"The Royal Tenenbaums", "Moonrise Kingdom", "Isle of Dogs", "Grand Budapest Hotel" oder zuletzt "Asteroid City" - Regisseur Wes Anderson ist bekannt für detailverliebte Filme voller skurriler Charaktere. Da bildet auch sein neues Werk "Der Phönizische Meisterstreich" keine Ausnahme. Der Cast ist wieder gespickt mit den üblichen Hollywood-Stars, die der Filmemacher gern um sich schart, bietet aber auch so einige Neuentdeckungen - wie Kate Winslets Tochter Mia Threapleton als Nonne Liesl.

Beim ntv.de Interview mit Wes Anderson, das an einem Donnerstag Ende April im Berliner Adlon stattfindet, sind spontan auch seine Schauspieler Bill Murray und Richard Ayoade zugegen. In dem Gespräch verraten die drei mehr über das Besondere an ihrer Zusammenarbeit, die Vorteile von Babelsberg und darüber, weshalb Bill Murray der perfekte Gott ist.

ntv.de: Herr Anderson, haben Sie vorab ein konkretes Bild Ihres Films im Kopf?

Wes Anderson: Nein. Wenn ich einen Film mache, bin ich immer überrascht, wie er am Ende aussieht, sogar, wenn ich selbst durch die Kamera schaue. Wir planen zwar alles ganz genau, aber die Chemie am Set ist immer eine Überraschung. Und im Schneideraum ist es noch einmal anders, wenn dort der Film zum Leben erwacht. Das ist jedes Mal eine neue Erfahrung für mich, manchmal mehr, manchmal weniger.

Die Tonalität des Films ist optimistischer als bei Ihren Werken davor. War das eine bewusste Entscheidung?

Anderson: Ja, ich denke, der Film begann mit der Idee, etwas unerbittlich Düsteres zu sein. Aber irgendwie ist er das nicht geworden. Roman Coppola und ich mochten diesen düsteren Aspekt der Figur, aber im Laufe seiner Entstehung wollte der Film etwas anderes. Ich stimme zu, er ist definitiv optimistischer.

Sie haben zum dritten Mal in Babelsberg gedreht. Was bedeutet Ihnen dieser Ort und Berlin im Allgemeinen für Ihre Arbeit?

Anderson: Wir haben hier das "Grand Budapest Hotel" gedreht, und das war eine so gute Erfahrung, dass wir das Team, mit dem wir dort zusammengearbeitet haben, gerne behalten wollten. In Görlitz haben wir die perfekte Kombination aller für diesen Film benötigten Dinge gefunden. Und es war auch ein Team aus Babelsberg beteiligt. Außerdem hatte ich schon drei Filme auf der Berlinale, und wir haben in Babelsberg mehrere Werbespots gedreht. Es ist die Geschichte des Ortes, die mich anzieht. Es ist ein bisschen wie mit den echten Gemälden, die wir uns für den Film geliehen haben. Das Studio ist das reale Ding und nicht nur ein leerer Raum, um Sets zu bauen. Es ist eine zusätzliche Zutat des Films.

Wenn Sie die Charaktere für Ihre Filme erschaffen, haben Sie dann bestimmte Schauspieler für die Rolle im Kopf?

Anderson: Ich versuche, das zu vermeiden, denn ich will mich auf den Charakter konzentrieren. Wenn wir aber einen Wunsch haben, versuche ich, frühzeitig mit der Person zu kommunizieren, auch wenn das Drehbuch noch nicht fertig ist. Aber die Rolle des Terroristen war für Richard (Ayoade) geschrieben, und Gott war eben Gott. Der wurde ja schon oft gespielt. Aber wir haben nie einen anderen Gott als Bill (Murray) in Betracht gezogen. Wir haben keinen anderen Gott außer Bill. Sobald wir die Szene mit Gott beendet hatten, wussten Roman und ich sofort, wen wir dafür brauchen.

Herr Murray, sehen Sie sich selbst als Gott?

Bill Murray: Manchmal. Manchmal, ja, das tue ich. Es könnte jede Sekunde passieren. Und es ist schon einmal passiert. Ich kann es auch nicht verhindern. Es kommt und geht. Ich denke, wir sehen uns wahrscheinlich alle von Zeit zu Zeit als Gott, wenn wir die letzte Autorität sind, sei es in Bezug auf andere Menschen oder in Bezug auf uns selbst. Und wenn wir in Bestform sind, dann sehen wir uns wahrscheinlich auch so.

Anderson: Bill hat auch Leute von der Kirche in seiner Familie.

Murray: Ja, das habe ich. Das geht weit zurück. Ich habe eine Schwester, die Nonne ist. Und mein Ururgroßonkel war der erste Kardinal von New York City. Und er ist unter dem Altar der St. Patrick's Cathedral begraben. Gott hilft nicht mit Strafzetteln, aber er weiß einige andere Dinge. Wir haben uns diesmal keine bestimmte Religion ausgesucht, mit der wir arbeiten wollten. Es war einfach ein großes Bild.

Könnte es eigentlich ein Liesel-Spin-off geben? Sie ist ja eine sehr besondere Figur in diesem Film.

Anderson: Ich habe noch nie eine Fortsetzung gemacht, darüber müsste ich nachdenken. Aber auch ich fand Mia Threapleton in der Rolle großartig. Sie hatte meines Wissens noch nie zuvor in einem Film mitgespielt. Und sie musste sehr stark sein - gerade Benicio del Toro gegenüber. Ich glaube nicht, dass man im Kino ein Gesicht findet, das einschüchternder ist als seines. Und Mia wirkte völlig unbeeindruckt von seiner Darbietung. Es sind ihre Entscheidungen und Instinkte als Schauspielerin, die diese Leistung ausmachen. Jeder in unserer Gruppe war beeindruckt von ihr. Das wäre also zumindest einen Kurzfilm wert. Vielleicht in der Zukunft.

Haben Sie Momente, in denen Sie gern mal einen kleinen Film mit einer ganz anderen Ästhetik machen würden?

Anderson: Ich mag Handkamera-Aufnahmen, wenn ich möchte, dass etwas sehr frei ist. Und dann sieht es trotzdem so aus, als hätte ich es gemacht. Es fließen viel Planung und Vorbereitung in die Art und Weise, wie man einen Film macht. Aber am Ende ist alles improvisiert. Es ist ein bisschen Improvisation hier und ein bisschen Improvisation dort, und man mischt das alles zusammen. Es ist ein wenig wie meine Handschrift. Ich weiß nicht, ob man seine Handschrift kontrollieren kann, aber sie ist ein Teil des Gehirns, der die Persönlichkeit ausmacht, genauso wie die künstlerischen Entscheidungen.

Sie haben zum ersten Mal mit einem neuen Kameramann zusammengearbeitet. Wie hat das die Arbeit am Set verändert?

Anderson: Ich habe viele meiner Filme mit Robert Yeoman gedreht, der ein alter Freund ist und mit dem ich von Anfang an zusammengearbeitet habe. Aber aus verschiedenen Gründen war es dieses Mal sinnvoller, einen europäischen Kameramann zu wählen. Bruno Delbonnel ist ebenfalls ein alter Freund - ich kenne ihn zwar nicht so lange wie Bob, aber wir haben schon kleinere Sachen zusammen gemacht. Ich fühlte mich wohl mit ihm. Seine Arbeit ist anders, aber der Film ist eben auch anders. Es ist immer eine andere Dynamik, wenn am Set unterschiedliche Persönlichkeiten zusammenkommen. Und wir haben immer wieder neue Leute dabei, verschiedene Produktionsdesigner und Kostümdesigner zum Beispiel. Sie bringen andere Ideen und Entscheidungen mit. Die Mischung verschiebt sich.

Wie ist Wes Anderson als Regisseur am Set?

Richard Ayoade: Das Skript ist das Skript. Gelegentlich kann man eine Änderung vorschlagen, wenn man das Gefühl hat, dass etwas nicht funktioniert. Aber das Drehbuch ist sehr solide und alle sind sehr zufrieden damit. Kiarostami (iranischer Filmemacher - Anm. d. Red.) sagte einmal, dass er, sobald eine Szene beginnt, wie ein Fußballmanager ist. Man kann wollen, dass es in eine bestimmte Richtung geht, aber die Leute spielen das Spiel und dann sieht man, wie es läuft. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Wes Anderson das auch so sieht. Er mag ein gewisses Chaos. Er wählt sehr starke Schauspieler aus, die wissen, was sie wollen und die ihn überraschen können.

Anderson: Kiarostami sagt damit, dass ein großer Teil dessen, was ein Regisseur tut, darin besteht, zuzuschauen. Man ist wirklich ein Publikum. Man hilft, eine Atmosphäre zu schaffen, aber das Wichtigste ist, alle zusammenzubringen und dann zuzuschauen.

Aber gibt es nicht eine gewisse Choreografie innerhalb eines Dialogs?

Anderson: Ich denke, es ist das Schreiben, über das Sie sprechen. Ich sage vielleicht am Set, dass jemand verärgerter oder wütend sein soll. Aber ich sage ihm nicht, wie der Rhythmus sein soll. Das würde mir nicht in den Sinn kommen. Ich schreibe die Dialoge so, dass sie auf eine bestimmte Art und Weise funktionieren.

Wenn Sie das Drehbuch mit jemandem zusammen schreiben - wie jetzt mit Roman Coppola -, wie funktioniert das in der Praxis?

Anderson: Roman Coppola, Richard Ayoade und ich arbeiten gerade an einem Drehbuch, und Bill Murray hat sich eingemischt, während wir gereist sind. Einer von uns sagt: Hier ist eine Idee. Und dann entwickelt sich daraus ein Gespräch. Wir spielen eine Szene und improvisieren den Dialog. Und dann schreiben wir die Version auf, aber es gibt immer noch Zutaten der spontansten Version. Manchmal bin ich froh, dass wir die iPhone-Aufnahme hatten, weil Dinge einfach passiert sind und wir sie so festhalten konnten.

Wie stehen Sie zu den Plänen von Donald Trump für die Filmindustrie?

Anderson: Ich halte die Zölle für verrückt. Ich bin auf der Seite der Filmemacher und befürworte absolute Freiheit bei der Arbeit. Ich erinnere mich daran, wie Roald Dahls (US-Schriftsteller - Anm. d. Red.) Kinderbücher umgeschrieben wurden (zum Zwecke der "Modernisierung" - Anm. d. Red.), und ich fand, dass nicht mal er selbst seine Bücher neu schreiben dürfte. Sie gehören den Menschen, die sie aus der Bibliothek ausleihen. Es ist so ähnlich beim Film. Auch in der Umgebung, in der Filme gemacht werden, sollte Anarchie herrschen. Aber es gibt praktische Gründe, warum das nicht der Fall ist. Werner Herzog hat gezeigt, dass es Regeln geben muss. Doch ich denke, die Zölle sind das Schwenken einer roten Flagge vor einem Stier. Nicht, dass ich ein Stier bin, aber sie sind so provokativ.

Wenn Sie auf Ihr bisheriges Werk zurückschauen, erkennen Sie sich selbst in verschiedenen Lebensphasen wieder?

Anderson: Ich tue das nicht aktiv, aber manchmal werde ich durch Gespräche wie dieses dazu angeregt. Ich kann sehen, wie ich über die Filme erwachsen geworden bin. Ich habe vor mehr als der Hälfte meines Lebens angefangen, Filme zu machen. Und ich kann die Dinge und Menschen sehen, die sich in meinem Leben verändert haben, und die guten und herausfordernden Sachen, die passiert sind. Für mich sind meine Filme wie Kapitel in meinem Leben. Zu einem bestimmten Zeitpunkt taucht meine Frau auf, und dann meine Tochter. Sie könnten nicht persönlicher sein.

Sie haben eben ein neues gemeinsames Projekt erwähnt. Könnten Sie mehr dazu verraten, worum es geht?

Anderson: Ich hasse es, nein zu sagen, aber ich möchte es noch geheim halten. Richard Ayoade, Roman Coppola und ich arbeiten jedenfalls gerade daran. Ich habe von Akira Kurosawa (japanischer Regisseur - Anm. d. Red.) gelesen, der jemanden im Schreibzimmer hatte, den sie den Kontrollturm nannten. Bill Murray ist der Kontrollturm für uns auf dieser Reise.

Ayoade: Gestern Abend hat der Kontrollturm ein sehr gutes Wort der Ermutigung ausgesprochen.

Anderson: Er hört die ganze Zeit zu. Und ab und zu sagt er etwas. Das, was uns beim Arbeiten gerade immer wieder in den Sinn kommt, ist Hitchcock. Es gibt etwas an diesen Silben, das in der genetischen Ausstattung dieses Films zu liegen scheint, und wir wissen noch nicht wirklich, was der Film ist. Es ist so früh. Wir haben eine Menge Material, aber es entwickelt sich weiter. Erst gestern gab es eine große Veränderung in der Art von Film, die es sein könnte.

Mit Wes Anderson, Bill Murray und Richard Ayoade sprach Nicole Ankelmann

"Der phönizische Meisterstreich" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.

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