Miteinander verschmolzene Kussmünder und Blütenblätter balancieren auf erigierten rosa Penissen. Sie leuchten von innen, als pochte eine Seele unter ihrer Haut. Es könnten KI-generierte Transwesen aus dem Zukunftslabor sein oder pornoartige Designobjekte der Gegenwart. Doch die Skulpturen der polnischen Bildhauerin Alina Szapocznikow, die teils auch als Lampen fungieren, sind bereits in den 1960er-Jahren entstanden. Die Künstlerin stellte sie aus Polyesterharz her neben einer Vielzahl anderer rätselhafter Objekte.

In ihrem Atelier südlich von Paris wuchsen sie heran wie eine Familie monströser Mutanten, die Sex, Krankheit und Tod auf verstörende Weise verschmolzen hat. So verstörend, dass Szapocznikow, obwohl sie 1962 Polen auf der Biennale von Venedig vertrat und seit der Nachkriegszeit zur Pariser Kunstszene gehörte, lange nicht zu Weltruhm kam. Zwar hat ihr Ex-Mann, der Kunsthistoriker Ryszard Stanislawski, ihren Nachlass in Polen durchaus am Leben erhalten.

Doch erst die Retrospektive im Brüsseler Kunstzentrum Wiels 2011, die auch ans Museum of Modern Art New York und ans Pariser Centre Pompidou wanderte, machte Szapocznikow einem internationalen Publikum bekannt. Vielleicht, weil damals die Zeit der Wiederentdeckungen von Künstlerinnen begann – aber sicher, weil Szapocznikows eigentümliches Werk dermaßen zeitgenössisch wirkt, dass man dessen Verbindung zu Surrealismus, Art Nouveau und Pop Art glatt vergisst.

Heute ist es auf dem Kunstmarkt äußerst rar. Die wenigen Arbeiten im Nachlass, der von der Megagalerie Hauser & Wirth vertreten wird, sind so bedeutend, dass sie nur in Ausnahmefällen in den Verkauf gehen. Die meisten Stücke befinden sich mittlerweile in öffentlichen Museen sowie in einigen bedeutenden Privatsammlungen und Stiftungen.

Der Markt für Werke von Szapocznikow sei „ein Sammlermarkt“, erklärt ihr Pariser Galerist Hervé Loevenbruck. Nur einige wenige Papierarbeiten stünden zum Verkauf: „Die Preisspanne reicht von 10.000 bis 150.000 Euro für ihre Zeichnungen ‚menschlicher Landschaften‘“, so Loevenbruck. Skulpturen erzielten, wenn sie denn in den Handel kommen, Preise von 150.000 Euro bis zu mehreren Millionen Euro. „Eine Lippenlampe kostet ungefähr 600.000 bis 800.000 Euro, eine Phalluslampe viel mehr. Jedes Jahr kommen etwa zwei Werke auf den Markt.“

Kaugummi, Marmor und Polyesterharz

Im Kunstmuseum Ravensburg, das Alina Szapocznikow nun die zweite und umwerfend sensibel komponierte Museumsschau in Deutschland widmet, wird der gesamte Fächer ihres Schaffens aufgespannt – mit herausragenden Leihgaben, unter anderem aus der Pariser Pinault Collection und dem Muzeum Sztuki in Lodz, die die Direktorin Ute Stuffer nur mit viel Fachwissen, Geduld und Überzeugungsarbeit herangeschafft haben kann. Sehenswert sind auch die frühen Bronzen aus dem polnischen Atelier, die bereits ein futuristisches und selbstbewusst forderndes Eigenleben führen.

Ein Schlüsselwerk ist die mumienhafte Gestalt mit dem Titel „Exhumed“: Die schwarze, bis auf zwei Stümpfe amputierte Figur stößt einen stummen Schrei des Entsetzens aus. Mit ihr deutet Szapocznikow zum ersten Mal an, wovon sie selbst ihr Leben lang schwieg – denn auch, wenn ihre Skulpturen oft einen frivolen Charme besitzen: Er täuscht nur selten darüber hinweg, dass der Körper bei dieser Künstlerin der Ort des Schmerzes war, des Verfalls und des unvorstellbaren Leids.

Schon früh setzte sie in ihrer Arbeit unorthodoxe Materialien wie gekautes Kaugummi oder Zement ein, um Wesen am Rande der Auflösung zu formen. Bald kam das hautartig schimmernde Polyesterharz hinzu, mit dem etwa zeitgleich Eva Hesse in New York für ihre postminimalistischen Installationen berühmt wurde – und die, kurz bevor sie mit nur 34 Jahren starb, in einem Interview ihre tragische Lebensgeschichte preisgab, vom Kindertransport aus Hamburg bis zum tödlichen Hirntumor. Ob Szapocznikow das gelesen hat oder nicht: Sie hat nicht über ihre Traumata gesprochen.

Ihre Kunst weist auch Verbindungen zum Werk von Louise Bourgeois auf – die damals noch völlig unbekannt war. Heute gilt sie als wichtigste Bildhauerin des 20. Jahrhunderts, deren Werk zum Inbegriff der Synthese von Kunst und Kindheitstrauma geworden ist. Auch Bourgeois arbeitete zeitweilig mit klassischem Carrara-Marmor, kurz nachdem Szapocznikow daraus faltige Frauenbäuche meißelte. Und als die Polin Mensch- und Maschinenformen aus goldüberzogenem Zement zusammensetzte, steckte der Schweizer Künstler und „Alien“-Erfinder H.R. Giger noch in den Kinderschuhen.

Erinnerungen an Getto und Lager

Sosehr diese Werke ihrer Zeit voraus waren: Erst aus den hautartigen, morbiden Objekten bricht der dunkle biografische Unterton ihres Werks in einer Weise hervor, die einem unter die Haut geht. In klebrig glänzende Kunstharzgebilde bettet Szapocznikow Fotocollagen ein, darunter ein Kinderfoto von sich und die Aufnahme einer Frau, deren Mund – erneut – zum Schrei verzerrt ist. Ist es Ekstase, Schmerz, Leichenstarre?

Das Bild taucht mehrmals auf, und wenn man den verblichenen, durchsichtigen Teint betrachtet, der diese Objekte wirken lässt, als wären sie aus menschlichen Überresten entstanden, wird klar, dass es sich beim Foto der schreienden Frau um eine Leiche aus einem Konzentrationslager handelt. Ohne vom Grauen der Schoah weiter zu erzählen, klingt in dieser Herangehensweise eine unglaubliche Intimität an – eine Verletzlichkeit, die in den Bodenobjekten in Form von eitrig glänzenden Tumoren kaum noch zu ertragen ist. Sie wirken so abstoßend, dass man die fröhlichen Blumenpenislampen kaum mit derselben Künstlerin zusammenbringt.

Woher kommen solche Psychoskulpturen? Auch wenn sich die Kunstgeschichte seit einigen Jahrzehnten beharrlich sträubt, Kunstwerke durch Biografien zu lesen: Sogar die feministische Kunsthistorikerin Griselda Pollock, Szapocznikows wichtigstes posthumes Sprachrohr, gibt zu, dass wir deren Leben kennen müssen, „um uns auf das Unsagbare einzustimmen – ebenso wie auf das, was in ihrem Schaffen zutage trat.“

Was sie in den Skulpturen als Bewegung von festen, klareren Formen hin zu Zerfallsprozessen und einem Verschwimmen zwischen Innen und Außen beobachtet, ist für sie ein Beleg dafür, dass sich hier ein Verarbeitungsprozess Bahn gebrochen hat. „Diese Veränderungen“, so Pollock, „zeugen vom verspäteten ‚Auftauchen‘ des latenten Traumas durch unaussprechliche Verletzungen des menschlichen Körpers, deren Zeugin sie in ihrer Jugend wurde – als sie ihrer Mutter, einer Ärztin, als Krankenschwester in Gettos und Lagern assistierte, bevor sie zur Künstlerin wurde – ‚nach Auschwitz‘.“

Alina Szapocznikow kam 1926 in Polen in der Nähe von Lodz zur Welt, damals nach Warschau die Stadt mit den meisten jüdischen Bürgern Europas. Ihr Vater starb an Tuberkulose – ein Jahr vor Kriegsausbruch, in dem ihr Bruder spurlos verschwand. Mit 13 Jahren wurde sie in die Gettos von Pabianice und Lodz gebracht, dann in die Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, Bergen-Belsen und Theresienstadt deportiert, wo auch ihr Bruder war, der dort jedoch vor Kriegsende umkam. Szapocznikow erlebte die Befreiung am 7. Mai 1945, neun Tage vor ihrem 20. Geburtstag.

Sie wähnte sich als einzig Überlebende ihrer Familie – und woher sie die Kraft nahm, sich als Tschechin auszugeben, nach Prag bei einem Steinmetz in die Lehre zu gehen und ein Studium der Bildhauerei zu beginnen, bleibt unbegreiflich. Dass ihre Mutter noch lebte, erfuhr sie nicht sofort. Zu ihr zog sie erst 1951 nach Polen zurück, nachdem sie ihr Studium in Paris fortgesetzt hatte. Sie konnte es nicht zu Ende führen: Auch sie erkrankte an Tuberkulose, die sie knapp überlebte, doch fortan war sie unfruchtbar – dass sie und ihr Mann später ein Kind adoptierten, wird sie kaum über diesen Schlag hinweggebracht haben.

Sprechende Kunst, lebenslanges Schweigen

In Warschau etablierte sich Szapocznikow als Künstlerin: 1958 entwarf sie, ausgewählt von einer hochkarätigen internationalen Jury, ein Mahnmal für Auschwitz-Birkenau, 1962 vertrat sie Polen in Venedig und stellte 1967 in der Nationalen Kunstgalerie in Warschau aus. Sie pendelte zwischen Polen und Paris und entschloss sich, ganz dorthin zu gehen, als sie bei den Warschauer März-Unruhen 1968 die antisemitische Regierungskampagne miterlebte: Erinnerungen an die eigene Deportation wurden wach, und überhaupt wollte sie in diesem kriegszerstörten, vom Kommunismus infiltrierten und glühendem Judenhass durchzogenen Land nicht mehr leben.

Sie bezog ein Atelier im Pariser Vorort Malakoff, wo bald auch Christian Boltanski und Annette Messager lebten, die bald zu den wichtigsten Künstlern Frankreichs und zu ihren engsten Freunden zählten. Der berühmte Kunstkritiker Pierre Restany wurde einer ihrer größten Förderer, und sie begann, sich bei der Arbeit mit ihren Skulpturen fotografieren zu lassen, als wollte sie sagen: Hier bin ich! Doch zu dem Grauen, das sie erlebt hatte, schwieg sie weiterhin, trotz Nachfragen von Journalisten.

Noch etwas sprach Szapocznikow nie öffentlich aus: 1969 wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert. Ähnlich wie Eva Hesse, die 1970 starb, entwickelte sie mit dem Krebs einen unbändigen Tatendrang. Erst die Metastasen bremsten sie aus, durch die sich Knochenkrebs gebildet hatte. 1973 verstarb Alina Szapocznikow mit nur 46 Jahren.

Wenn man jetzt durch die Schau in Ravensburg schwebt – und tatsächlich überträgt sich die geisterhafte Qualität dieses Werks auf den eigenen Körper, was nicht nur dem organisch gestalteten Museumsbau liegt, sondern auch an den Raumteilern aus Gaze – wenn man also durch die Ausstellung schwebt, dann wird klar, dass diese Ausnahmekünstlerin, so seltsam es klingt, in gewisser Weise Glück hatte: Glück, ihren stummen Schmerz in eine Kunst verwandeln zu können, die ihr ein Stück innere Freiheit zurückgab – und heute noch allen anderen, die sie betrachten können, durch Mark und Bein geht.

„Alina Szapocznikow. Körpersprachen“, bis 6. Juli 2025, Kunstmuseum Ravensburg

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