschland der spanische Thriller „Der Gärtner“.

Über den großzügigen Konferenzraum in der fünften Etage des Secuoya-Hauptquartiers gelangt man auf eine Dachterrasse, von der man nicht nur einen Blick auf die Landschaft hat, sondern auch auf die gesamte Anlage mit mittlerweile rund 140.000 Quadratmetern Fläche. Bürogebäude, zwölf sogenannte Soundstages, so werden die riesigen Produktionshallen genannt, in der die eigentlichen Dreharbeiten stattfinden, eine Postproduktionsfirma, in der die Aufnahmen bearbeitet werden und eine Universität für Filmstudenten, finanziert von der Mediengruppe Planeta. So bindet man praktischerweise gleich junge Talente. 2300 angestellte Mitarbeiter und rund 10.000 freie Mitarbeiter zählt die Gruppe bisher, bei einem Umsatz von 142 Millionen Euro. In diesem Jahr sollen gleich 20 Serien hier entstehen, was ziemlich ehrgeizig ist.

Netflix als Dauermieter

Das Ganze nennt sich Madrid Content City – wer allergisch gegen das Wort „Content“ ist, also „Inhalt“ als Bezeichnung für kreative Stoffe, muss Toleranz aufbringen. Auf einer Halle prangt ein großes rotes „N“, das von Netflix. Der Streaminggigant hat sich als Dauermieter einquartiert und betreibt hier sein größtes Produktionszentrum in Europa. Teile des erfolgreichen Films „Die Schneegesellschaft“ wurden hier in einer Halle und in der nahe gelegenen Sierra Nevada gedreht.

Im Konferenzraum markiert Secuoya-Gründer Raúl Berdonés, dem gemeinsam mit dem CEO Pablo Jimeno die Mehrheit an dem Unternehmen gehört, seinen Anspruch: „Wir wollen führend für Fiction-Produktionen in ganz Europa sein“. Berdones hat die Firma bereits 2007 gegründet, da war er 28 Jahre alt, damals mit einem Fokus auf Dienstleistungen für Produktionsfirmen. Vor rund vier Jahren dann die Entscheidung: Ein Schwenk hin zu eigenen Produktionen, hin zu kreativer Arbeit, immer in Kooperation mit einem Partner.

Im vergangenen Jahr war Spanien laut Berdonés bereits zweitgrößter Produzent für Bewegtbild-Formate in Europa, hinter Großbritannien. Das hat nicht nur mit dem guten Wetter zu tun, auf das immer ausgiebig verwiesen wird, sondern auch damit, dass die Film- und Serienproduktion eine „strategische Säule“ für das Land ist. Spanien soll demnach das „Hollywood Europas“ werden, wie der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez es bereits vor einigen Jahren vorgab. Seine Regierung plante 1,6 Milliarden Euro für die Förderung der Filmindustrie über fünf Jahre ein. Aufs Geld geschaut wird trotzdem: Kostenbewusstsein zählt neben den Sonnenstunden im Land zu den Argumenten von Secuoya. Die Gleichung lautet, dass Produktionen in Spanien annähernd so gut sind wie etwa US-Produktionen, aber für deutlich geringere Kosten über die Bühne gehen.

„Die Stimmung ist hier viel besser als im Rest von Europa, und sicherlich besser als in den USA.“ Das sagt der Amerikaner Brendan Fitzgerald, der Chef der Secuoya Studios, ein erfahrener Manager, der auch schon für die deutsche Beta Film in München gearbeitet hat. Fitzgerald ist der Architekt eines Konzepts, das auf Kooperationen mit Partnern weltweit basiert. Ein Teil der Produktion muss in Spanien stattfinden, damit die Firmen von Steueranreizen profitieren können.

Kontrast zu Deutschland

Die Vitalität der Branche, die hier zu spüren ist, steht allerdings auch so im recht deutlichen Widerspruch zur Lage in Deutschland. Die Produktionsbranche hierzulande hat große Probleme, weil eine umfassende Reform der Filmförderung, die auch Steueranreize benötigt, bisher nicht umgesetzt wurde – dies ist nun Aufgabe der neuen Bundesregierung. In der Vergangenheit warnten Verbände und Unternehmen bereits vor Insolvenzen. Viele Produktionshallen stehen schon länger leer. Die Zeit drängt.

Währenddessen plant Secuoya – der Riesenmammutbaum, der der Firma den Namen gegeben hat, stammt eigentlich aus Kalifornien; auch in Los Angeles hat die Firma eine Niederlassung – künftig enge Kooperationen mit Produzenten in zehn Ländern, darunter Deutschland. Der Zukauf von Filmfirmen sei denkbar, für mehr Wachstum haben Berdonés und Jimeno nach eigenen Angaben 100 Millionen Euro im Budget. „Wir können der Rettungsring für kleinere Unternehmen sein“, wirbt Berdonés mit Blick auf die angespannte wirtschaftliche Situation. Gerade wurde ein Produktionszentrum in Kolumbien eröffnet, eine erste Serie geht mit „Los 39“ an den Start, die dreht sich um eine Gruppe von Menschen, die von Christoph Kolumbus auf einer Insel im Karibischen Meer ausgesetzt wurden.  

Raúl Berdonés sagt, der lange Hollywood-Streik von Schauspielern und Autoren vor zwei Jahren sei ein großer strategischer Fehler gewesen. Weil er Aufträge ins Ausland und damit auch nach Europa verlagert habe. Die Nachricht, dass Donald Trump Filmproduktionen amerikanischer Firmen, die im Ausland gedreht werden, nun mit Zöllen belegen will, mag er noch nicht kommentieren.

Bei einem Spaziergang über das Areal steht eine der rund 14 Meter hohen Hallen offen, hier werden gerade die Kulissen für eine Serie gebaut, die „Die Geheimnisse der Kurtisane“ heißen soll. Die Dreharbeiten beginnen demnächst, noch ist nicht viel zu sehen. Ein Mitarbeiter erzählt, dass Pedro Almodóvar hier einen Teil seines letzten Films „Das Zimmer nebenan“ gedreht habe – und die Filmstudenten, die in dem Gebäudekomplex nebenan das Handwerk lernen, jeden Tag für eine Stunde vorbeischauen durften, was der Meister macht. Ob die ambitionierte Strategie von Secuoya aufgeht, wird sich zeigen – die Türen stehen jedenfalls offen.

Christian Meier ist WELT-Medienredakteur. Pedro Almodóvars Filme mag er, mit seinen Kindern schaut er aber gern die Filme der Reihe „Padre no hay más que uno“ („Es gibt nur einen Vater“) mit dem Schauspieler Santiago Segura, die es leider noch nicht in der deutschen Streamingwelt gibt.

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